Niemand hört dich
- Piper
- Erschienen: Januar 2025
- 2


Brutale Thrillerkost, die nur wenig zu überzeugen weiß.
Flensburger Förde, 12. September: Eine Spaziergängerin entdeckt gemeinsam mit ihrem Hund eine Leiche an der Küste von Nieby. Bei der Toten handelt sich um ein seit Wochen vermisstes dänisches Mädchen. Daher wird Ermittler Mads Lindstrøm, der eigentlich seinen so dringend benötigten Urlaub antreten möchte, zur Gerichtsmedizin nach Kiel geschickt. Dort macht er zusammen mit dem leitenden Arzt Werner Still eine erschreckende Entdeckung gemacht: Das Mädchen wurde nicht nur äußerst brutal gequält. Die Spuren deuten auch darauf hin, dass sie nicht das erste Opfer eines bestialischen Mörders ist.
Südlich der deutsch-dänischen Grenze fanden Ermittler vor etwa einem Jahr die verweste Leiche eines Mädchens, die vergleichbare Spuren aufwies. Der in diesem Fall ermittelnde deutsche Kommissar Thomas Beckmann schenkt Lindstrøms Theorie eines Serienkillers aber zunächst wenig Glauben. Und so ist der dänische Ermittler auf der Suche nach dem Täter weitestgehend auf sich alleine gestellt. Dann verschwindet ein weiteres Mädchen und Lindstrøm setzt alles daran, es lebend zu finden.
Thrillerdebüt
Die dänische Autorin Karen Inge Nielsen, Jahrgang 1978, gibt mit „Niemand hört dich“ ihr Thrillerdebüt, das im Original den passenderen Titel „Færgemanden“ (Der Fährmann) trägt. Dabei kommt ihr die berufliche Ausbildung durchaus gelegen: Nielsen ist Bioanalytikerin in pathologischer Anatomie und besaß schon immer ein großes Interesse am Tod, wie sie selber sagt. Das, was der Körper - auch nach dem Tod - offenbare, ziehe sie in seinen Bann.
Der Roman stellt den Auftakt der „Grenzland“-Trilogie dar, die in Dänemark für Aufsehen sorgte. Die weiteren Bände („Niemand sieht dich“ und „Niemand rettet dich“) erscheinen bereits in den nächsten Monaten beim Piper Verlag, der die Reihe für Freunde der Romane von Jens Hendrik Jensen, Stieg Larsson und Ethan Cross anpreist. Vergleiche sind immer gefährlich und in diesem Fall nur bedingt angemessen, da Nielsen nicht annähernd die erzählerische Qualität - besonders eines Larssons - erreicht. Und Achtung: Der Roman ist eine kleine Mogelpackung: Statt der angekündigten 336 Seiten endet der Thriller mit Seite 307. Der Rest ist eine Leseprobe, ein Interview und die Danksagung.
Grenzüberschreitend
Der Roman ist grenzüberschreitend - aber ganz anders, als man denken mag. Wer sich dazu entscheidet, den Roman zu lesen, sollte wissen, dass er sich auf eine äußerst brutale Erzählung einlässt, die in kaum zu ertragender Weise die Foltermethoden des „Fährmanns“ darstellt. Bewegt man sich damit bereits - aus meiner Sicht - in einem literarischen Grenzgebiet, trägt die Wahl der Opfer dazu bei, dass diese Grenze bei weitem überschritten wird. Denn die Folter junger Mädchen überspannt den Bogen maßlos. Wenn der dämonische Täter dann auch noch filmt, wie er seine Opfer bis zum Tode quält, blickt man tief in die Abgründe eines Wesens, das keinerlei menschliche Züge mehr trägt. Dass auch eine Prostituierte darüber hinaus ständig aufs übelste missbraucht und vergewaltigt wird, sorgt nur für Ekel und Abscheu. Thriller dürfen düster, mitunter brutal sein. Das mag ein immanentes Element des Genres sein. Hier wirkt es aber wie zum Selbstzweck, zumal am Ende das Motiv des Täters vollkommen offenbleibt.
Schwache Darstellung
Auch in seiner Erzählweise ist der Roman wenig überzeugend. Nielsen will mit Mads Lindstrøm einen Ermittlertyp zeigen, der unter der Last seiner Arbeit fast zugrunde geht und gleichzeitig nicht von seinem Job lassen kann. Seine in London lebende Schwester erinnert ihn dabei stets an den Vater, der ebenfalls Ermittler war und sich später umbrachte. Die gemeinsamen Telefonate der Geschwister lassen die Möglichkeit, der Figur des Ermittlers Tiefe zu geben, leider ungenutzt. Lindstrøm ist ein Eigenbrötler, der notfalls mit dem Kopf durch die Wand will.
Insgesamt bleiben die Figuren blass und wirken zu stereotyp. Neben dem ständig tadelnden Dezernatsleiter Per Teglgård und dem „ermittelnden“ Arzt Werner Still (der unverständlicherweise stets mit vollem Namen genannt wird) enttäuscht vor allem die Figur des beinahe lustlos wirkenden Kommissars Beckmann, der seinem dänischen Kollegen anscheinend nichts zutraut. Der deutsche Ermittler beteiligt sich erst spät und dann spürbar widerwillig an den Ermittlungen. Dabei wirkt die Suche nach dem Täter wie der gesamte Plot oftmals planlos und willkürlich. Ständige Zwischeninformationen von Ermittlern, die nicht weiterhelfen, da noch keine Ergebnisse oder Beweismittel vorliegen, sind mehr als störend. Man bekommt unwillkürlich das Gefühl, dass die Autorin rund um die Folterszenen eine Handlung konstruiert hat, die bis zum Schluss Fragen offenlässt.
Dass die Ereignisse im deutsch-dänischen Grenzgebiet spielen, bemerkt man inhaltlich beim Lesen nicht. Außer den unvermeidlichen Orts- und Personennamen und der vereinzelten Erwähnung der deutschen bzw. dänischen Minderheit könnte die Handlung an einem beliebigen Ort spielen. Denn anders als die ausgezeichnete NORDLICHT-Reihe von Anett Hinrichs, bei der eine gemeinsame deutsch-dänische Einheit ermittelt, thematisiert Nielsen weder die geschichtlichen noch die gesellschaftlich-politischen Besonderheiten dieser Region.
Fazit
Außer grenzenloser Brutalität und maßlosen Foltermethoden an Mädchen hat der Auftakt der Grenzland-Reihe wenig zu bieten. Die Figurendarstellung bleibt oberflächlich, die Handlung wirkt bruchstückhaft und eine angemessene Auflösung des Romans hinsichtlich des Tätermotivs fehlt. Ein leider enttäuschender Auftakt der Reihe, von dem man mehr erwarten durfte.

Karen Inge Nielsen, Piper
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