Der Glocken Schlag

Ein Winterabend an der Küste Ost-Englands. Auf schneeverwehten Straßen kommen Lord Peter Wimsey mit seinem Butler Mervyn Bunter vom Wege ab und stürzt in einen Graben. Zum Glück bietet ihnen der gastfreundliche Pfarrer der nahe gelegenen Gemeinde Fenchurch St. Paul in seinem Pfarrhaus ein Obdach. Im Gegenzug braucht der Geistliche die Hilfe des Lords. Das ruhmreiche Wechselläuten, gemäß alt-englischem Brauch für diese Silvesternacht geplant, droht zu scheitern. Acht Glocken brauchen acht Männer, doch einer ist plötzlich erkrankt. Lord Peter, der Erfahrung in diesem Brauch besitzt, springt bereitwillig ein. Am nächsten Morgen erhält die Gemeinde die traurige Nachricht, dass Lady Thorpe verstorben ist. Während Wimsey nach erfolgreicher Reparatur des Wagens seine geplante Reise fortsetzt, wird die Frau von Sir Henry wenige Tage später beerdigt. Doch drei Monate danach herrscht im Dorf plötzlich helle Aufregung: Auf dem Friedhof wurde die Leiche eines Unbekannten gefunden - im Grab von Lady Thorpe. Doch keiner scheint den Unbekannten, der grausam zugerichtet wurde, zu kennen. Amateurdetektiv Lord Peter Wimsey wird vom liebenswerten Pfarrer Venables erneut um Hilfe gebeten - diesmal bei der Aufklärung des seltsamen Falles. Und tatsächlich benehmen sich einige Dorfbewohner auffallend merkwürdig. Die Spur führt Wimsey und den ermittelnden Polizeidirektor Blundell zum Diebstahl eines Smaragd-Halsbandes, das vor einigen Jahren spurlos verschwand.

Lady of Crime

Dorothy Leigh Sayers (1893 – 1957) war eine renommierte englische Krimiautorin, Dichterin, Dramatikerin, Essayistin, Übersetzerin und christliche Humanistin. Sie studierte auch klassische sowie moderne Sprachen und legte als eine der ersten Frauen an der Universität ihres Geburtsortes Oxford ihr Examen ab. Mit ihren mehr als zwanzig Detektivromanen, die scharfsinnige, einfühlsame Milieuschilderungen der 1920er- und 1930er-Jahre enthalten, schrieb sie nicht nur Literaturgeschichte, sondern begründete ihren Ruf als eine der besten Krimiautorinnen ihrer Zeit. Sie gehört neben Agatha Christie und P.D. James zur Trias der großen englischen „Ladies of Crime“ und zählt darüber hinaus zu den Gründungsmitgliedern des bekannten „Detection Club“, der Vereinigung zur Förderung des klassischen Kriminalromans. Sayers populärste Romanfigur ist die des eleganten, finanziell unabhängigen Lord Peter Wimsey, der aus moralischen Motiven heraus Verbrechen aufklärt. Dieser äußerst scharfsinnige Amateurdetektiv avancierte zu einem der populärsten Krimihelden des Jahrhunderts. Allerdings betrachtete Sayers selbst ihre Übersetzung von Dantes „Göttlicher Komödie“ als ihr bestes Werk. Darüber hinaus ist die Engländerin auch für ihre Theaterstücke, Literaturkritiken und Essays bekannt. 

Neuauflage der Wimsey-Reihe

Seit 2020 legt der Verlag ROWOHLT Wunderlich die bekannte Reihe um den „Gentleman Detective“ Lord Peter Wimsey neu auf. Die von Otto Bayer (1937-2018) bereits in den 80er- Jahren übersetzten Romane erscheinen in einer wundervollen neuen Ausstattung. „Der Glocken Schlag“ ist der neunte von insgesamt elf Bänden, die Dorothy L. Sayers zwischen 1923 und 1937 schrieb. Hinzu kommen einige Kurzgeschichten über Lord Wimsey. 1998 wurde posthum ein zwölfter Roman nach einem unfertigen Manuskript veröffentlicht, der von der englischen Schriftstellerin Jill Paton Walsh vervollständigt wurde.

Der nun neu aufgelegte neunte Fall des redseligen Detektivs beschäftigt sich hintergründig, aber auch strukturell mit dem Wechsel- bzw. Variationsläuten, einer Kunstform des manuellen Glockenläutens, die wohl nur die Engländer beherrschen. Der Ablauf der Handlung und sogar das Verhalten der Protagonisten passt sich der Reihenfolge des Läutens an. Indem Sayers auch bei Kapitelüberschriften thematisch den Brauch aufgreift, steht jede Figur für eine besondere Glocke. Alleine hierin zeigt sich Sayers ganze literarische Klasse. Um den Roman besser verstehen und genießen zu können, liefert der Übersetzer im Nachwort einige Grundkenntnisse zur sogenannten Campanologie. Man muss aber vor der Lektüre nicht zurückschrecken, denn man wird dem Roman auch ohne Kenntnisse folgen können.

Very british

Für nicht wenige ist „Der Glocken Schlag“ der beste Wimsey-Roman Sayers. Auf jeden Fall bietet er Krimiunterhaltung auf allerhöchstem Niveau und nach bester englischer Tradition. Vollkommen zurecht wurde der Kriminalroman 1996 von der britischen Crime Writers’ Association, die die renommierten „Dagger Awards“ vergibt, mit einem „Rusty Dagger“ für den besten Kriminalroman der 1930er Jahre ausgezeichnet. Der mysteriöse Fall um den unbekannten Toten ist nicht nur ungemein spannend und die Handlung klug aufgebaut, sondern Sayers versteht es darüber hinaus auch meisterhaft, ein faszinierendes gesellschaftliches Bild der damaligen Zeit zu zeichnen. Neben der unglaublich dichten, nahezu greifbaren Atmosphäre und einem hohen Grad an Authentizität bei der Darstellung der historischen Hintergründe, überzeugt die Autorin erneut mit wunderbaren Figuren und einem ihr ganz eigenen Humor (So heißt etwa der Totengräber des Ortes passender Weise Harry Gotobed).

Fazit

„Der Glocken Schlag“ ist ein absolutes Muss - nicht nur für alle Liebhaber des traditionellen englischen Kriminalromans. Das größte Rätsel ist sicherlich, warum Dorothy L. Sayers hierzulande doch eher ein Schattendasein führt. Man kann nur hoffen, dass die wunderbare Neuausgabe dies ändern wird. Sayers Romane gehören wahrlich zum Besten, was die englische Krimiliteratur zu bieten hat.