Das Parfüm des Todes
- Suhrkamp
- Erschienen: Oktober 2024
- 5
Ein abstoßender, verstörender und doch hintergründiger Thriller.
Die Anfälle kommen immer häufiger und dauern immer länger an. Besonders die Nächte werden für die 28-jährige Yang Ning zur Qual. Dazu stecken ihr auch noch die nasskalten, trostlosen Wintertage in Taipeh in den Knochen. Körperlich baut sie immer mehr ab. Selbst ihren perfekten Geruchssinn hat sie weitestgehend eingebüßt. Die Ursache hierfür ist der Tod ihres jüngeren Bruders. Ärzte diagnostizieren eine posttraumatische Belastungsstörung. Die Folge ist, dass sie nur etwas an Orten riecht, die etwas mit Tod und Verwesung zu tun haben. Und denen begegnet sie nicht selten - denn Yang Ning ist eine Tatortreinigerin.
Eines nachts erhält sie von einem Unbekannten einen Anruf. Sie soll die Wohnung einer verschwundenen Person bis 5 Uhr aufräumen und säubern, das Honorar liegt im Briefkasten. Viel zu spät merkt Yang Ning, dass sie in eine Falle gelockt wurde. In der Wohnung wurde jemand ermordet - und die Tatortreinigerin hat akribisch sämtliche Spuren beseitigt und sich somit selbst zur Hauptverdächtigen gemacht.
Yang Ning begibt sich auf eine verzweifelte Suche, um sich zu entlasten. Die einzige Spur ist ein feiner Duft, den der Mörder hinterlassen hat und den sie zu kennen scheint. Doch um den Täter zu fassen, muss sie sich mit dem personifizierten Bösen einlassen: Cheng Chunjin. Der „Parfümkiller“, wie die Presse ihn taufte, ist ein berüchtigter Serienmörder, der junge Frauen brutal vergewaltigte, quälte und tötete. Yan Ning will durch ihn verstehen, wie Psychopathen und Mörder denken. Denn um das Monster zu jagen, muss sie selbst zu einem Monster werden.
Neuentdeckung
Autorin Katniss Hsiao studierte zunächst an der National Taiwan University und machte dort ihren Bachelor of Arts in Geschichte. Derzeit arbeitet sie für eine Filmproduktionsfirma und schreibt Drehbücher. „Das Parfüm des Todes“ ist ihr Debütroman und kam sofort auf die Shortlist des Taiwan Literature Award und des Taipei Book Fair Award. 2023 erhielt ihr Debüt-Drehbuch, „Flare“, bei den Golden Harvest Awards den Preis für das beste Drehbuch. Zudem wurde sie mit dem Literary Creation Grant des National Arts Council, dem Youth Creation Grant des Kulturministeriums und dem Taiwan Chinese Original Storytelling Resident Programme ausgezeichnet. Katniss Hsiao ist ein großer Fan von Kriminalromanen: von Arsène Lupin, über Agatha Christie bis hin zu Sherlock Holmes. Der Suhrkamp Verlag beweist mit der hierzulande noch unbekannten Autorin erneut ein gutes Gespür, denn „Das Parfüm des Todes“ ist alles andere als ein gewöhnlicher Thriller."
Verletzte Seele
Bei aller erzählerischer Finesse und sprachlicher Eleganz mag vielleicht der ein oder andere Leser kritisieren, dass der Roman einem Flickenteppich aus bekannten Werken wie Patrick Süßkinds „Das Parfum“, Thomas Harris‘ „Das Schweigen der Lämmer“ oder Kotaro Isakas „Suzukis Rache“ gleicht. Auch der US-Blockbuster „Cleaner“ scheint Pate gestanden zu haben. Wer das anprangert, hat zwei Dingen nicht erkannt: Zum einen macht Katniss Hsiao überhaupt kein Geheimnis aus der Intertextualität ihres Werkes, sondern stellt sogar bewusst Bezüge her. Zum anderen - und das ist viel entscheidender - geht es weniger um den Plot und dessen Umsetzung, noch nicht einmal um die Morde und den Täter, sondern allein um die Protagonistin und deren verzweifelter Versuch, in einer Welt zu überleben, in der die exzentrische Yang Ning abgelehnt wird.
Genau diese tiefer gehende Ebene ist es, die asiatische Kriminalromane besonders auszeichnet. Gleichzeitig sind diese Werke oftmals Spiegelbild der Gesellschaft und üben an deren Strukturen massiv Kritik. Für Individualität, Selbstzweifel und Schwäche ist hier kein Platz. Konformität, Leistung und Härte gegen sich selbst sind die Säulen einer Gesellschaft, deren Widersprüchlichkeit zwischen öffentlicher Höflichkeit und privater Offenheit eklatant erscheint. Auch Yang Ning gibt sich äußerlich stark, exzentrisch und dickköpfig, innerlich ist sie aber eine zarte Seele, die unter dem Tod des Bruders und dem Schuldgefühl, diesen nicht verhindert zu haben, leidet. Die Protagonistin stellt sich der Welt mit allem entgegen, was sie hat: Brutalität, Entschlossenheit und Furchtlosigkeit. Keine Schwäche oder Angst zeigen. Und genau an dieser Diskrepanz droht sie zu scheitern.
Gegensätze als Stilmittel
Während man bei anderen asiatischen Thrillerautoren zumeist viel schwarzen Humor gewohnt ist, geht Hsiao subtiler vor. Sprachlich äußerst elegant und pointiert erzählt Katniss Hsiao ihre Geschichte, die voller Ekel, Gewalt und Skurrilität ist. Tabus kennt die Autorin nicht. Kindesmissbrauch und Gewaltorgien sind relevanter Gegenstand des Romans. Dies ist oft nur schwer zu ertragen und sicher nicht einfach zu lesen. Aber nur so wird in aller Deutlichkeit erkennbar, welche Grenzen Yang Ning für das bereit ist zu überschreiten, was sie wirklich liebt. Wenn die Protagonistin in einem Badezimmer sitzt, dessen Wände und Boden mit Exkrementen und Blut beschmiert sind, überall Würmer und Maden kriechen, und sie diese Atmosphäre braucht, um riechen zu können und somit dem Täter auf die Spur zu kommen, erhebt Hsiao das Abstoßende beinahe zur Kunstform. Es sind diese Ambivalenzen, die immer wieder im Roman auftreten und aus dem er seine Stärke zieht: Gewalt und Brutalität lösen sich mit stillen, intimen und zarten Momenten ab, zeigen die zwei Seiten einer Protagonistin, die leben will, aber nur überleben kann.
Fazit
Ein Roman, der ebenso fesselt wie abstößt. Keine einfache, aber eine lohnenswerte Lektüre, wenn man die tiefer gehende Ebene erfasst und die ungewöhnliche Protagonistin als das begreift, was sie ist: eine zutiefst empfindsame junge Frau, die an sich und den Erwartungen der Welt zu scheitern droht.
Katniss Hsiao, Suhrkamp
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