Ein ungezähmtes Tier
- Piper
- Erschienen: Februar 2025
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Raffiniert gestalteter Roman um Liebe, Geheimnisse und Verbrechen.
„Am 2. Juli 2022 sorgte ein spektakulärer Raubüberfall in Genf für große Aufregung. Von diesem Ereignis handelt der vorliegende Roman.“ Mit diesen Worten beginnt das neue Werk des 39-jährigen Schweizer Autors Joël Dicker. Und in der Tat entspinnt sich rund um dieses fiktive Verbrechen eine spannende Geschichte aus Missgunst, Liebe, Hass und Geheimnisse. Alles spielt im kleinen, aber noblen Ort Cologny in der Nähe des Genfer Sees. Dort, in einem Glaskubus direkt am Wald, lebt das vermögende und beruflich erfolgreiche Paar Arpad und Sophie Braun. Er arbeitet als Vermögensberater bei einer Privatbank, sie ist Anwältin mit eigener Kanzlei. Befreundet sind beide seit Kurzem mit dem Polizisten Greg und seiner Frau Karine, die als Verkäuferin tätig ist. Das Paar lebt seit einiger Zeit in einer Doppelhaushälfte in der „Warze“. So nennen die wohlhabenden Nachbarn spöttisch die Wohnanlage der gesellschaftlichen Mittelschicht in Mitten der Millionärsanwesen.
Zwischen den Vieren entwickelt sich trotzdem eine Freundschaft, die aber von Anfang an auch von Neid, Eifersucht und Begehren geprägt ist. So ist Greg regelrecht besessen von der attraktiven Sophie, beobachtet sie heimlich und spioniert sie aus. Arpad hingegen scheint in kriminelle Machenschaften verstrickt zu sein und Karines Verhältnis zu Sophie schwankt - auch wenn diese zu ihrer besten Freundin wird - zwischen Abneigung und Bewunderung. Greg und Karine sehnen sich insgeheim beide nach dem Glanz, dem Geld und der Ausstrahlung der reichen Freunde. Und dann gibt es noch den Unbekannten im grauen Peugeot, der plötzlich wie ein Schatten aus der Vergangenheit auftaucht und eine Verkettung von Ereignissen in Gang setzt, an deren Ende ein Raubüberfall steht, bei dem alles anders ist, als man vermuten sollte.
Erfolgreicher Schweizer Autor
Joël Dickers Romane sind weltweite Bestseller. „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ wurde als literarische Sensation gefeiert und brachte dem Schweizer Schriftsteller den „Prix Goncourt“ ein. Seine bislang sieben Romane wurden in 40 Sprachen übersetzt und haben sich weltweit 20 Millionen Mal verkauft. Der Autor wurde in Genf - dem Handlungsort seines aktuellen Romans - geboren und lebt auch heute noch mit seiner Familie dort.
Dickers Werke sind vor allem bei der französischsprachigen Leserschaft äußert beliebt und regelmäßig ein Verkaufshit. In Frankreich verkaufte sich „Ein ungezähmtes Tier“ über 500.000 Mal. Obwohl seine Romane zumeist zeitlich extrem verschachtelte, episodenhafte Geschichten sind, die sich stets zwischen Kriminalerzählung und Gesellschaftsroman bewegen, sind sie sprachlich eher schlicht und einfach. Vielleicht mit ein Grund dafür, warum sich Dickers Werke derart großer Beliebtheit erfreuen.
Eins sticht neben den raffinierten zeitlichen Erzählstrukturen aber leider ebenso ins Auge: Die Romane bersten vor Klischees und Stereotype. Auch „Ein ungezähmtes Tier“ bildet hier keine Ausnahme. Den Figuren fehlt es an Tiefe. Diese Oberflächlichkeit passt diesmal aber gut zum Spiel aus Schein und Sein, das Dicker hier meisterhaft versteht. Ihm gelingt es regelrecht, den Leser zu manipulieren, indem wir ihm immer wieder der von ihm dargestellten Welt und den Figuren vertrauen, bis man eines bessere belehrt wird. Dennoch stört es, dass sich die Protagonisten in ihrem Verhalten - auch zueinander - trotz der mehr und mehr aufgedeckten Geheimnisse kaum verändern. Hier fehlt es an psychologischer Relevanz. Lässt man sich aber auf diesen Erzählstil ein, überzeugt der Schweizer mit einer durchdachten, wendungsreichen und unterhaltsamen Gaunergeschichte.
Spiel mit der Zeit
Der Roman lebt auch von den unzähligen Zeitebenen, auf denen er spielt. Dass man dennoch nie die Übersicht verliert, liegt ganz einfach daran, dass Joël Dicker schlicht und ergreifend alles passend in die Geschichte einreiht. Wenn Sophie sich erinnert, wie sie Arpad einst kennenlernte, und danach überlegt, wie sie ihren 40. Geburtstag feiern wird, zaubert der Autor daraus drei Zeitebenen. Dabei sind die zeitlichen (Kapitel-)Hinweisen ebenso überflüssig wie die Unterteilung des Romans in drei Hauptabschnitte. Aber irgendwie gefällt sich Dicker in den ständigen Rück- und Vorblenden. Dennoch ist die Verwebung der verschiedenen Zeitebenen und auch Perspektiven an sich äußerst gelungen. Dies trägt sicherlich zum Spannungsbogen bei.
Fazit
Wie immer bei Joël Dicker - mit Ausnahme des „Harry Qeubert“ - ist auch „Ein ungezähmtes Tier“ kein inhaltlich komplexer oder sprachlich herausragender Roman. Diesen Anspruch hat der Autor auch gar nicht. Aber ihm gelingt erneut ein fesselnder, extrem spannender und unterhaltsamer Roman, den man nur ungern aus den Händen legen möchte. Und genau das zeichnet gute Spannungsliteratur aus.

Joël Dicker, Piper
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