Small World
- Diogenes
- Erschienen: Januar 1997
- 71
- Zürich: Diogenes, 1997, Seiten: 323, Originalsprache
- Hamburg: Hörbuch Hamburg, 2003, Seiten: 5, Übersetzt: Dietmar Mues, Bemerkung: gekürzt
- Zürich: Diogenes, 1999, Seiten: 323, Originalsprache
- Zürich: Diogenes, 2008, Seiten: 5, Übersetzt: Dietmar Mues, Bemerkung: gekürzt
eine faszinierende Geschichte, wenn auch reichlich konstruiert
"Als Konrad Lang zurückkam, stand alles in Flammen, außer dem Holz im Kamin."
Ein solcher Satz als erster Satz eines Buches weckt Neugier, macht aufmerksam und fordert sofort die Gedanken des Lesers. Auch, wenn man vorher den Klappentext gelesen hat und schon in etwa ahnt, worauf dieser Satz abzielt.
Da die einzelnen Personen und ihre recht komplizierten Beziehungen zueinander in diesem Roman eine dominante Rolle spielen, versuche ich die übliche Inhaltsangabe in diesem Falle ausnahmsweise durch eine Personenbeschreibung mit ergänzenden Bemerkungen zu ersetzen.
Konrad Lang ist ein etwa 60-jähriger älterer Herr, dem Alkohol sehr zugetan und vom Koch-Clan mit kleinen Aufgaben irgendwie durchs Leben geschleppt oder - besser gesagt - zeit seines Lebens ausgenutzt. Zu der Schweizer Industriellenfamilie verschlug es ihn schon als 4-jährigen, als seine Mutter Anna, die bei den Kochs als Dientmädchen arbeitete, mit einem Mann ins Ausland durchbrannte und den kleinen Koni einfach bei einem Bauern zurückließ. Elvira Senn, die zweite Frau des Firmengründers Wilhelm Koch, und nach dessen Tod Chefin des Betriebes, nahm den kleinen Koni als Gefährten für den etwa gleichaltrigen Stiefsohn Thomas, genannt Tomi, in die Familie auf.
Koni musste die gleichen Schulen wie Tomi besuchen. Wenn Tomi Tenniskurse nahm, musste Koni auch Tenniskurse nehmen. Wenn Tomi Klavierunterricht bekam, bekam auch Koni Klavierunterricht. Und wenn Tomi keine Lust mehr hatte auf Klavier, dann war auch für Koni Schluss mit Klavier.Tomi spannte auch Koni dessen Freundin Elisabeth aus und machte sie zu seiner ersten Frau. Aus dieser Ehe ging Urs Koch hervor, der die Koch-Werke von der mittlerweile etwa 80-jährigen Elvira übernehmen soll. Dazu gehört natürlich auch ein geregeltes Familienleben und so muß Urs Simone heiraten, mit der er gerade zufällig zusammen ist. Doch wie bei Urs' Lebenswandel zu erwarten ist, kriselt es durch Urs' Seitensprünge in dieser Ehe von Anfang an.
Konrad lernt in einem Lokal die verwitwete Rosemarie Haug kennen und lieben. Da Rosemarie recht wohlhabend ist, gelingt es ihr, Konrad nicht nur vom Alkohol, sondern auch vom Koch-Clan zu lösen, was nicht nur bei Thomas Lang verletzten Stolz hervorruft, sondern merkwürdigerweise auch Elvira nicht so recht ist, obwohl doch Konrad für sie nur Kosten verursachte und keine rechte Hilfe war.
Soweit hätte das Ganze eine nette Familiengeschichte mit gutem Ausgang sein können, doch dann begannen Konrads Probleme mit seinem Gedächtnis. Alltägliche Sachen konnte er sich nicht mehr merken und längst vergessene Begebenheiten aus seiner Kindheit drängten in den Vordergrund. Und das macht Elvira große Sorgen. Was hat sie zu verbergen?
Martin Suter hat mit "Small World" einen Roman geschaffen, in den er sehr viele Dinge mit hineingepackt hat, ohne daß er jedoch dadurch überfrachtet wirkt. So lässt sich das Buch auch nicht eindeutig klassifizieren. Eine Rätsel aus der Vergangenheit, gar nicht mal soviel Krimi, ein Familiendrama, fast schon Familien-Saga über drei Generationen und das Ganze mit Gesellschaftskritik verpackt in eine faszinierende medizinische Fallstudie.
Von der Schreibweise her absolut gelungen vermag der Autor den Leser von Anfang an zu fesseln. Man fiebert und leidet mit dem Protagonisten Konrad Lang mit, liest die detaillierte Beschreibung vom Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit einerseits mit Angst und Schrecken, andererseits aber auch mit Faszination und Neugier. Es gibt keinerlei langweilige Passagen. Spätestens nach einem Drittel des Romans schafft man es nicht mehr, das Buch aus der Hand zulegen. Denn man verfolgt nicht nur gebannt Konis Schicksal, sondern wartet auch gespannt auf die Auflösung des Rätsels aus der Vergangenheit, denn auf ein solches muß es ja wohl hinauslaufen. Häppchenweise steigert Suter die Spannung, indem er den Leser immer weiter in die Vergangenheit führt. Und das alles würzt der Autor trotz des sehr ernsten Themas mit feinsinnigem Humor.
Suter hat sehr lebensechte und vielschichtige, allerdings teilweise auch etwas klischeebehaftete Charaktere geschaffen, die er ganz hervorragend beschreibt. Für die medizinische Beschreibung, die Symptome der Krankheit und ihre Behandlungsmöglichkeiten hat er sehr gut recherchiert und den Verlauf der schrecklichen Krankheit, über die so viele Witze gemacht werden, sehr einfühlsam, doch ohne auf die Tränendrüsen zu drücken, beschrieben.
Des Rätsels Lösung schließlich ist halb erwartet, halb überraschend und kann nicht so ganz überzeugen, da sie doch reichlich konstruiert und nicht so recht realistisch ist. Für den Krimianteil des Buches kann ich deshalb nur ein "befriedigend" vergeben. Dies bleibt allerdings der einzige Minuspunkt von "Small World", das als gesellschaftskritischer Roman eine absolute Leseempfehlung ist.
Auch wenn das Ende nicht zu überzeugen vermag, bietet es dennoch Stoff zum Grübeln und Sinnieren. Denn man muß schon genau über die Beziehungen der einzelnen Personen zueinander nachdenken, um das Geschehen nachvollziehen zu können. Und eine kleine Pointe hat sich Martin Suter für den Schluß auch noch aufgehoben.
Martin Suter, Diogenes
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