Ein kalter Tod
- Goldmann
- Erschienen: Oktober 2024
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Krimi-Klassik in blutigem Gewand.
Während sich über Schottland einer der schlimmsten Schneestürme dieses Winters zusammenbraut, werden Detective Inspector Victoria Montgomery-Porter (von den Kollegen aufgrund ihrer ruppigen Art nur hinter ihrem Rücken „Bigtoria“ genannt) und der junge Detective Constable Edward Reekie von der Police Scotland, North-East-Division Aberdeen, mit einer ungeliebten Aufgabe betraut: Sie sollen Mark Bishop aus dem Gefängnis in seine neue ‚Heimat‘ bringen.
Ein Vierteljahrhundert hat der schwerkriminelle Bishop dort gesessen. Nun leidet er an Lungenkrebs im Endstadion und darf in Freiheit bzw. in Glenfarach sterben, einer abgelegen im schottischen Hinterland gelegenen Einrichtung, in die das Justizsystem jene Gauner abschiebt, die alt und krank, aber weiterhin gefährlich sind. In der abgeschotteten Anlage können die Insassen in eigenen Häusern ihr Leben fristen.
Der Kontakt mit der Außenwelt ist brüchig, die Infrastruktur veraltet und anfällig. Telefon und Internet brechen immer wieder zusammen, auch der Strom kann ausfallen. Nur wenige Polizisten und Sozialarbeiter müssen 200 Männer und Frauen beaufsichtigen und betreuen, die scheußliche Taten begangen haben. So rasch wie möglich wollen „Bigtoria“ und Reekie Glenfarach den Ort wieder verlassen, doch nicht nur das Winterwetter macht ihnen einen Strich durch die Rechnung: Ein Insasse wird ermordet. Die wenigen Ermittler müssen vor Ort ihre Arbeit improvisieren. Während der Winter Glenfarach endgültig isoliert, kämpfen „Bigtoria“ und Reekie gegen unsichtbare Gegner, die im Schutz der Kälte weiter morden, um endlich von einem fast vergessenen Verbrechen profitieren zu können ...
Trügerische Insel im Wintersturm
Stuart MacBride ist ein ungemein fleißiger Autor unterhaltsamer Kriminalromane, aber trotz seiner bereits beachtlichen Werkliste weiterhin für Überraschungen gut. Die erfolgreich laufende Serie um den unkonventionellen Ermittler Logan McRae hat er für einige Jahre ausgesetzt - keine Sorge: 2025 wird er zurückkehren - und sich auf neue Figuren konzentriert, die allerdings ebenfalls für die schottische Polizei tätig sind. Diese Romane ermöglichen MacBride den Ausbruch aus etablierten Plot-Mustern, womit er außerdem stilistisch Einfluss auf seine Geschichten nehmen kann.
Den Irrwitz der McRae-Romane lässt der Autor durchaus anklingen. „Ein kalter Tod“ - für den generisch-nichtssagenden und eher abschreckenden Titel ist dieses Mal nicht der deutsche Verlag verantwortlich; das Original „Dead of Winter“ ist keinesfalls origineller - bietet gewohnte Kost. Wir lesen einen ebenso modernen wie klassischen englischen Kriminalroman bzw. ein Werk des Subgenres „tartan noir“, weshalb es effektvoll und blutig zugehen kann. Die Welt ist schlecht, was sich stets im Wetter widerspiegelt. Dieses Mal fällt kein Dauerregen; ohne Berücksichtigung des Klimawandels kreiert MacBride einen klirrend kalten Winter, der den Ort des Geschehens so unwirtlich wie einen fremden Planeten wirken lässt.
Auf diese Weise sorgt der Verfasser geschickt für jene Isolation, die den Schauplatz eines „Locked-Room-Mysterys“ auszeichnet: Der Ort des Verbrechens kann von der unterstützenden Außenwelt nicht erreicht werden, solange die Ermittlungen laufen. Zwischen Ermittlern und Gaunern herrscht innerhalb ihrer Blase Erkenntnisgleichstand. Man muss sich mit den Mitteln begnügen, die man vorfindet, ist gezwungen zu improvisieren und dabei jenen Einfallsreichtum an den Tag zu legen, den die Leser erwarten.
Das Dorf der (gefährlichen) Verdammten
MacBride verschärft die Situation, indem er zwei dieser Herausforderung wenig gewachsene ‚Helden‘ in den Mittelpunkt stellt. Edward Reekie - sein Nachname erinnert wohl nicht zufällig an „rookie“ = „Anfänger“ - ist bemüht und keineswegs dumm, aber unerfahren. Sein Elan wird zudem brutal seitens seiner Vorgesetzten gezügelt. „Bigtoria“ Montgomery-Porter erinnert sehr an die exzentrische Barbara Steele aus der McRae-Serie, ist jedoch nicht ganz so sehr aus der Spur geraten, sondern eher frustriert und aufgrund negativer Erfahrungen unfreundlich - so sieht es jedenfalls der unter ihren Ruppigkeiten leidende Reekie; ein „running gag“, der sich durch das gesamte Geschehen zieht, aber im letzten Drittel eine Erklärung findet.
Zusammen mit ebenfalls wenig motivierten und fähigen Kollegen steht dieses Duo 200 Schwerstkriminellen gegenüber, die MacBride mit rabenschwarzem Humor und von der Kette gelassenem Grusel = liebevoll schottisch zeichnet. Glenfarach ist ein altes Dorf, das in eine Mischung aus Pflegeheim und Hospiz verwandelt wurde. Liebe Omas entpuppen sich als Serien-Kindsmörderinnen, elegante Ärzte als Todesengel. Mit tatterig gewordenen Vergewaltigern, Nekrophilen und anderen Schreckensgestalten stellen sie ein finsteres Spiegelbild „weisen“ und „nachsichtigen“ Alters dar. Immer wieder konfrontiert uns der Autor mit neuen Unholden, die ungeachtet ihrer körperlichen Schwäche aufgrund der reinen Überzahl und eines ungebrochenen Hasses auf die Polizei immer noch gefährlich sind. Aus dieser Konstellation weiß MacBride immer wieder Funken zu schlagen.
Hinzu kommt die marode Struktur der auf Kante genähten Institution. Das von der Politik praktizierte Totsparen und die daraus resultierende Aushöhlung schützender und ordnender Kräfte ist in allen MacBride-Romanen präsent. Die mangelhafte Ausrüstung versagt angesichts der aktuellen Wetterverhältnisse und steigert den Gefahrenfaktor für unsere Ermittler.
Überraschungen, die diese Bezeichnung verdienen
Nicht unbedingt klassisch geht MacBride vor, wenn es gilt, sein Publikum an der Nase herumzuführen. Dieses Mal sorgt er bereits im Epilog für Verwirrung, als ein toter Edward Reekie seine eigene Beerdigung im Winterwald beschreibt; verscharrt wird er von seiner Vorgesetzten. Es dauert lange, bis die anschließend zu einem früheren Zeitpunkt einsetzende Handlung diesen Punkt erneut erreicht und anschließend eine rasante Wendung nimmt; dies nicht zum ersten Mal, wobei MacBride die Langmut der klassisch orientierten Krimi-Leser strapazieren dürfte. Die Logik sollte man jedenfalls nicht hinterfragen, was aber leichtfällt, weil der Verfasser vor allem im letzten Drittel das „Locked-Room“-Muster mit schräg-turbulenten Actioneinlagen bereichert.
Alt und neu weiß MacBride also unterhaltsam miteinander zu verknüpfen. Auch „Bigtoria“ und Reekie hätten das Potenzial dafür, in Serie zu gehen. In seiner Nische hat sich der Autor etabliert. Seine Geschichten glänzen nicht durch inhaltlichen Reichtum. Die handwerkliche Routine sorgt bei angenehmer Abwesenheit überbordender Psycho-Einlagen und ausgewalzter Privat-Probleme für ein Garn, das mit den Tricks des erfahrenen Geschichtenerzählers gesponnen wird.
Fazit
Außerhalb seiner Serien und deshalb ohne deren Ballast führt der Autor zwei Polizisten in ein bizarres Altersheim für Kapitalkriminelle. Viele Faktoren, die lenkend ins Geschehen einfließen, sorgen für Gefahr, Ablenkung und insgesamt routinierte Unterhaltung: ein logisch nur bedingt stimmiges, aber fesselndes Lektüre-Vergnügen.
Stuart MacBride, Goldmann
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