Tod in Shanghai
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2003
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- London: Hodder & Stoughton, 2000, Titel: 'The killing room', Seiten: 391, Originalsprache
- München: Goldmann, 2003, Seiten: 479, Übersetzt: Christoph Göhler
Eine gelungene Mischung, allerdings mit Längen
Bei den Festlichkeiten zur Grundsteinlegung einer amerikanischen Bank in Shanghai passiert ein schreckliches Unglück: das Pult des Festredners rutscht in die Baugrube. Allein das wäre vielleicht noch verkraftbar, aber als dieser hilflos im Schlammloch herumrudert, bemerkt er, dass er nicht alleine ist. Es sind allerdings keine Lebenden, die mit ihm im Schlamm schwimmen, sondern Leichenteile von 18 toten Frauen. In Shanghai ist man darauf bedacht, die Affäre möglichst ohne Gesichtsverlust zu überstehen und was wäre besser, als einen Ortsfremden mit der Leitung der Ermittlungen zu betrauen? Eilig ruft man den Stellvertretenden Sektionsvorsitzenden Li Yan der Pekinger Polizei zu Hilfe, da bereits vor einem Jahr auch in Peking eine Frauenleiche gefunden wurde, die ähnliche Merkmale aufweist wie die Toten aus dem "Massengrab": die inneren Organe wurden entfernt und Kopf sowie Extremitäten vom Rumpf getrennt. Einziger Unterschied: Bei den Shanghaier Leichen sind die Organe nicht auffindbar, bei der Leiche in Peking wurden diese separat in einem Beutel aufgefunden. Da Li bereits gut mit der amerikanischen Pathologin Margaret Campbell zusammengearbeitet hat (und auch mehr als nur beruflich mit ihr verbunden ist) bittet er den Polizeipräsidenten darum, dass diese die Ermittlungen unterstützt.
Kein leichtes Unterfangen aus mehreren Gründen: der Chefpathologe Dr. Lan hat bereits zwei Leichen obduziert und auf der Pressekonferenz wird leichtsinnigerweise die Information an die Öffentlichkeit gegeben, dass es sich wahrscheinlich um Frauen handelt, die eines natürlichen Todes gestorben sind, und die Stellvertretende Sektionsvorsitzende der Shanghaier Polizei Mei Ling ist Feuer und Flamme für Li Yan. Krieg zwischen den beiden Frauen! Margaret obduziert eine weitere Leiche und stellt fest, dass die Frauen bei lebendigem Leibe aufgeschnitten und ihre Organe dabei entnommen wurden.
Eine kurze Zusammenfassung des Inhalts geht recht selten leicht von der Hand, da man nicht zu viel verraten möchte und abwägen muss, was relevant für die Entscheidung sein könnte, das vorgestellte Buch zu lesen oder nicht. Bei Tod in Shanghai ist dies nicht der Fall, denn bis zu einem gewissen Punkt sind die wesentlichen Dinge bereits passiert - Fund der Leichen und Obduktion -, dann herrscht die ermüdende Polizeiarbeit vor: Identifizierung der Opfer und Herausfinden von Gemeinsamkeiten. Warum wurden z.B. nur weibliche Körper gefunden? Peter May lässt den Leser sehr lange im Dunkeln tappen und bietet neben dieser Beschreibung der Ermittlungen einen genauen Einblick in die Gedanken der Protagonisten, Margarets und Li Yans persönliche Probleme miteinander und wie die Beziehung durch das Auftauchen von Mei Ling gestört wird, zu der sich Li Yan durchaus hingezogen fühlt. Diese Frau kämpft wirklich mit allen Mitteln.
Außer dass man Mitleid mit Margaret empfindet, wirkt das Buch sehr distanziert, vielleicht verstärkt durch die zu Beginn recht langen Passagen über die Obduktionen, die sehr medizinisch sind. Während des Lesens dachte ich, diese Distanz wäre auf das asiatische Milieu zurückzuführen, zu dem ein europäischer Leser nicht so leicht Zugang erhält, aber meine derzeitige Lektüre (die in Japan spielt) belehrte mich eines Besseren. Tod in Shanghai bietet einen hervorragenden Einblick in das chinesische Leben, aber fast alles wird aus Sicht der Amerikanerin geschildert. Da Peter May ebenfalls Amerikaner ist, hat er den besten Weg gewählt, die Handlung in China anzusiedeln, ohne sich dabei anzumaßen, einen durch und durch chinesischen Roman zu schreiben. Durch das Aufeinandertreffen der beiden so unterschiedlichen Kulturen gewinnt der Roman ohne Zweifel.
Dennoch, der Mittelteil hätte eindeutig ein wenig gestrafft werden können. Mit mehr als 450 Seiten sind die Längen eben da nicht mehr zu übersehen und die Spannung bleibt nach dem guten Start ein wenig zurück. Mit dem Ende kann mich Peter May aber wieder versöhnen, nicht haarsträubend, sondern plausibel, aber einfach unglaublich. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen, ohne zuviel zu verraten. Tod in Shanghai ist die Geschichte einer chinesisch-amerikanischen Beziehung, handelt von Gesichtsverlust, Habgier, Klüngel, chinesischer Polizeiarbeit und Pathologie. Eine gelungene Mischung, deren Auflösung noch nachhallt, wenn man das Buch schon zur Seite gelegt hat. Weniger wäre aber mehr gewesen...
Peter May, Goldmann
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