Vom Stochern im Nebel zu Erkenntnis & Lebensgefahr.
Jim Skelf ist tot. Er hinterlässt nicht nur das von ihm gegründete Bestattungsinstitut, sondern auch drei trauernde Frauen: Gattin Dorothy, Tochter Jenny und Enkelin Hannah. Nachdem sie Jims letzten Willen erfüllt und seine Leiche im Garten hinter dem Haus verbrannt haben, versuchen sie ihr Leben fortzusetzen - eine Herausforderung, denn die Skelf-Frauen haben ein Händchen für unerquickliche Zwischenfälle. Da der verstorbene Patriarch nicht nur als Bestatter, sondern auch als Privatdetektiv arbeitete, sorgt sein Nachlass für Unruhe. Das Geschäft mit den Toten kann Dorothy in Schwung halten, zumal Jenny ihr zur Seite steht; die Zeitung, bei der sie als Journalistin tätig war, hat sie „freigestellt“.
Zwei Ereignisse lassen die Trauer in den Hintergrund rücken. Dorothy muss feststellen, dass Jim ohne ihr Wissen seit vielen Jahren einer ihr fremden Frau und deren Tochter viel Geld überwiesen hat. Wurde sie betrogen, unterhielt Jim eine Zweitfamilie? So einfach ist der Fall jedoch nicht. Was die Witwe dank zäher Nachforschungen nach und nach zutage fördert, belegt womöglich Jims Verwicklung in einen nie geklärten Kriminalfall.
Studentin Hannah vermisst ihre WG-Genossin Meg. Sie ist vor einigen Tagen verschwunden und hat nicht einmal ihr Handy mitgenommen. Da die Polizei abwinkt, übernehmen die Skelf-Frauen Jenny und Hannah den ‚Fall‘. Allerdings ist es um ihre kriminalistischen Fähigkeiten schlecht bestellt. Sie orientieren sich an geschauten Fernseh-Krimis, was die Ermittlungen mehrfach aus dem Ruder laufen lässt. Als man Meg tot in einem Wald entdeckt, steigert dies den Einsatz der Amateur-Detektivinnen, was weder die Polizei noch der Mörder zu würdigen wissen ...
Die schottische Art der Trauer
„Eingeäschert“ gehört zu den Romanen, denen sich dieser Rezensent mit Misstrauen nähert. Dies liegt an den Lobeshymnen, die von Kritikern angestimmt werden, welche Qualität in einem Krimi möglichst jenseits der genretypischen Aspekte suchen. Im Klappentext wird ein weiterer Ausritt in jene Gefilde suggeriert (bzw. angedroht), in dem zwischenmenschliche Gefühle im Vordergrund stehen und das Verbrechen höchstens als Ankerplatz dient, auf dass auch Leser anlegen = die Geldbörse zücken mögen, die Krimis sonst meiden.
Scheinbar wird für ein Buch geworben bzw. eine Handlung suggeriert, in der drei „starke Frauen“ die Fährnisse des Lebens angehen und meistern: (nicht nur) im Krimi-Milieu eine Zusammenfassung/Drohung, die (s. o.) Sorge und Fluchtreflexe nährt. Dies trifft in unserem Fall glücklicherweise nur ansatzweise zu. „Eingeäschert“ erzählt warmherzig, aber mit schwarzem Humor eine Geschichte, in der es vor allem um die Bewältigung von Trauer in einem Mikrokosmos geht, der für die Zurschaustellung durchaus vorhandener Emotionen nur bedingt geeignet ist. Hinzu kommt/tritt eine auf Effizienz getrimmte, ‚globalisierte‘ Alltagsumwelt, die den Solidaritätsgedanken ausgehebelt hat.
In diesem Chaos bilden die Skelf-Frauen ein Dreigestirn, das trotz erheblicher Umlaufbahnschwankungen erstaunlich stabil ist. Da diese Geschichte in Schottland spielt, werden familiäre Gefühle sorgfältig verschlüsselt. Johnstone sorgt dafür, dass wir Leser den Code nach und nach durchschauen. Dabei gelingt ihm das Kunststück, Dorothy, Jenny und Hannah im Verlauf der Handlung nicht in Affenliebe verschmelzen zu lassen. Sie bleiben Individuen, weshalb es plausibel ist, dass sich die Kette ihrer beruflichen Fehlentscheidungen nahtlos im Privatleben fortsetzt. Dies unterstützt eine Erzählperspektive, die kapitelweise zwischen Dorothy, Jenny oder Hannah wechselt. Die drei Frauen ‚ermitteln‘ und agieren lange nebeneinander her, bis Autor Johnstone die Erzählstränge im Finale plotbestimmt zusammenführt.
Versuch und (meist) Irrtum
Die Stimmung lebt von Johnstons Talent, selbst Bizarres nicht theatralisch zu übertreiben, sondern ebenso lakonisch wie ein beliebiges Alltagsgeschehen zu schildern. So erregt die private Brandbestattung im Skelf-Garten zu Beginn weder Abscheu noch Irritation, sondern wirkt in den Grenzen dieser kleinen Welt durchaus plausibel. Hinzu kommen gleich zwei detailfreudig geschilderte ‚Privat-Exhumierungen‘, die nicht grundlos an jene Ära erinnern, als Grabräuber ihr Unwesen auf schottischen Friedhöfen trieben: „Eingeäschert“ ist ein Werk des Krimi-Subgenres „tartan noir“, dessen Autoren gern auf eine an gruseligen Ereignissen reiche schottische Realgeschichte zurückgreifen sowie Elemente des historischen Schauerromans nutzen, die gekonnt eingesetzt auch in der modernen Gegenwart ihre Wirkung keineswegs eingebüßt haben.
Natürlich verzichtet Johnstone nicht völlig auf vordergründige Reize. Die Kombination einer Privatdetektei mit einem Bestattungsinstitut verschafft der Story eine besondere Ausgangsposition. Dass man sich an die schon lange versendete TV-Serie „Six Feet Under“ erinnert fühlt, spricht einerseits für deren Qualität. Andererseits ist die Variationsbreite grotesker Situationen in diesem Umfeld verlockend. Johnstone spielt mit dem Milieu und kann ihm tatsächlich (nicht neue, aber) wirkungsstarke Facetten abgewinnen.
Gern stützt sich der Verfasser auf „Murphy’s Law“: Was schiefgehen kann, wird schiefgehen. Dies gilt erst recht, wagt man sich auf ein Terrain, das einem völlig unbekannt ist. Schon der verstorbene Jim Skelf war als Privatdetektiv alles andere als eine Leuchte seines Metiers. Witwe, Tochter und Enkelin stürzen sich völlig unbeleckt in ein Milieu, das sie aus dem Unterhaltungsfernsehen zu kennen glauben. Dies sorgt final sowohl für überraschende als auch tragische Momente. Verbrecher sind in diesem Mikrokosmos als Profis abwesend. Hier agieren Laien, die nicht planen, sondern (blindlings) handeln, weshalb die Konsequenzen besonders schwerwiegend ausfallen.
Die Dinge lustvoll aus dem Ruder laufen lassen
Wenn man ungestüm an Bäumen rüttelt, wird etwas aus den Ästen fallen. Die Skelf-Frauen setzen durch ihre ‚Ermittlungen‘ und die dabei an Tageslicht gebrachten Erkenntnisse eine Kette verhängnisvoller Ereignisse in Gang. Es macht sich bemerkbar, dass nicht die Detektivarbeit sie antreibt. Sie dient ihnen als Strohhalm, der sie zum einen aus ihrer misslichen finanziellen Situation tragen und zum anderen von ihrer Trauer ablenken soll. Jim Skelf fehlt seiner Familie, und sich in seine Fußstapfen zu stellen, ist auch der Versuch, weiterhin Nähe zu bewahren.
Diese Trauer zieht sich leise, aber stets präsent durch die Handlung. Sie ersetzt nicht die für Johnstone typische Darstellungsdrastik, die sich unvermittelt einzustellen pflegt, wenn eine Situation eskaliert bzw. buchstäblich explodiert. Das Böse ist unter der Feder dieses Verfassers banal und deshalb erst recht erschreckend. So treibt er eine Geschichte voran, die nur scheinbar unter dem Fehlen krimineller Finessen leidet. Johnstone verknüpft unbemerkt und deshalb kunstvoll Handlung und Emotion. Was viele Autor/inn/en dem Krimi einprügeln wollen, fügt er melancholisch, lustig und harmonisch zusammen. Dies blieb auch den Lesern nicht verborgen. Sie forderten Skelf-Nachschub, den Johnstone bisher (Stand 2024) fünfmal lieferte.
Anmerkung: Dem Roman folgt ein Nachwort von Anthony J. Quinn, einem irischen Schriftsteller, der selbst Kriminalromane verfasst. Er rezensiert, „Eingeäschert“ aus der Sicht des Profis und macht dabei auf interessante, leicht zu übersehende Aspekte aufmerksam, die das Verständnisfundament untermauern.
Fazit
Eine ungeachtet ihrer Funktionsschwächen stabile Familie arrangiert sich mit einer aktuellen Krisensituation, rührt dabei jedoch an diversen Spinnennetzfäden und sorgt für ein gefährliches Durcheinander: Nicht Plump-Komik oder Splatter-Drastik stehen im Vordergrund einer Geschichte, deren Verfasser emotional werden kann, ohne gefühlsduselig zu werden, aber auch nicht vor Schauereffekten zurückschreckt: „Tartan-Noir“ auf hohem Niveau, d. h. gekonnt lässig und eindrucksstark.
Doug Johnstone, Polar
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