Des Teufels Messer

  • Winterzeit Verlag, Kurt Desch Verlag
  • Erschienen: Januar 1967
  • 0
Des Teufels Messer
Des Teufels Messer
Wertung wird geladen
Michael Drewniok
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2024

Teuflisches Treiben im sonnigen Frankreich.

Normalerweise würde Inspektor Albert Lovick das heimatliche England im Sommerurlaub nie verlassen. Doch der Einladung, umsonst im Haus einer alten Freundin an der französischen Atlantikküste unterzukommen, kann er nicht widerstehen. Miss Purdy hat dort ein Ferienhaus geerbt, in dem sie sich allein nicht wohl fühlt: Vorbesitzerin Edith Souter wurde tot aus dem „Schädel des Teufels“ gezogen, einer Stromschnelle im nahen Fluss, die ihren Namen aufgrund einer eigenartigen Felsformation trägt.

Die lokale Polizei geht von einem Unfall aus, da verdächtige Spuren nicht gefunden wurden. Miss Purdy glaubt aufgrund aktueller Vorfälle an Mord: Spurlos verschwunden ist Baby Armand, unehelicher Sohn der schönen Yvette und des Dorf-Casanovas Jules, der sich kurz darauf mit Justine, Miss Purdys Hausmädchen, verlobt hat. Der Fall ist ungelöst. Die untröstliche Mutter verdächtigt Justine als Kidnapperin und verliert allmählich den Verstand.

Dennoch erkennt Yvette ihre Chance: Der berühmte Polizeibeamte aus England wird ihren Sohn finden! Lovick ist wenig begeistert, kann aber dem Druck seitens der Mutter nicht standhalten und beginnt zu ermitteln; zunächst unwillig und planlos, dann jedoch intensiver, denn nach und nach fügen scheinbar isolierte Ereignisse wie Edith Souters Tod, Armands Entführung oder nächtliches Treiben im Wald und am Fluss zu einem düsteren Kriminal-Puzzle zusammen ...

Keine Urlaubsruhe für Kriminalisten

G. M. Wilson gehört zu den zahlreichen Krimi-Autoren, die in Deutschland nie wirklich zur Kenntnis genommen wurden; dies ungeachtet der Tatsache, dass ihre Werke vielleicht keinen Klassikerstatus beanspruchen können, aber durchaus unterhaltsam sind. Nur wenige ihrer Titel wurden hierzulande übersetzt sowie dort veröffentlicht, wo sie offenkundig keine besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten. „Des Teufels Messer“ erschien zwar in der Reihe der „Mitternachtsbücher“ (Desch-Verlag), fiel aber in eine Phase, als diese nicht nur an Seitenzahl, sondern vor allem an Qualität verloren hatten.

Das einfallslose Titelbild sorgt noch heute dafür, dass man eher zögerlich zugreift. Ist dies trotzdem geschehen, hat man einen Krimi entdeckt, deren Autorin erzählerisch knapp und präzise auf den Punkt kommt, aber trotzdem interessante Schauplätze und einprägsame Figuren erschafft. Die überraschend hochwertige Übersetzung transportiert einen Sinn für mal feine, mal etwas grobgestrickte Ironie, wobei Wilson ihren Inspektor Lovick auf ‚typisch‘ britische Weise über Frankreich und die Franzosen urteilen = herziehen lässt:

„[Lovick] fand das Städtchen [Livreuge] sehr hübsch, vorausgesetzt, dass man es gern sieht, wenn eine Kathedrale und solche Dinge mitten auf einem Rondell stehen, das einen vorzüglichen Parkplatz abgegeben hätte.“ (S. 81)

Manches dürfte heute die Grenze des „politisch Korrekten“ überschreiten; hier steht vor allem die gallische Emotionalität und ihr stereotyp frivolisiertes Abgleiten ins ‚Erotische‘ im Vordergrund. Hinzu kommen die Instrumentalisierung von „Zigeunern“ als automatisch verdächtig(t)e Kindesräuber und Diebe oder die Charakterisierung zweier junger Frauen als ständig hysterisch in Tränen ausbrechende Opfer ihrer weiblichen = (französisch) unkontrollierbaren Begierden. Zu ihnen gesellen sich ein hemdsärmelig ermittelnder (französischer) Ortspolizist, ein jähzorniger Junghengst, dem das Messer (französisch) locker sitzt, eine boshaft verschrumpelte Dorfhexe u. a. kuriose (französische) Zeitgenossen, die sich harmonisch in das generell und absichtlich überspitzte Ambiente fügen.

Die Schattenseiten des Paradieses

Dass Wilson sehr wohl um die verwendeten Klischees weiß, lässt sie nicht nur ins Geschehen einfließen, sondern bringt es selbst zur Sprache, als sie beispielsweise Inspektor Claude resigniert zusammenfassen lässt, mit welchen Vorurteilen vor allem urlaubende Briten ihren französischen Gastgebern begegnen. In der Tat ertappt sich Lovick mehrfach dabei, genau diesem Bild zu entsprechen. Im Laufe des Geschehens taut er kontinental angehaucht auf und schlüpft sogar (und zum Entsetzen seiner Gastgeberin) in kurze Hosen.

Zwar spielt diese Geschichte nicht im mediterranen Raum, doch die Kraft der Sonne kann sogar in Regen und Nebel eingelegte Ur-Briten erweichen! Wilson nutzt die französische Landschaft auch in der Nacht und beschwört eine Stimmung herauf, die darauf hinweist, dass sie auch als Autorin von Gruselgeschichten aktiv war. Übrigens gab der zentrale Schauplatz, der „Schädel des Teufels“, diesem Roman plausibel den Originaltitel. Es bleibt fraglich (und fragwürdig), wieso hierzulande daraus „Des Teufels Messer“ wurde; ein Titel, der überhaupt keinen Sinn ergibt.

Obwohl es durchweg diesseitig zugeht, entwickelt sich der Plot ungeachtet des leichten Tons zunehmend düster. Die Gegenwart der 1960er Jahre hat auch den ‚gemütlichen‘ Krimi erreicht. „Des Teufels Messer“ mag ein „Cozy“ sein, doch die Regeln dieses Genres werden gedehnt. Das Ende ist nicht nur dramatisch, sondern (theatralisch und) tragisch, und es findet nicht als finale Demaskierung des Täters/der Täterin im Kreise sämtlicher Verdächtiger statt, sondern krönt die auf diesen Höhepunkt zugetriebene Handlung.

Die Lektüre von „Das Messer des Teufels“ weckt die Lust auf weitere Bände der Reihe. Sie sind wie schon erwähnt selten; nur fünf Titel lassen sich übersetzt nachweisen. Dabei ist Gertrude Mary Wilson (1899-1986) nicht nur als Krimi-Autorin eine interessante Zeitzeugin. Sie begann ihre berufliche Laufbahn als Lehrerin, schwenkte aber radikal um, als sie 1924 den Comic-Zeichner Roy Wilson heiratete. In den folgenden drei Jahrzehnten gehörte sie zu den wenigen Frauen, die Comics nicht nur scripteten, sondern auch eigene Figuren („Roy Keen“) entwickelten. Wilson schrieb außerdem Krimi- und Thriller-Hörspiele für das Radio sowie 25 Kriminalromane. Ihre Hauptfiguren waren Inspektor Lovick und Miss Purdy, die zwischen 1957 und 1977 insgesamt 18 Fälle lösten; „Des Teufels Messer“ erschien 1965 als zehnter Band.

Fazit

Später „Cozy“-Krimi, der ungeachtet des leichten, mit ironischen Anmerkungen gespickten Textes eine zunehmend düstere Geschichte erzählt: Heute in Vergessenheit geraten, beweist die Autorin mit diesem (zudem gut übersetzten) Werk beachtliche (handwerkliche) Qualitäten.

Des Teufels Messer

G.M. Wilson, Winterzeit Verlag, Kurt Desch Verlag

Des Teufels Messer

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Des Teufels Messer «

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren