Eskapaden
- Haffmans
- Erschienen: Januar 1997
- 10
- New York: St. Martins Press, 1995, Titel: 'Escapade', Seiten: 355, Originalsprache
- Zürich: Haffmans, 1997, Seiten: 397, Übersetzt: Ursula-Maria Mössner
- München: dtv, 1999, Seiten: 475
Ein eleganter, über die gesamte Distanz unterhaltsamer Lesespaß!
Schloß Maplewhite, gelegen in der englischen Grafschaft Devon, ist in diesem sommerlichen August des Jahres 1921 Schauplatz eines außergewöhnlichen Ereignisses: Lord Robert Purleigh, der Hausherr, lädt ein zur Séance mit dem berühmten Medium Madame Sosostris. Unter den illustren Gästen: Sir Arthur Conan Doyle, Schriftsteller und als solcher geistiger Vater des unsterblichen Sherlock Holmes, der privat ein unverbesserlicher und recht leichtgläubiger Anhänger des Okkulten ist.
Hintergrund:
Wer war Harry Houdini?:
Harry Houdini, König der Magier und selbst stilisiertes Rätsel seiner Epoche, begann sein Leben 1874 als Erich Weiß, Sohn eines Rabbis, im ungarischen (bzw. damals österreichisch- ungarischen) Budapest. Vier Jahre später wanderte die Familie in die USA aus. Nach dem frühen Tod des Vaters strebte Erich eine Karriere als Bühnenzauberer an. Er nannte sich "Houdini" (nach Jean-Eugène Robert-Houdin, 1805-1871, dem Vater der modernen Magie) und entwickelte sich zum wohl besten Entfesselungskünstler und Illusionisten seiner Zeit. Wie Satterthwait sehr deutlich machen kann, übertraf Houdinis Selbstbewusstsein noch sein Können, reichte aber bei weitem nicht an sein Talent zur Selbstvermarktung heran. Houdini verwandelte sich selbst in ein Markenzeichen, ließ Elefanten verschwinden, spielte in Stummfilmen, bis er als Magier alles erreicht hatte. Ab 1920 nutzte er sein immenses Fachwissen, um Scharlatane und falsche Medien zu entlarven, die vorgaben mit dem Jenseits in Kontakt zu stehen - sein größtes "Wild" erlegte er 1924 mit Mina Crandon, Künstlername "Margery", eines der bekanntesten (und von Arthur Conan Doyle erbittert verteidigten) Medien ihrer Zeit. Houdini starb früh, aber immerhin stilecht - am Halloweentag des Jahres 1926. (Dieser biografische Abriss stützt sich auf - Tusch! - die von vielen schönen Bildern begleitete Website der American Memory Library of Congress.)
Dies trifft auf Harry Houdini, den außergewöhnlich begabten und ob seiner Fähigkeiten maßlos von sich eingenommenen, auf den Bühnen der ganzen Welt stürmisch gefeierten Zauber- und Entfesselungskünstler ganz sicher nicht zu. Er kennt die Tricks seiner Kolleginnen und Kollegen. In den letzten Jahren hat er sich verhasst gemacht, weil er dazu übergegangen ist, jene Magier und Medien zu entlarven, die vorgeben über echte okkulte Kräfte zu verfügen. Madame Sosostris´ Karriere ist ihm schon lange ein Dorn im Auge; sie will er nun auf Maplewhite beenden.
Das abgelegene Schloss ist darüber hinaus ein günstiger Hafen, denn Houdini ist auf der Flucht. "Chin Soo", ein verärgerter Rivale, hat sich geschworen, den arroganten Konkurrenten aus dem Weg zu räumen, und bereits einige Anschläge versucht. Houdini wird daher begleitet von Phil Beaumont vom Detektivbüro Pinkerton. Er hat seine liebe Not mit dem eigenwilligen Magier, den er trotzdem halbwegs zu kontrollieren weiß.
Schloß Maplewhite erweist sich als recht eigenartiger und gefährlicher Ort. Lord Purleigh mimt den aristokratischen Bolschewiken, der Earl, sein bettlägeriger, seniler Vater, den Feudalherrn mit mittelalterlichen Ansichten ("Auspeitschen!"), seine Tochter gibt sich nymphoman. Sogar das Hausgespenst, das die Gesellschafterin Jane Turner des Nachts in ihrem Zimmer besucht, überrascht mit ausgesprochen weltlichen Gelüsten.
Außerdem ist Chin Soo wohl bereits vor Ort, denn während eines Parkspaziergangs wird auf Houdini geschossen. Wenig später liegt der alte Earl mit einer Kugel im Kopf tot in seinem Bett - Selbstmord, so sieht es aus, aber Beaumont mag nicht daran glauben. Er arbeitet mit Arthur Conan Doyle zusammen, der freilich nur so lange als zurechnungsfähig zu betrachten ist wie das Gespräch nicht in übernatürliches Fahrwasser gerät.
Madame Sosostris verblüfft mit übernatürlich anmutendem Hintergrundwissen, Houdini will verärgert abreisen, ein Geheimgang wird entdeckt, Beaumont muss ein Duell ausfechten, ein Shakespeare zitierender Inspektor erscheint auf der Bildfläche - die Ereignisse überstürzen sich in immer schnellerem Tempo bis zum überraschenden Finale ...
Weniger spannender als unerhört witziger und stimmungsvoller historischer Krimi. Autor Satterthwait begibt sich da auf dünnes Eis, das zudem von lauwarmen Schriftsteller- Kolleginnen und -Kollegen gefährlich angetaut wurde, seit sich mit diesem Genre richtiges Geld verdienen lässt. Geschichte ist in, wenn sie der Unterhaltung dient, und genauso wird sie in den meisten dieser Romane denn auch präsentiert - ohne das geringste Verständnis vom Wesen vergangener Zeichen, als Mittel zum Zweck, alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen.
Ganz übel kann es werden, wird der historische Roman mit dem sog. Landhaus-Krimi kombiniert. Übeltaten in lauen Sommer- oder kalten Winternächten, lauschige Ermittlungen vor dem offenen Kamin, schnurriges Figurenensemble, und irgendein Paar findet sich im Finale auch immer: Behaglichkeit sollen sie ausströmen, diese "Cozys", und die feierabendliche Flucht vor Lesers böser Realität in die Wege leiten.
Seltsamerweise arbeitet auch Walter Satterthwait mit allen verhassten Klischees des Genres, denen er sogar noch einige anfügt, die hier nicht aufgezählt werden können. Doch wie er sie einsetzt und gleichzeitig lächerlich macht - das ist die Meisterschaft, die diesen Autoren auszeichnet! "Eskapaden" findet mit traumwandlerischer Sicherheit den schmalen Grad zwischen historischer Atmosphäre (man könnte sogar von "Glaubwürdigkeit" sprechen) und ironischer Distanz der modernen Gegenwart. Diese Geschichte spielt 1921, aber sie wird viele Jahrzehnte später erzählt. Satterthwait macht daraus gar keinen Hehl und tut Recht damit: "Eskapaden" ist ein eleganter, über die gesamte Distanz unterhaltsamer Lesespaß! Und ausgezeichnet übersetzt ist er auch noch!
Bei den Figuren steckt der Teufel in der Regel im Detail. Allzu oft sollen kauzige Charaktere den Leerlauf eines Landhaus-Krimis übertünchen. Bei Satterthwait ergänzen die Figuren eine fein konstruierte, wie geschmiert laufende Story. Harry Houdini ist eine wunderbare Type - der verkörperte Egoismus, aber tatkräftig und liebenswert und hinter der Maske des Kraftmenschen immer auch Schwäche und Furcht zeigend. Arthur Conan Doyle steht ihm da nicht nach; der strenge Rationalist, der Sherlock Holmes erfand, und der Träumer, der an Feen glaubt, vereint in einer Person - ein Widerspruch, aus dem Satterthwait glänzend Kapital zu schlagen versteht.
Phil Beaumont ergänzt ihn hervorragend. Als US-Amerikaner und Pinkerton-Detektiv verkörpert er den nüchternen Realisten, der unter die standesdünkelhaften Briten fällt, ohne sich deshalb beeindrucken zu lassen. Mit trockenem Sarkasmus und notfalls mit ebensolchen Kinnhaken hält er Freund und Feind auf Distanz. In diesem Zusammenhang gelingen Satterthwait immer wieder wunderbare Aperçus ("Mrs. Allardyce war in den Sechzigern und gebaut wie ein Hufschmied, nur weniger zierlich."), die gleichzeitig die Sprüche der "hardboiled" Detektive à la Chandler parodieren.
Die Damenwelt profitiert vom gewählten Schauplatz sehr. In den 1920er Jahren begannen sich die strengen Konventionen der viktorianischen Epoche aufzulösen. Satterthwait muss seine überaus aktiven weiblichen Figuren daher nicht der gewählten Zeit aufpfropfen. Das fördert die Harmonie des Erzählten, was auch dem historischen Laien auffallen müsste. Trotzdem bleibt zumindest Jane Turner in "Eskapaden" noch etwas konturenschwach. Das ändert sich, wenn sie in "Maskaraden", dem zweiten Teil der Serie, als Pinkerton- Detektivin gleichberechtigt an die Seite von Phil Beaumont tritt.
Der Rest der Darsteller: eine erlauchte Runde von Exzentrikern, unter denen "Lord Bob", der marxistisch angehauchte Hochadlige, zweifellos den Vogel abschießt.
Walter Satterthwait, Haffmans
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