Macht & Millionen

„Wer viel hat, dem wird (noch mehr) gegeben“, lautet ein altes, aber weises Sprichwort. Die zweite Zeile bleibt meist ungesagt: „... denn sonst holt er (heute auch sie) es sich“. Dabei ist zwischen zwei Antriebsmotiven zu differenzieren: Macht und Geld, wobei beide früher oder später miteinander verschmelzen. Also ist es keineswegs paradox, dass gerade diejenigen Mitmenschen, die sich nicht im täglichen Überlebenskampf nach der Decke strecken müssen, sondern in oft unglaublichem Luxus existieren, besonders gierig und heimtückisch sind. Zu ihnen gesellen sich jene, die nach einer ‚Abkürzung‘ suchen. Richtig reich und mächtig kannst du durch (ehrliche) Arbeit nicht werden.

Deshalb finden wir in diesem Buch nicht nur unersättliche Milliardäre, sondern auch profane Betrüger, die nicht nur ‚normale‘ Mitmenschen prellen, sondern sich auf ‚Eliten‘ spezialisiert haben, die Sprache der Reichen sprechen, ihr Auftreten kopieren und ihr Vertrauen wecken, um sie erst recht abzocken zu können. Würde es nur die Gierschlünde treffen, müsste man sie nicht bedauern, sondern könnte sich schadenfroh über ihre Reinfälle amüsieren. Doch „Gerechtigkeit“ ist ein Wort, das faktisch nie am Ende über den hier geschilderten Fällen steht. Das Gesetz ist stets im Hintertreffen; erwischt werden nur jene, die es gar zu bunt getrieben bzw. versäumt haben, Vorsorge für den Tag X zu treffen, an dem man ihr Treiben aufdecken wird.

Stets gibt es Pechvögel, die auf dem Weg zu ergaunertem Reichtum unverdient Federn lassen. Fällt die Klappe, bleibt für sie nichts mehr vom oft lebenslang ersparten, kleinen Vermögen. Freilich gilt auch: Gier kennt keine soziale Hierarchie, sondern kann sich in jedem Mensch entzünden. Kein Skandal findet ohne jene ‚kleinen‘ Investitions-Lüstlinge statt, die ihr Unglück mitverschulden, weil sie hätten wissen müssen, dass es auch und gerade in der Finanzwelt Wunder = zweistellige Zinsraten nicht gibt.

Der Spur des (ergaunerten Geldes) folgen

Kayhan Özgenc und Solveig Gode sind Journalisten jener Generationen, die am Scheideweg zwischen den „klassischen“ Medien (Zeitung, Zeitschrift, analoges TV) und einer (weiterhin ungewissen) ‚digitalen‘ Zukunft stehen. Sie müssen sich in einem düsteren, regelschwachen Milieu behaupten, denn im Internet tummelt sich eine Legion fragwürdiger ‚Reporter‘, die sich ihre Sensationen notfalls (oder generell) selbst ausdenken.

Özgenc & Gode gehen den schwierigeren Weg. Sie folgen journalistischen Regeln, die u. a. vorschreiben, dass Fakten mit Belegen zu untermauern sind, die diese mehrheitlich bestätigen. Nicht das erwünschte, weil das Massenpublikum lockende Ergebnis steht schon vorab im Vordergrund, sondern die Tatsache. Diese ans Tageslicht zu locken erfordert Fachwissen, Geduld und ein Arbeitsethos, das die Erzeuger von YouTube-‚Dokus‘ mehrheitlich höchstens vom Hörensagen kennen.

Die beiden Autoren haben sich auf Wirtschaftskriminalität spezialisiert. Was sie herausgefunden haben, bringen sie über ihren Podcast „Macht & Millionen“ an die Öffentlichkeit. Ihr Buch basiert auf einschlägigen Recherchen, die aktualisiert und überarbeitet wurden. Entstanden ist eine ebenso interessante wie kurzweilige, aber auch deprimierende Dokumentation, die in erster Linie zu bestätigen scheint, dass Verbrechen durchaus (bzw. für eine ganze Weile) lohnt; man muss nur dreist und skrupellos genug sein.

Die Reichen sind weder schlauer noch ‚besser‘

Volkswagen, Aldi, Siemens; Tengelmann, Schlecker, Tönnies; große Banken und Hedgefonds: Bekannte Unternehmen mit langen Geschichten und ebenso prominente wie schwerreiche Milliardärs-Familien hassen es, wenn ihre Geschäftspraktiken bloßgestellt werden. Reich wird man nicht vom Geben, sondern vom Nehmen und Behalten: Diese Tatsache soll tunlichst verborgen bleiben, weil die ihr zugrunde liegende Realität moralisch unerquickliche bis juristisch verbotene Praktiken einschließt und man gesellschaftlich trotzdem glänzen will.

Dass solche Aktivitäten unerwünscht an die Öffentlichkeit geraten, liegt vor allem daran, dass die ‚besseren‘ Menschen, die sich ihren Reichtum angeblich ‚verdient‘ haben, genauso hinterlistig, neidisch und kleingeistig sein können wie ihre minderverdienenden Zeitgenossen. Özgenc & Gode, aber auch andere geduldige, leidensfähige und vor allem pflichtbewusste Journalisten sowie Ermittler und Juristen dringen deshalb in die Nester unredlich zusammengeraffter Vermögen vor, weil jemand nicht ‚dichthielt‘, sich rachsüchtig übergangen fühlte oder der Bogen so gierig überspannt wurde, dass sogar das träge Gesetz reagieren musste.

Was dann offengelegt wird, klingt wie Drehbüchern entnommen, die so schlecht sind, dass kein Produzent sie verfilmen würde. Exemplarisch sei hier an die von Özgenc & Gode aufgegriffene Cum-ex-Affäre erinnert: Banken und Geschäftsleute ließen sich mehrfach Steuern erstatten, die nur einmal gezahlt wurden. Der gesunde Menschenverstand sollte eigentlich zu der Erkenntnis führen, dass dieses Vorgehen illegal ist. Doch die Reichen und ihre gut bezahlten Berater und Anwälte bestehen noch heute auf einer Gesetzeslücke, die solches Treiben erlaubt habe. Die Justiz ist (nach Jahren der Untätigkeit) völlig anderer Meinung, aber diejenigen, die in den Cum-ex-Skandal verwickelt sind, wehren sich heftig gegen eine umfängliche Aufklärung, um die eigenen Westen spritzerfrei zu halten.

Drama, Krimi, Blut

Ein Dutzend Fälle stellt das Autorenduo vor. Vieles droht schon wieder in Vergessenheit zu geraten, was den Auftritt einer nächsten Generation skrupelloser Absahner vorbereitet. Die Darstellung wird jeweils kurz gehalten bzw. so zusammengefasst, dass sich die Leser nicht (wie die Ermittler) in einem Wust ‚frisierter‘ Unterlagen verheddern, schier endlosen, immer wieder revisionsaufgelegter Gerichtsverfahren folgen oder die Auskünfte keineswegs inhaltseiniger Zeugen abgleichen müssen. Zur Raffung kommt eine Deutung, was angesichts der komplizierten Materie, die solche Betrügereien erleichtern, für den Laien hilfreich ist. Nicht selten muss man erst einmal begreifen, wie simpel im größten Stil abkassiert wurde.

Der Ton ist nüchtern. Özgenc & Gode machen nicht nur sehr deutlich, was geschehen ist, sondern auch, dass es wieder geschehen wird. Die Globalisierung hat dem (organisierten) Verbrechen Schleusen geöffnet, über die geraubtes Geld digital dorthin verschwindet, wo es nicht mehr zurückgeholt werden kann. Höchstens dumme Schurken oder jene, die erwischt wurden und sich ‚freikaufen‘ wollen, lassen gnädig ein paar Cent zurückfließen und werden dafür mit Straferleichterungen oder Freisprüchen entlohnt: Sowohl die Hilflosigkeit als auch der Unwillen des Gesetzes, wirklich intensiv nachzubohren, wird von den Autoren herausgearbeitet, ohne dies in Verschwörungsfantasien ausarten zu lassen.

Die objektive Erbärmlichkeit des Verbrechens im subjektiven Glanz des „Big Business“ ist das Primärthema. Özgenc & Gode zeichnen immer wieder Psychogramme derjenigen, die meinen, über Gesetz und Moral zu stehen. Dabei erinnern sie an kriminelle Geschäftsmänner und Bänker, aber auch an den ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Wulff, der sich per Handy um Kopf und Kragen = Amt und Würde redete, und an die Hochstaplerin Anna Delvey, die sich per perfekter Mimikry an den US-‚Adel‘ heranwanzte und es beinahe geschafft hätte, sich dauerhaft dort zu etablieren. Hier wie in anderen Kapiteln ist das letzte Wort längst nicht gesprochen: Neue Millionen- bzw. Milliardendinger werden gedreht, aber auch die in diesem Buch vorgestellten ‚Geschäftsmänner‘ und -frauen sind mehrheitlich weiterhin aktiv.

Fazit

Zwölf (Kriminal-) Fälle, in denen es um gewaltige Geldsummen geht, werden aufgedröselt. Unter einer (von Politikern, Lobbyisten und Juristen) gefestigten Kruste scheinbarer Ehrbarkeit kommt ein zwielichtiges Milieu zum Vorschein, in dem es allein um Geld und Macht geht: eine wegen der knappen Präzision der Informationen erhellende, aber auch deprimierende Lektüre.