Die vergessenen Kinder
- Heyne
- Erschienen: September 2024
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Viele Themen und Perspektiven erdrücken die eigentliche Geschichte.
Kurz vor ihrer Pensionierung holt die Vergangenheit die Polizistin Joanna Hamilton ein. Im Jahr 1975 wird sie zu einem Einsatz gerufen, bei dem es sich um häusliche Gewalt handelt. Sie ist allein auf Streife, aber ganz in der Nähe des Geschehens. Obwohl sie auf Verstärkung warten müsste, verschafft sie sich Zutritt zum Haus der Moores. Im Feuer, das kurz darauf ausbricht, kommen der Mann und die Frau ums Leben. Die Kinder können gerettet werden. Mit einem unguten Gefühl bringt Jo die beiden Mädchen Holly und Daisy Moore ins Waisenhaus Morgate.
Die Zeit rennt davon
Vierzig Jahre später: In fünf Tagen geht Jo Hamilton in den Ruhestand. Ausgerechnet jetzt wird an der Küste eine Leiche gefunden, die schon sehr lange dort gelegen haben muss. Was Jo ahnt, wird wenige Tage später zur Gewissheit: Es ist die Leiche von Holly Moore, die vor dreissig Jahren plötzlich verschwand. Jo setzt alles daran, den Fall aufzuklären, bevor sie den Polizeidienst quittiert. Noch immer plagt sie das schlechte Gewissen, die beiden Mädchen damals ins Waisenhaus gebracht zu haben. Doch aus ihr unerfindlichen Gründen versucht ihr Vorgesetzter, Carl, sie zurückzuhalten. Er schlägt ihr vor, in den verbleibenden Tagen ihr Büro aufzuräumen und es ruhig angehen zu lassen. Jo vermutet eine Verschwörung, findet aber keine Beweise. Und sie kann den Fall nicht einfach abgeben. Dafür geht er ihr viel zu nahe. Sie will endlich herausfinden, was es mit Hollys Verschwinden auf sich hat. Wie und warum sie starb. Und sie will etwas wiedergutmachen.
Viele Themen überladen den Plot
Die Geschichte von Emily Gunnis spielt auf vier Zeitebenen. Sie beginnt im Jahr 1975, dem Jahr, in dem die beiden Mädchen Holly und Daisy ihre Eltern verlieren und in ein Waisenhaus kommen. Ein Ereignis, das die junge Polizistin Jo nicht mehr loslässt. Danach sind vor allem die Jahre 1985 und 2015 von Bedeutung. Denn 1985 wird das Waisenmädchen Gemma tot aufgefunden. Damals ging man von einem Selbstmord aus. Doch für Jo haben Gemmas und Hollys Tod eine Gemeinsamkeit.
Und dann sind da noch die Rückblicke ins Jahr 1944, in dem Jo’s Mutter Olive in Bletchley Park als Meldefahrerin ihre Arbeit aufnimmt. Viele Mitarbeiter versuchen dort den Code für den geheimen Funkverkehr der Deutschen zu entschlüsseln. Diese Episode scheint in gewisser Weise fehl am Platz zu sein, klärt sich aber zu einem späteren Zeitpunkt auf.
Im Mittelpunkt des Romans stehen aber vor allem die beiden Mädchen Holly und Daisy und das Leben der Polizistin Joanna Hamilton. Jedoch haben die verschiedenen Erzählstränge und Themen eine eher erdrückende Wirkung und überlagern das eigentliche Geschehen. Es geht hauptsächlich um häusliche Gewalt, Missbrauch, Vergewaltigung, Vernachlässigung, Familienverhältnisse, Frauenfeindlichkeit und vieles mehr. Ein sehr grosses Paket. Die Ermittlungsarbeiten rückenden demzufolge in den Hintergrund. Dadurch verliert der Roman an Tiefe und die Figuren bleiben eher farblos. Das ist sehr schade, denn die Themen hätten in etwas reduzierter Form eine gute Grundlage geboten. Zudem wirkt die Verkettung aller beteiligten Personen, ob verwandt, befreundet oder bekannt, etwas zu konstruiert. Es fehlt auch an Raffinesse, um die vielen sich wiederholenden Erklärungen überflüssig zu machen. Schuldig bleibt die Autorin zudem das Motiv für die Morde, denn die gelieferten Erklärungen genügen nicht. Dennoch hat der Roman spannende Momente und der Einblick in das Leben in Bletchley Park ist sehr interessant.
Fazit
Das Thema Familie, zu hohe Erwartungen und falsche Entscheidungen prägen diesen Roman. Die eher etwas blassen Charaktere überzeugen nicht so ganz. Ganz im Gegensatz zum Spannungsaufbau. Hier gelingt es der Autorin, mit einer überraschenden Wendung gegen Ende das Interesse zu halten.
Emily Gunnis, Heyne
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