Wenn alles mobben nicht mehr weiter hilft...
Eigentlich beginnt auch dieser Bürotag so wie jeder andere: Irgendwer schließt auf, nach und nach bevölkern die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Schreibtische, man trifft sich noch in Ruhe auf einen Kaffee, ein kleines Schwätzchen, was das Wochenende so gebracht hat - wie es halt so im Office-Alltag läuft. An diesem Tag ist es doch ein bisschen anders, denn der kleine Cubus von Dawn Schiff, einer der neuen Mitarbeiterinnen und sonst pünktlich wie ein Uhrwerk, bleibt leer.
Niemand hat etwas von ihr gehört und dabei hatte Dawn doch vor ihrem Verschwinden den Geschäftsführer um ein dringendes Gespräch gebeten. In der Firma gehörte die penible Frau leider nicht zu den beliebtesten Kolleginnen und so nimmt es die glamouröse Starverkäuferin Natalie auf sich, nach Dawns Verbleiben zu forschen. Was wusste man eigentlich über sie? Sie ging vielen mit ihrer absoluten Liebe zu Schildkröten auf den Zeiger, wohnte allein in einem kleinen Haus und verwaltete akribisch die Rechnungsbücher der Firma. Eigentlich nichts Besonderes. Dennoch wird das Verschwinden Dawns immer mysteriöser und Natalie verstrickt sich immer mehr in einen nicht enden wollenden Alptraum.
Der Büroalltag kann schon ein Krimi sein
Wir alle kennen sie: Die "lieben" Kollegen", mit denen wir meistens mehr Stunden am Tag gemeinsam verbringen als zum Beispiel mit unseren Freunden oder Partnern. Für die Kolleginnen von Dawn Schiff mag das nicht immer ganz einfach gewesen sein, konnte sie doch viele mit ihrer offenen Ehrlichkeit und Sachlichkeit ganz gewaltig vor den Kopf stoßen. Das konnte ganz schön weh tun, will doch generell niemand hören, dass es beispielsweise rein statistisch vollkommen unwahrscheinlich ist, noch den Partner fürs Leben kennen zu lernen, wenn ein gewisses Alter überschritten ist.
Andererseits - auch Dawn konnte genauso auf haarstäubende Erlebnisse in der Firma zurückblicken: Mit geschickten Falschinformationen wurde sie von Meetings ferngehalten und sehr deutlich und hässlich wurde ihr bedeutet, dass sie auf der Betriebsparty nicht willkommen war. Ohne strafrechtlich relevant zu sein, ging das schon sehr weit. Dennoch setzt Freida McFadden mit ihrem Roman noch gewaltig einen drauf: Neben dem ganz alltäglichen Hickhack und dem - hoffentlich - nicht so "normalen" Mobbing entwickelt sie einen gut erzählten, spannend aufgebauten Kriminalroman, der seine Leser*innen mindestens bis zur Hälfte des Buches vor riesige Rätsel stellt.
Opfer und Täterin - wer ist eigentlich was?
Wer die Autorin aus der Reihe um Nita Prose und die "The Maid" Romane kennt, weiß, dass sie eine besondere Vorliebe für Heldinnen mit autistischen Zügen hat. Jeder Hobbypsychologe erkennt auch bald diese Züge bei Dawn und so bleibt es fraglich, ob sie tatsächlich allein die ganze Zeit zum Spielball ihrer gemeinen Kolleginnen wird. Naturgemäß ändert sich dann auch im zweiten Teil die Bühne: Wussten wir bisher über Dawn nur das, was im Büro über sie erzählt wurde oder was sie in ihren Mails ihrer besten Freundin mitteilte, so wird das bisherige Opfer zum Mittelpunkt der Entwicklungen. Spannend klärt McFadden hier die Täter und Opfer-Beziehungen auf und erzählt von alten und neuen Verbrechen, die vieles möglicherweise vollkommen neu beleuchten. Nicht alles ist wirklich wahrscheinlich, einiges wirkt wie ein bisschen „passend gemacht" - aber dennoch werden hier die Erwartungen der Leser*innen einmal komplett durcheinandergewirbelt.
Fazit
Freida McFadden erzählt einen spannenden Roman aus dem Büroalltag, der allein schon mit seinen boshaften Verwicklungen für einen Krimi herhalten können. Aber dass Täter und Opfer nicht allein immer an allem schuld oder der Spielball der gemeinen Kollegen sind, wird hier spannend aufbereitet - bis wir mit dem finalen Twist lernen, dass jede/r auf seine Art gefährlich sein kann.

Freida McFadden, Heyne
Deine Meinung zu »Die Kollegin«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!