Der Metzger gräbt um
- Haymon
- Erschienen: Oktober 2024
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Raab lotet die Grenzen des Kriminalromans aus.
Die Existenz des Restaurators Willibald Adrian Metzger wurde im wahrsten Sinnes des Wortes in Schutt und Asche gelegt: seine Werkstatt abgebrannt, seine Wohnung zerstört und Wien ist für ihn und seine frisch angetraute Danjela Djurkovic kein sicherer Ort mehr, auch wenn Danjelas Clan-Familie von der Polizei ein für alle Mal das Handwerk gelegt wurde. Nun sind beide heimatlos, alles verloren, sogar den Namen. Als Willi Weber, Inhaber einer Puppenklinik, baut sich der Metzger mit seiner Danjela zwischen Beeten und Gartenzwergen in einer Kleingartensiedlung ein neues Leben auf. Doch die vermeintliche Idylle entpuppt sich als trügerisch und Willibald kann das kriminalisieren nicht lassen. Die stets mosernde und wegen ihres unausstehlichen Temperaments wenig beliebte Parzellennachbarin Wilhelmine Wiskoziel liegt eines Tages tot in ihrem Whirlpool. Jetzt hat der Metzger wenigstens Ruhe vor der „Delirium-Wanzn“. Aber dennoch beschleicht ihn der Verdacht, dass die ungeliebte Nachbarin nicht ganz aus freien Stücken aus dem Irdischen geschieden ist. Also macht sich Willibald auf die Suche nach dem Täter und gräbt so manches Geheimnis der benachbarten Naturfreunde dabei aus, welches eigentlich im Verborgenen bleiben sollte.
Meister der Sprachgebilde
Der 1970 in Wien geborene Thomas Raab versuchte sich nach seinem Abitur zunächst als Liedermacher, bevor er seinen Studienabschluss in Mathematik und Sportwissenschaften machte, um anschließend zehn Jahre einerseits als Lehrer an einem Gymnasium zu arbeiten, andererseits im Musical- und Musiktheaterbereich und als Singer-Songwriter tätig zu sein.
2006 kam ihm die Idee zu seinem ersten Roman, der von einem Restaurator handeln sollte. Sicherlich konnte Raab damals noch nicht ahnen, dass die mehrfach ausgezeichnete Reihe um Willibald Adrian Metzger derart erfolgreich sein würde. Dies ermöglichte es aber dem Wiener, fortan als freischaffender Schriftsteller, Drehbuch-Autor, Kolumnist und Musiker zu arbeiten. Neben dem Metzger lässt Raab auch die betagte Frau Huber ermitteln, wie zuletzt in „Peter kommt später“ (KiWi-Verlag).
Nun erscheint nach vier Jahren Pause - abgesehen von der kürzeren Kriminalgeschichte „Der Metzger fällt nicht weit vom Stamm“ (2022) - der insgesamt zehnte Metzger-Roman. Und der weiß erneut mit Wort- und Sprachwitz sowie einer Portion Sozial- und Gesellschaftskritik zu überzeugen.
Ein Menschenschlag für sich
Dem Charme einer Kleingartensiedlung kann man sich nur schwer entziehen: sei es wegen der Ruhe in dieser Naturoase oder wegen der mitunter skurrilen Menschen, die hier ihr Kleinod mit hingebungsvollem Einsatz pflegen. Dieser soziale Mikrokosmos ist nun auch die neue Heimat des Metzgers und seiner Danjela. Und dennoch fehlt dem Willibald seine liebgewonnene Werkstatt, sein Gewölbekeller, seine Heimat und nicht zuletzt auch sein einzig wahrer Freund, Hausmeister Petar Wollnar. Da ist seine kleine Bastelecke im Gartenhäuschen kein wirklicher Ersatz, lenkt aber zumindest ab - oder schärft besser gesagt seine Gedanken. Denn der Mord an der Frau Wiskoziel lässt ihn ebenso wenig in Ruhe, wie die heimlichen Turteleien zwischen Rosenbeeten und getrimmten Thujenhecken. Und zuletzt findet Angelika Baluschek nicht nur zusammen mit dem Metzger die Leiche, sondern scheint auch so manches Geheimnis zu verbergen.
Sprachliches Feuerwerk
Gewohnt hangelt sich der Metzger in mal irrwitziger, mal aberwitziger Weise durch seinen neuen Alltag und stolpert dabei einmal wieder über ein Verbrechen. Anders als im vorherigen Band „Die Djurkovic und ihr Metzger“ geschieht dies nun wieder in ruhigerer Weise, auch wenn es Thomas Raab ab und an im wahrsten Sinne des Wortes knallen lässt.
Dennoch schafft es der Wiener Autor nicht ganz, an die Klasse früherer Bände der Reihe anzuknüpfen. Raab ist bekannt für seine Sprachgebilde, in die er sich diesmal aber ab und an etwas verheddert, da trotz aller Leichtigkeit und so manchen skurrilen Einfall der Spannungsbogen etwas zu häufig unterbrochen wird. Zwar stand das Verbrechen auch in den Vorgängerbänden nie wirklich im Zentrum der Romane, sondern stets die Figuren in all ihrer skurrilen Liebenswürdigkeit. Aber selten war es derart schwer, der Handlung zu folgen. Immer wieder löst Raab den Spannungsbogen mit kleineren Nebenhandlungen und humorvollen Episoden auf. Diese sind für sich genommen ebenso unterhaltsam wie pointiert, lenken aber doch zu stark von der eigentlichen Handlung ab. Es wird Leser geben, denen genau dies gefällt - ist es doch auch ein typisches Element der Metzger-Romane. Diesmal meint es der Autor aber dann doch etwas zu gut damit.
Sozial- und Gesellschaftskritik
Zuletzt darf aber nicht vergessen werden, dass Raab ein feines Gespür für sozial-gesellschaftliche Ungerechtigkeiten besitzt, was sich immer wieder auch in seiner Figurendarstellung widerspiegelt. Vordergründig überzeichnet wirkenden Figuren wie die Bewohner des Wiener Gemeindebezirks Rudolfsheim-Fünfthaus, die aber in ihrer Darstellung viel mehr Tiefe besitzen, geben dem Roman eine bedeutungsschwere Ebene. Sie sind alles andere als Lachfiguren, sondern reale Menschen am Rande der Gesellschaft, deren Schicksal aber keinen wirklich zu interessieren scheint. Raab versteht es, ihnen Gehör zu verleihen und sie nicht der Lächerlichkeit preis zu geben.
Fazit
Ein sprachgewaltiger, hintergründiger und auf einer tieferen Ebene bewegender Roman. Genau das kann Thomas Raab. Leise Töne, Sozialkritik und traurige Existenzen - versteckt hinter einem unvergleichlichen Sprachgewitter. Darunter leidet aber etwas die Spannung und das Tempo der Kriminalerzählung. Das muss man wissen. Aber wer Raab kennt, nimmt das gerne in Kauf.
Thomas Raab, Haymon
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