Die Leiche im Moor

  • Independently published
  • Erschienen: Mai 2024
  • 0
Die Leiche im Moor
Die Leiche im Moor
Wertung wird geladen
Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2024

Die grimmige Intensität der Rache.

In Guildford, einer Kleinstadt in der alten englischen Grafschaft Surrey, geht Detective Chief Inspector Craig Gallard seiner Arbeit für die lokale Kriminalpolizei nach. Er ist gut vernetzt, versteht sich mit seinen Vorgesetzten und genießt unter den Kollegen einen Ruf als nicht unbedingt enthusiastischer, aber professioneller Ermittler.

Nun weckt ein aktueller Fall Gallard aus seinem Alltagstrott. Die Ehefrau des berühmten Kriminologen und Universitätsdozenten Martin Knight ist verschwunden; eine Tatsache, die den Gatten zunächst nicht besonders zu interessieren scheint. Gallard denkt da anders, denn Elizabeth ist eine Jugendliebe, die er keineswegs vergessen hat.

Obwohl sein Chef wenig begeistert reagiert - Knight ist berüchtigt dafür, die Polizei als unfähig und faul anzuprangern -, lässt er Gallard die Angelegenheit untersuchen; dies auch deshalb, weil kurz darauf Knight selbst nicht mehr aufzufinden ist. Angeblich gönnt er sich einen Kurzurlaub, doch womöglich weiß er mehr über das Schicksal seiner Gattin und will sich keinem Verhör stellen.

Offiziell galten Martin und Liz Knight als Vorzeigepaar. Die Ermittlung bringt allerdings diverse Fakten ans Tageslicht, die auf ernsthafte, wenn nicht sogar juristisch relevante Probleme schließen lassen. Darüber hinaus häufen sich Spuren, die auf den Versuch einer Leichenbeseitigung hinweisen. Was sich im Labor herausfinden lässt, deutet auf Liz Knight als Mordopfer hin.

Die Fahndung nimmt Fahrt auf, doch der Gatte bleibt verschwunden; womöglich gelang es ihm, sich auf den Kontinent abzusetzen. Hartnäckig bleibt ihm Gallard auf der Spur. Mehr und mehr Indizien kommen zutage, die Knight als Mörder brandmarken. Dass die Wahrheit gänzlich anders aussieht, stellt Gallard erst (zu?) spät fest ...

Neue (Ab-) Wege für ein altehrwürdiges Genre

So weit ist es gekommen: Der Startschuss für eine neue Krimiserie, die einen britischen Ermittler in den Mittelpunkt stellt, wird nicht mehr von einem der ‚renommierten‘ Verlagshäuser, sondern von einem Selbst-Publizierer abgefeuert. Binnen weniger Jahre hat sich die deutsche Szene radikal verändert. Kriminalgeschichten, die in der modernen Gesellschaft verwurzelt sind und im Rahmen eines Verbrechens politische und gesellschaftliche Probleme widerspiegeln, werden längst nicht mehr so oft wie früher veröffentlicht. ‚Historische‘ = schablonenhaft historisierende, in mehr oder weniger akkurat bzw. farbenfroh nachgezeichneten Vergangenheiten spielende, gern tradionsdekorierte Vorbilder wie Agatha Christie etc. imitierende Krimi-Schwänke haben sie ersetzt.

Selten fehlen außerdem ausgiebigst wiedergekäute Zwischenmenschlichkeiten, die Autor/inn/en wie Elizabeth George oder „Robert Galbraith“ (= Joanne K. Rowling) in bis zu anderthalbtausendseitigen Monstrositäten zelebrieren: Das alte Volkslied von den beiden Königskindern, die einander so lieb haben, doch durch die Ungunst der Umstände nicht zusammenkommen können, wird ad nauseam und bis zum Eutertod ausgemolken, während das unterhaltsame Verbrechen zum schmückenden oder rechtfertigenden Beiwerk gerinnt.

Schlechte Zeiten also für Leser, die ‚echte‘ Krimis bevorzugen. Gänzlich ausgestorben und als Zielpublikum nicht mehr existent scheinen sie jedoch nicht zu sein. Wie sonst ließe sich seit geraumer Zeit die Zunahme „unabhängig“ veröffentlichter Krimis erklären? Man muss sie suchen, wo sie sich im trüben Sumpf der in den digitalen Äther geblähten Amateur-Elaborate verlieren, welche den eigentlich nicht negativ besetzten Begriff „trivial“ in den Orkus des Gefühlsdusel-Grauens zu spülen drohen, denn dort kann man sie finden.

Die wohltuende (Schreib-) Hand des Profis

Dies bedeutet nicht, dass wir mit „Die Leiche im Moor“ auf einen Klassiker des Polizei-Krimis gestoßen sind oder mit Autor Nick Louth ein neuer Meister ins Lese-Licht rückt. Schon der Blick auf die Publikationsliste verrät, dass hier eher ein Vielschreiber am Werk ist: Bis zu drei neue Kriminalromane präsentiert Louth jährlich! „Die Leiche im Moor“ bzw. die Craig-Gallard-Serie wurde erst 2017 gestartet und bereits 2023 mit Band 12 (!) vorläufig (?) eingestellt; Louth hat genug andere Eisen im Krimi-Feuer.

Erwartungsgemäß lesen wir hier einen Krimi, der eher durch solides Handwerk besticht; ein Faktor, den man keineswegs unterschätzen oder gar verschmähen sollte! Die ‚hohe Kunst‘, die es durchaus auch im Kriminalroman gibt, stellt eine sehr schmale und scharfe Schneide dar. Viele gerühmte Autoren verenden dort, weil sich ihre Bemühungen um Originalität, Dramatik und Relevanz als solche (zu) deutlich erkennen lassen. Nick Louth nimmt an diesem zweifelhaften Wettbewerb nicht teil. Stattdessen schreibt er, und auch um die Veröffentlichung seiner Werke kümmert er sich selbst. Offensichtlich funktioniert dieses System für ihn, und es hinderte ihn nicht (mehr) daran, es übersetzt nach Deutschland zu schaffen. (In seinem Blog freut er sich gerechtfertigt darüber.)

Louth hat begriffen, dass eine spannende, gut erzählte Geschichte nicht zwangsläufig durch die weiter oben erwähnten „Zusatzvergütungen“ an Unterhaltungswert gewinnt. Dies führt zur Entstehung eines Serien-Kosmos’, den wir kennen: Nicht nur Craig Gallard, sondern auch die Mitglieder seines Teams werden uns ausführlich vorgestellt, und die Region Sussex sorgt für dem Verfasser gut bekannte und intensiv genutzte Schauplätze. Louth klammert das Privatleben der Hauptfiguren keineswegs aus. Er lässt es in die Primärhandlung einfließen, statt es diese überwuchern zu lassen: Im Mittelpunkt steht - es sei hier wiederholt - der „Fall“!

Harter Tobak aus der Provinz

Heutzutage wird auch im Krimi mit harten Bandagen gekämpft. Die Skandinavier haben bewiesen, dass klassische Fahndungsarbeit und offensive Widerlichkeiten sich keineswegs ausschließen. In den Jahrzehnten seit Hannibal Lecter wurden wir diesbezüglich gestählt, weshalb Louth unbekümmert mit drastischen Effekten arbeiten kann, was hier die Beschäftigung mit mehr oder weniger zersetzten Leichenteilen bedeutet

Dass in diesem Zusammenhang ein Plot-Haken vorbereitet wird, den zumindest dieser Rezensent schon recht früh schimmern sah, liegt sicherlich an der Unzahl gelesener Krimis, deren Lektüre eine einschlägige Schulung ersetzte. Besagter Twist hat es dennoch in sich; er gibt dem Geschehen eine völlig neue Richtung und erklärt zudem die seltsamen Tagebucheinträge, mit denen viele Kapitel eingeleitet werden. (Übrigens gibt es einen Nebenplot, der mit dem eigentlichen Geschehen nur marginal verknüpft ist: zwar interessant, aber eben irrelevant, wobei selbst Krimi-Meister wie Ian Rankin nicht über die ‚Doppelzügigkeit‘ des Handlungsplots erhaben sind.)

Die robuste Bauart dieses Romans spiegelt sich auch in der Charakterisierung der Figuren sowie in der Sprache wider. Anders als beispielsweise Stuart MacBride verzichtet Louth auf Überspitzung oder Grotesk-Humor. Trockener Humor und sarkastische Spitzen, die den Polizeialltag treffen, kommen aber vor. Die Übersetzung hätte eine zusätzliche Überarbeitung vertragen können, da vor allem fehlerhafte Tempussprünge auffallen, ist aber ansonsten erfreulich hochwertig; kein Wunder, da Herausgeber Christian Lux als Autor, Herausgeber und Übersetzer für bekannte Verlage tätig ist und weiß, was ein lesenswertes Buch ausmacht.

Fazit

Band 1 einer britischen Polizeikrimi-Serie erfindet das Genre nie neu, bietet aber solides und spannend variiertes Lesefutter. Die Suche nach der deutschen Übersetzung gleicht der Suche nach der Nadel im Misthaufen und ist die Mühe auf jeden Fall wert.

Die Leiche im Moor

Nick Louth, Independently published

Die Leiche im Moor

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Die Leiche im Moor«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren