Die Totgeglaubte

  • Goldmann
  • Erschienen: November 2024
  • 1
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Thomas Gisbertz
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2024

Robotham ist ungewohnt politisch, aber auch das kann er meisterhaft.

Vier Jahre ist es mittlerweile her, dass der forensische Psychologe Cyrus Haven die traumatisierte Teenagerin Evie Cormac kennenlernte und sie später bei sich aufnahm. Zuvor war sie als Kind entführt und in jahrelanger Gefangenschaft missbraucht worden, bis sie durch Zufall befreit werden konnte. Bis heute verdrängt die junge Frau jegliche Erinnerung an diese schwere Zeit. Während eines gemeinsamen Ausflugs nach Cleethorpes Beach werden Evie und Cyrus Zeugen, wie siebzehn Leichen ans Ufer gespült werden. Wie sich später herausstellt, wurden die Toten Opfer eines rätselhaften Bootunglücks. Zwei Frauen gelten seitdem als vermisst. Nur ein Junge überlebt, der einen fürchterlichen Verdacht bestätigt. Cyrus Haven bemerkt schnell, dass diese Tragödie Evies verdrängte Erinnerungen wieder weckt. Der Psychologe unterstützt die ermittelnden Beamten, da er nicht nur die Ursache des Unglücks klären will, sondern gleichzeitig hofft, das Rätsel um Evies Vergangenheit lüften. Doch beide wissen nicht, in welche Gefahr sie sich bei der Suche nach den Tätern bringen. Denn es gibt Leute, die alles dafür tun, dass das Geheimnis um die junge Frau niemals gelüftet wird.

Zwei Jahrzehnte Extraklasse

„Die Totgeglaubte“ ist der vierte Band der Haven-Cormac-Reihe des australischen Bestsellerautors Michael Robotham. Gleichzeitig markiert die Veröffentlichung des Thrillers dessen zwanzigjähriges Jubiläum als Krimiautor. 18 Bände sind in dieser Zeit erschienen. Dass sich der Australier aber als Autor unentwegt weiterentwickelt, zeigt auch sein neuester Thriller, der ungewohnt politisch ist. Dies verleiht dem Roman sehr viel Tiefe. Gleichzeitig entwickelt Robotham seine Figuren weiter, schärft in gewisser Weise ihr Profil. „Die Totgeglaubte“ ist eine Art Zwischenroman, der neben der Figurenentwicklung das Ziel hat, mehr Licht in die dunkle Vergangenheit Evies zu bringen und gleichzeitig eine neue Protagonistin einzuführen. Dennoch - und das unterstreicht die Klasse eines Michael Robothams - besitzt auch dieser Roman von Beginn an eine große Sogkraft. Es ist vielleicht nicht sein spannendster Thriller, da die Handlung auch immer wieder durch Rückblenden unterbrochen wird, aber packend ist der Roman allemal. Dafür ist Robotham einfach ein viel zu guter und erfahrener Erzähler, der weiß, wie man den Leser bei der Stange hält. Generell fällt in den letzten Romanen Robothams deutlich auf, dass dieser den Fokus verstärkt auf seine Figuren legt.

Der Psychologe und das Opfer

Im Mittelpunkt der Reihe stehen weiterhin Evie Cormac und Cyrus Haven, zwei eigentlich grundverschiedene Figuren, die aber eine Gemeinsamkeit aufweisen: Beide sind durch Ereignisse aus ihrer Vergangenheit schwer traumatisiert. Evie ist alles, nur nicht gewöhnlich - launenhaft, selbstzerstörerisch, verschlossen, feindselig, nihilistisch und eine pathologische Lügnerin. Auf der anderen Seite ist sie aber auch witzig, lebendig, intelligent und mitfühlend. Gleichzeitig scheint sie von einer unbedingten Sehnsucht nach Liebe erfüllt. Sie besitzt die besondere Fähigkeit, Lügen zu erkennen, was auch diesmal durchaus hilfreich bei der Suche nach den Tätern ist.

Cyrus Haven arbeitet als freier Profiler und Gutachter für die Polizei von Nottinghamshire. In den meisten Fällen geht es dabei um besonders brutale oder sadistische Verbrechen. Warum er sich als Psychologe mit dem menschlichen Abschaum beschäftigt, liegt in einem familiären Albtraum begründet: Sein geistig verwirrter Bruder Elias tötete als 19-Jähriger die Eltern und die Zwillingsschwestern, weil er Stimmen in seinem Kopf hörte. Cyrus überlebte nur durch Zufall. Dies ist inzwischen über 20 Jahre her. Seine Beziehung zu Evie ist ambivalent: väterlich, freundschaftlich, aber auch mitunter auch an der Grenze des Platonischen.

Anwältin auf Rädern

Mit der jungen Anwältin Florence Gatsi führt Michael Robotham eine neue Figur ein. Sie ermittelt nicht nur gemeinsam mit Haven im Fall des mysteriösen Bootunglücks. Der Psychologe lässt sich auch auf eine Affäre mit der gutaussehenden jungen Frau mit der Vorliebe für schnelle Motorräder und Dreadlocks ein. Evie wiederum, die nicht weiß, ob sie eifersüchtig sein soll, trifft sich fortan - zunächst auf doch recht unbeholfene Weise - mit einem Jungen aus der Nachbarschaft. Dieses neue Beziehungskonstrukt dürfte sicherlich in den nächsten Bänden noch stärker eine Rolle spielen. Emotionalität, Gefühl und Spannung: Kaum einer verbindet dies so elegant zu einem packenden Thriller wie Robotham. Der Schmerz der Figuren wird beinahe greifbar und dennoch besitzt der Roman auch einen feinen Humor und neben Spannung auch ruhige Momente, die unter die Haut gehen.

Fazit

Robotham ist einfach Robotham. Ein Meister des Erzählflusses: Er verpackt erneut eine brillante Geschichte mit faszinierenden Charakteren und erschreckenden, unerwarteten Wendungen. Dass er gleichzeitig dem Ganzen einen politischen und gesellschaftskritischen Rahmen setzt, rundet den gelungenen Roman ab. 

Die Totgeglaubte

Michael Robotham, Goldmann

Die Totgeglaubte

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