Doppelt oder nichts
- Cross Cult
- Erschienen: Mai 2023
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Im langen Schatten von 007.
Der britische Geheimdienst MI6 ist in Alarmbereitschaft: Wieder einmal greifen Superstrolche gierig nach der Weltherrschaft. Die Organisation „Rattenfänger“ bietet kapitale Gewalttaten an und lässt sich von allen anheuern, die ihre eindrucksvollen Honorare entrichten können. Dieses Mal ist ihnen womöglich Sir Bertram Paradise ins Netz gegangen. Er gilt als superreicher Gutmensch - schon dies eine verdächtige Kombination -, der die Welt vor dem ökologischen Super-Gau retten will. Mit Hilfe des womöglich leistungsstärksten Quanten-Computers aller Zeiten hat er ein Geo-Engineering-Projekt in Gang gesetzt, mit dem er an den Stellschrauben des irdischen Wetters dreht.
So etwas lässt sich auch als Waffe einsetzen, sodass MI6 Sir Bertram scharf beobachten lässt; dies erst recht, weil die das Projekt leitende Wissenschaftlerin und der Sicherheitschef verschwunden sind. Hat „Rattenfänger“ die Klauen im Spiel? Das sollte vor 17 Monaten Geheimagent 007 (alias James Bond) auskundschaften, aber auch er ist so gründlich von der Bildfläche verschwunden, dass man nicht mehr an sein Überleben glaubt.
Nun muss 004 (alias Joseph Dryden) an die Front. Mit einem hoffentlich überzeugenden Lebenslauf schleust MI6 ihn in Paradises Führungszirkel ein, wo er einem alten Freund (und Geliebten) wiederbegegnet. Gemeinsam sollen sie Sir Bertram und das Projekt schützen - vor Terroristen und Spionen, oder vor den Nachforschungen des Geheimdienstes?
Agentin 003 (alias Johanna Harwood) will nicht an Bonds Ende oder Verrat glauben. Auf eigene Faust folgt sie den dürftigen Indizien. Schon einmal geriet sie dabei in Gefangenschaft und musste vom Kollegen 009 (alias Sid Bashir) herausgehauen werden. Zwar wird auch sie in die aktuelle Mission eingebunden, aber sie hält vor und nach wüsten Konfrontationen mit den „Rattenfängern“ die Augen offen ...
Sogar die Bond-Welt dreht sich weiter
Dass noch niemand früher darauf gekommen ist ... „Franchise“ bedeutet schließlich auch, dass man eine gut eingeführte und einträgliche Fiktivwelt nicht nur als Spielplatz für inhaltlich wie formal austauschbare Filmspektakel mit im Voraus gut schätzbaren Zuschauerzahlen nutzt, sondern das Figurenpersonal austauschen kann, wenn ein Darsteller ausfällt oder zickt.
Bisher ging James Bond 007 stets persönlich und gern im Alleingang gegen pompös- größenwahnsinnige, überlebensgroße Möchtegern-Weltherrscher vor, die in der Regel sprechende (oder wenigstens seltsame) Namen trugen - Sir Bertram Paradise reiht sich hier ein -, ihr Tun mit dröhnenden Phrasen verklären und über einen Ameisenstaat kaum zu unterscheidender Helfershelfer und Söldner verfügen, unter denen höchstens eine/r heraussticht, weil er (oder sie) noch fanatischer und verrückter ist als der Chef.
Obwohl Bond stets in Lebensgefahr geriet, konnte er sich irgendwann nicht nur befreien, sondern auch das Böse (erst den irren Sidekick, dann den Boss) ausschalten. Früher feierte Bond einen solchen Sieg, indem er sich Urlaub mit einer schönen Frau gönnte, aber dieses Vergnügen muss in diesen politisch korrekten Zeiten gedimmt werden. Stattdessen schleichen sich sogar echte Gefühle ein: 003 war einst Bonds Geliebte, bevor sie sich für den solideren 009 entschied, den sie aber auch nicht geheiratet hat, weil er es war, dem 007 im Rahmen ihres gemeinsamen Einsatzes verlorenging.
Nehmen wir uns lieber Zeit
Im Rahmen dieses von Kim Sherwood gestarteten Spin-offs werden sich viele Gelegenheiten bieten, diese u. a. unausgesprochene und unbewältigte Zwischenmenschlichkeiten zu verfolgen. Schon dieser Roman ist mit knapp 500 Seiten nicht gerade dünn geraten, aber er ist erst der Auftakt der sog. „Double“-Trilogie, die sich umfänglich mit dem „Herrn-der-Ringe“-Epos messen kann.
Zwar erzählt Sherwood eine Agenten-Mär, wie sie sinnloser auch im modernen Bond-Kino nicht stattfinden könnte, aber ganz aus dem Spiel nehmen will das Franchise 007 doch nicht: Wie eine Karotte hält man ihn uns Lesern vor die Nase, um in Rückblenden von Zeit zu Zeit an seine Existenz zu erinnern. Falls Bond noch lebt - dass dies in Frage steht, ist ein Unsinn, den uns höchstens die Verlagswerbung glauben machen will (und diese Anmerkung somit kein Spoiler) -, ist mit seinem Auftauchen erst in Band 3 zu rechnen.
Sherwood startet, indem sie dem Bond-Kino das Action-Intro vor dem Einsetzen des Titelvorspanns übernimmt und mitten in eine dramatische Geiselbefreiung schaltet. 009 rettet 003, wobei schon ein erster Seltsam-Sadist ins Gras beißen muss. Dann geht es zurück nach London. Dort setzt eine sehr lange Einleitung ein, die uns mit einer veränderten Basislage vertraut macht. Keine Angst, die Neuschöpfungen sind nicht wirklich drastisch, um die 007-Fanboys (bzw. -girls) nicht zu verärgern oder gar von der weiteren Lektüre (und dem Kauf der beiden nächsten Bände) abzuschrecken.
„Q“ hat sein Endstadium erreicht
Die Zentrale von MI6 brummt vor Geschäftigkeit, denn die Bond-Thriller bieten die Möglichkeit, sich wie in den Zeiten des „Empire“ immer noch als Dominanzfaktor in einer Gegenwart zu führen, in der Großbritannien zu einer Sekundärmacht herabgesunken ist. Was man im MI6-Geheimkeller auffährt, dürfte den Neid echter Geheimdienstleute erregen. Sogar für jene Überwältigungsarchitektur, die wir aus den Filmen kennen, gibt es hier Geld.
In diesem Umfeld gelingt Sherwood eine originelle Idee: „Q“ in Gestalt des genial-tatterigen Major Boothroyd ist tot, es lebe „Q“, der Quanten-Computer! Der nähert sich allmählich dem Status einer Künstlichen Intelligenz und kann die wichtigsten Agenten bei deren Einsätzen ‚begleiten‘, denn diese bekommen einen Sender implantiert, mit dem sie in direktem Kontakt mit „Q“ stehen. Auch 004 meldet deshalb zeitgleich, was gerade vorgeht, während er Sir Bertrams Höhle der technischen Wunder ausspioniert. (004 ist übrigens schwul, Moneypenny zur Quasi-Stellvertreterin des alten M aufgestiegen, womit auch die Punkte LGBT und Diversity abgehakt sind.)
Was die Handlung als solche angeht, darf man sich auf die übliche Mischung aus Hightech, schieflaufender Planung, Lebensgefahr und Gewalt verlassen, während Gut und Böse einander pingpongballartig um den Globus jagen. Ins Detail muss und sollte man nicht gehen, um sich nicht selbst zu ernüchtern und eines Vergnügens zu berauben, das zwar zum x-ten Mal aufgewärmt wird, aber trotzdem funktioniert, weil es flüssig bzw. routiniert beschrieben wird - dies jedenfalls außerhalb jener leimfädenziehenden Passagen, die der erwähnten Pflege verletzter Emotionen vorbehalten sind.
Fazit
Roman aus der James-Bond-Welt, obwohl 007 missionsbedingt abwesend ist. Er wird vertreten durch wortreich eingeführte, dennoch flach bleibende Figuren, die erst zum Leben erwachen, wenn sie Strolchen die Felle gerben: Routiniert spinnt die Autorin Garn, das sich über drei Bände spannen wird. Schon jetzt weist die Handlung Leerstellen, Wiederholungen und Ellipsen auf, um auf Trilogie-Länge gebracht zu werden. Thriller-Action der bewährten Art mischt sich zudem mit aufgepfropfter Pseudo-Emotionalität.

Kim Sherwood, Cross Cult
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