Tokio Express
- Kampa
- Erschienen: August 2024
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Ein feiner, intelligenter Kriminalroman!
An einem kalten Januarmorgen findet ein Arbeiter an einem felsigen Strandabschnitt in der Bucht von Hakata die Leichen eines jungen Paares aus Tokio. Nichts deutet auf ein Gewaltverbrechen hin. Der Mann und die Frau, die so friedlich nebeneinander liegen, scheinen durch eine Zyankali-Vergiftung freiwillig aus dem Leben geschieden zu sein. Laut dem ermittelnden Kommissar spricht ohne Zweifel alles für einen Doppelselbstmord der jungen Liebenden. Als herauskommt, dass der Mann möglicherweise in eine Bestechungsaffäre verwickelt war, haben die Beamten auch ein Motiv. Nur der erfahrende Kriminalbeamte Jūtarō Torigai kann mit dem Fall nicht so schnell abschließen. Wenn offenbar das Pärchen gemeinsam mit dem Zug aus Tokio anreiste, warum aß Kenichi Sayama dann allein im Speisewagen und buchte für seine Geliebte Toki kein Hotelzimmer? Verhält man sich so als verliebtes Paar, das gemeinsam in den Tod gehen will? Torigai stößt auf weitere Ungereimtheiten, muss sich seinem Chef gegenüber aber zurückhalten. Nur der junge Polizist Kiichi Mihara aus Tokio schenkt im Gehör. Auch er zweifelt an der Selbstmordtheorie. Auf der Suche nach der Wahrheit führen ihn seine Ermittlungen durch ganz Japan. Beim Versuch, den Tathergang minutiös zu rekonstruieren, wird deutlich, dass es Mihara mit einem ungemein intelligenten Täter zu tun hat.
Klassiker neu entdeckt
Seichō Matsumoto, geboren 1909, gilt als einer der bedeutendsten Krimiautoren Japans. Aufgewachsen als Einzelkind in ärmlichen Verhältnissen, besuchte er nur die Grundschule. Er arbeitete als Bote in einer Elektrofirma, in einem Bonbonladen und später über zwanzig Jahre als Grafiker bei einer überregionalen Zeitung. 1950 belegte er bei einem Literaturwettbewerb den dritten Platz, wenig später gelang ihm mit seinem zweiten Roman der Durchbruch und er erlangte landesweit Bekanntheit. 1956 ließ er sich als freier Schriftsteller nieder. In rascher Folge erschienen seine Meisterwerke, mit denen er den japanischen Kriminalroman neu erfand. Matsumoto starb 1992 und genießt in Japan bis heute ungebrochene Popularität: Er gilt als der „japanische Georges Simenon“, legte er doch mit über vierhundertfünfzig Werken eine ähnliche literarische Produktivität an den Tag. Neben Krimis, in denen er oftmals gesellschaftliche Missstände aufzeigt, die der Grund für viele Verbrechen seien, schrieb er auch historische Romane und Sachbücher.
Die japanische Originalausgabe von „Tokio Express“ erschien 1958 unter dem Titel „Ten to sen“. Die deutsche Erstausgabe legte 1969 der Verlag Volk und Welt unter dem Titel „Spiel mit dem Fahrplan“ vor. Nun veröffentlicht der Züricher Kampa Verlag eine Neuauflage in einer von Mirjam Madlung grundlegend überarbeitete Übersetzung.
Prägnante Erzählweise
Matsumoto war kein Freund eines bildreichen, aufgeladenen Schreibstils. Stattdessen verwendete eine klare, konzise Sprache, um mit wenigen Worten die Dinge zu beschreiben. So ermöglichen seine genauen Schilderungen, wie sich der junge Polizist Kiichi Mihara auf die Suche nach dem Täter macht, jedem Leser, mitzurätseln. Da Autor Seichō Matsumoto die Perspektive des Kriminalbeamten wählt, ist man immer auf dem aktuellen Stand der Ermittlungsarbeit. Mehr noch: Mihara rekapituliert stets seine gemachten Ergebnisse und Informationen mit Hilfe von Abbildungen und Listen, so dass man als Leser das Gefühl bekommt, sich gemeinsam mit ihm auf Tätersuche zu befinden.
Aber nicht nur der präzise, niemals ausufernde Erzählstil sorgt dafür, dass die Handlung und damit auch die Beweisführung Miharas ungemein stringent sind. Denn bei aller detailverliebten Ermittlungsarbeit fehlt im Roman etwas fast völlig, was in modernen Krimis oft einen großen Bereich einnimmt: das Privatleben des Ermittlers. Der Plot ist ganz auf die Überführung des Täters fokussiert. Lediglich zu Beginn erhält der Leser einen kurzen Einblick in das Familienlebens Jūtarō Torigais. Allerdings dient dies tatsächlich zur Bestätigung einer Vermutung, die der erfahrene Kriminalbeamte hegt.
Spannende Mörderjagd
Trotz aller Kürze - der Roman umfasst nur gut 200 Seiten - sollte man aufmerksam lesen, um wichtige Informationen nicht zu übersehen und die clevere Beweisführung zu genießen. Die Suche Kiichi Miharas nach Hinweisen und Belegen endet auch mal in einer Sackgasse. Dann ärgert sich der junge Polizist, verflucht sein offenbar dilettantisches Vorgehen und befürchtet, dass der Täter ihm entkommen könnte. Um ihn zu überführen reist Mihara quer durch Japan und studiert zahlreiche Abfahrts- und Ankunftszeiten von Zügen, Fähren und Flugzeugen. Aber dank seiner Beharrlichkeit, Akribie und am Ende auch der Unterstützung Torigais gelingt es ihm, dem Täter auf die Schliche zu kommen.
Fazit
Die Wiederentdeckung Seichō Matsumotos ist ein kriminalistischer Hochgenuss. „Tokio Express“ überzeugt als ein wunderbar entschlackter, gradliniger und auf den Punkt gebrachter Roman, an dem nicht nur Liebhaber des klassischen Whodunits im Stile Agatha Christies, Georges Simenons oder Arthur Conan Doyles ihre Freude haben werden. Bleibt zu hoffen, dass der Kampa Verlag weitere Titel des in seiner Heimat bis heute äußerst populären Autors nachlegen wird.
Seicho Matsumoto, Kampa
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