Yoko

  • Rowohlt
  • Erschienen: August 2024
  • 10
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Thomas Gisbertz
94°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2024

Ein fulminanter, knallharter Rachethriller!

Tränen rinnen ihr über das Gesicht und panische Angst breitet sich in Yoko aus, während sie gefesselt auf der Ladefläche ihres Lieferwagens liegt. Ihr Leben bricht vollkommen unerwartet auseinander. Dabei wollte die Besitzerin einer Glückskeksmanufaktur nur einem kleinen Hund helfen, der auf dem Hinterhof eines chinesischen Restaurants von zwei brutalen Schlägern misshandelt wurde. Nun ist sie diesen hilflos ausgeliefert und kann nicht abwenden, was noch auf sie zukommt. Denn das Schlimmste, das weiß Yoko, steht ihr noch bevor. Es wird nicht nur sie und ihr Leben für immer verändern, sondern auch längst verdrängte Erinnerungen heraufbeschwören. Das Leben, das sie kannte, wird mit diesem Tag enden. Schmerz und Leid werden sie überrollen wie ein Tsunami. Man wird ihr alles nehmen: ihre Liebe, ihre Existenz und ihre Seele. Das Leben wird zu einer einzigen Qual und macht aus Yoko eine Mörderin. Nun wird sie sich mit aller Härte rächen. Erbarmungslos, brutal und ohne Mitleid wird sie gegen ihre Peiniger vorgehen - denn sie hat längst nichts mehr zu verlieren.

Auftakt des „Rache“-Zweitteilers

Ob die Bestattungsunternehmerin Brünhilde Blum („Totenfrau-Trilogie“), Supermarktverkäuferin Rita Dalek („Der Fund“) oder nun in seinem aktuellen Thriller die Glückskeksfabrikantin Yoko: Der Tiroler Autor Bernhard Aichner mag starke Frauenfiguren. Bei ihm legen die weiblichen Protagonisten ihre Opferrolle ab, setzten sich gegen die patriarchalische Welt zur Wehr, nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand. Leidenschaftliche, grenzenlose Stärke statt Resignation und Aufgabe. Dabei sind sie allesamt keine typischen Heldenfiguren. Was sie antreibt ist Rache für das, was man ihnen und ihrem Leben antut. Dies gilt insbesondere für Yoko. Schmerz, Scham und Verlust sind ihr Antrieb, Vergeltung ihr Ziel. Sie begibt sich auf ein Himmelfahrtskommando, doch scheint es für die junge Frau der einzige Weg zu sein, ihren Albtraum zu beenden. Sie will Rache für das, was man ihr angetan hat. Doch dafür muss sie mehr erleiden, als sie es sich je hätte vorstellen können. Denn je mehr sie sich wehrt, desto mehr scheint sie zu verlieren.

Auf dem Weg zum Glück

Yoko wächst nach dem Tod der Mutter bei ihrem Vater Franz auf. Später übernimmt sie seine Metzgerei. Eigentlich hat sie nie einen Zweifel daran gehabt, dass dieser Weg der richtige für sie ist. Schon als kleines Mädchen gefiel es ihr, Würste zu stopfen und Tiere zu zerlegen. Während ihr Vater schwer erkrankt, führt Yoko den Betrieb. Sie findet Erfüllung in ihrer Arbeit und strebt bei allem, was sie macht, nach Perfektion. Und sie lernt Verantwortung zu übernehmen - für sich und ihr Leben. Als ihr Vater stirbt, wandelt die 20-jährige Yoko die Metzgerei in eine Glückskeksmanufaktur um. Poesie im Mürbeteig. Sie will kreativ sein, Dichten statt Schlachten, die Welt glücklich machen. Drei Dinge aber bleiben: Azad, ihr ehemaliger Mitarbeiter, Maren, die Frau ihres Lebens, und die alten Maschinen. Und Yoko wird es nicht bereuen, diese noch nicht verkauft zu haben.

Die Antiheldin

„Yoko“ erinnert im Kern an die „Totenfrau“ und ist dennoch anders. Radikaler, gnadenloser. Der Romantiker Aichner entscheidet sich wieder für Gewalt und brutale Spannung. Gut so, denn das kann er wie kaum ein anderer. Erneut schlägt man sich auf diese Seite seiner Protagonistin und stimmt zu, dass sie zur Mörderin wird. Mehr noch: Man drückt ihr die Daumen. Eine glückliche, junge Frau, die alles verliert und es deswegen mit der chinesischen Mafia aufnimmt.

Was vollkommen übertrieben erscheint, funktioniert in den Händen des Tiroler Autors mühelos. Alles wirkt leicht, fügt sich nahtlos ineinander. Dabei lässt Aichner einem kaum Zeit zum Luftholen. Rasant, dramatisch und voller Härte nimmt Yoko den Kampf auf. Hass und Zorn werden ihr Kompass. Das Böse in ihr muss siegen, um das Gute wiederzufinden. Gewalt wird mit Gewalt beantwortet. Yoko ist keine Heldin, will auch keine sein. Eigentlich sucht sie nur Ruhe und ihren Frieden. Weg von hier, neu anfangen. Hoffnung auf ein neues Leben. Ob ihr dies gelingt und alles gut wird? So viel verrät der Autor selbst: Yoko wird alles irgendwie überleben. Aichner kann gar nicht anders. Wie? Das wird der Leser im Juni 2025 erfahren, wenn im Wunderlich Verlag bei Rowohlt der zweite Band „John“ erscheinen wird.

Die Blaupause eines Thrillers

Der Roman ist ein typisches Aichner-Werk. Sprachlich äußerst ausgefeilt, poetisch, ohne zu verklären, aber auch hart und gnadenlos. Keine Zeit für Kompromisse. Der gewohnte Dialogstil verleiht der Handlung genauso Tempo wie die kurzen, oftmals elliptischen Sätze. Der szenische Erzählstil versetzt den Leser unmittelbar in die Handlung, Rückblicke geben den Blick frei auf das Innere und die Seele Yokos. Aichner spielt aber nicht nur mit Sprache, sondern arrangiert die Handlung auf den Punkt genau, nichts ist zu viel. Der Inhalt und Stil sind ein ästhetischer Genuss. Im Roman stimmt einfach alles: Plot, Tempo, Sprachgefühl.

Fazit

Aichner ist nicht ohne Grund einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Thrillerautoren. Hier fühlt er sich auch noch wohler als im Krimi-Genre. Aichners Stil ist einfach unverwechselbar. Mit „Yoko“ gelingt ihm erneut ein mehr als beeindruckender Roman, der alles andere als gewöhnlich ist. Ein absoluter Heavy-Metal-Thriller! Und ein extrem heißer Anwärter auf den Thriller des Jahres. Man muss Aichner einfach lesen.

Yoko

Bernhard Aichner, Rowohlt

Yoko

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