Tiefsinniger Krimi über Schuld, Verlust und Endlichkeit.
Der Novembernebel umhüllt die kleine niederrheinische Gemeinde Dornbusch, als gelte es, etwas zu verbergen. Der Ort scheint sich mehr und mehr aufzulösen. Die Bagger des nahenden Braunkohleabbaus haben bereits einen Teil der Gemeinde verschluckt. Immer mehr Bewohner sind gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Dabei ist der pensionierte Kommissar Barth gerade erst dorthin zurückgekehrt. Auf einer seiner frühmorgendlichen Runden macht er sich auf die Suche nach seinem Freund Jacob Beerwein, dem Pfarrer der Gemeinde, als das Bellen eines Hundes in Mitten der Nebelschwaden seine Aufmerksamkeit weckt. Als er dessen Spur folgt, stößt er nicht nur auf Jacob, sondern auch auf den alten Bauern Haverkamp, der von einem Strick an der alten Eiche baumelt. Auch dessen Hof soll dem Tagebau weichen. War es Suizid aus Verzweiflung? Aber wie kam der alte Mann alleine auf den Baum? Und warum stehen seine Schuhe und Socken auf dem Boden? Der Spürsinn des alternden Kommissars ist allemal geweckt. Als kurz darauf ein weiterer Toter erhängt aufgefunden wird, steht für Barth fest, dass er einen letzten Fall zu lösen hat.
Fundamentaltheologe als Krimiautor
Autor Gregor Maria Hoff studierte Klassische Philologie, Katholische Theologie und später Germanistik. Nach Lehraufträgen in Vallendar, Aachen und Köln arbeitet er heute als Professor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Paris-Lodron-Universität Salzburg und ist seit 2015 als freier Autor für die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ tätig. Darüber hinaus ist Hoff Berater der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz und Päpstlicher Konsultor in der Kommission für religiöse Beziehungen zum Judentum. In seiner Tätigkeit als Herausgeber und Autor setzt er sich in seinen Werken mit Fragen der Religion, Ökumene und des Glaubens auseinander.
Mit „Welt verloren“ veröffentlichte 2022 der Würzburger Echter Verlag Hoffs ersten Kriminalroman, der sich mit Themen wie Schuld, Verantwortung, Verlust und Gerechtigkeit beschäftigt. Nun erscheint mit „Nebel, am Ende“ der zweite Flügel des Triptychons, wie Hoff seine niederrheinische Trilogie nennt. Während im ersten Band die Perspektive des pensionierten Pfarrers Jacob Beerwein im Vordergrund stand, rückt nun der alte Kommissar Barth in den Mittelpunkt. Der abschließende dritte Band wird aus dem Blickwinkel Melchiors, des dritten Freundes, der einen virtuellen Friedhof im Internet betreibt, geschrieben.
Kraftvolle Dialoge
Wie schon der erste Band ist auch „Nebel, am Ende“ eine ruhige, aber äußert eindringliche Kriminalerzählung, die vor allem mit ihren ausdrucksstarken, mitunter tiefgründigen Dialogen zu überzeugen weiß. Erneut gelingt es Hoff mit seiner wunderbar bildhaften Sprache die Gedanken seiner Figuren und die Atmosphäre des kleinen niederrheinischen Ortes einzufangen. Wenn man sich Zeit für den Roman nimmt, kann man sich dessen Anziehungskraft nicht entziehen. Hoff verändert im zweiten Teil seines Triptychons aber nicht nur den Blickwinkel, sondern auch die Erzählweise. Die Sprache ist klarer als im ersten Band, da nun mit Barth eine Figur im Vordergrund steht, die ganz anders als Jacob Beerwein ist. Der pensionierte Kommissar, der seinen letzten Fall lösen will, erinnert an Dürrenmatts Kommissär Bärlach. Dies ist nicht der einzige intertextuelle Bezug, denn ähnlich wie in der Droste-Hülshoff Novelle „Die Judenbuche“ steht die Eiche hier als Dingsymbol für das Geschehen des Unheils. Und auch hier erscheint der Ort durch den Nebel von der Außenwelt abgeschnitten.
Blick fürs Wesentliche
Barth erholt sich nach einer Lobektomie nur langsam. Dies ist auch ein Grund, warum er in seine alte Heimat zurückgekehrt und zu seinem Freund Jacob - den er ebenso wie Melchior seit Schultagen kennt - ins Pfarrhaus zieht. Der alternde Kommissar merkt, dass seine Zeit endlich ist. Das Bild eines Mannes, der nach 36 Jahren immer noch unter dem Tod seiner Frau Anna leidet, fängt Hoff ebenso feinfühlig und in leisen Tönen ein wie den allmählichen Bewusstseinsverlust Jacobs, bei dem sich verstärkt Anzeichen einer Multimorbidität zeigen. Hoff nimmt sich Zeit für seine Figuren, ihr Leben und ihre Gedanken, bleibt aber bei deren Gesprächen wohltuend im Hintergrund und macht dadurch den Leser zum stillen Beobachter. Genau dies ist es, was dem Roman neben der guten Profilierung der (Neben-)Figuren Tiefe und Glaubwürdigkeit verleiht. Wichtig ist dabei auch, dass der zweite Band mit Rebecca, die sich mit Barth anfreundet und tief mit Dornbusch verwurzelt ist, eine Frauenstimme bekommt. Auch wenn vielleicht die Erinnerungen Barths an seine verstorbene Ehefrau Anna mitunter etwas zu lang geraten und die doch recht melancholische Stimmung zu selten aufgebrochen wird, gelingt Hoff die Balance zwischen einer eindringlichen Figurendarstellung, feinem niederrheinischen Humor („Altbier und Panhas, das reicht für ein Konzil.“) und einer spannenden Handlung. Die Auflösung hat es allemal in sich und beweist, dass Hoff im Krimigenre angekommen ist.
Fazit
Insgesamt ist „Nebel, am Ende“ etwas leichter geschrieben als der erste Band des Triptychons, das sich nun immer weiter öffnet. In bester Tradition eines Niederrheinkrimis gelingt Hoff in seinem ihm ganz eigenen Ton ein Kriminalroman, der oftmals nachdenklich stimmt, trotz aller Tiefgründigkeit Humor besitzt, mit einer ausdrucksvollen Sprache überzeugt und bis zum überraschenden Ende packend bleibt. Man darf auf den Abschluss der Reihe gespannt sein.
Gregor Maria Hoff, Echter
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