Der Smaragd von Jabalpur

  • Breer & Thiemann
  • Erschienen: Januar 1907
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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2024

Edler Wein mit kostbarer Zutat.

Weltenbummler und Gelegenheitshändler Frank Clifton kehrt von einer weiten Reise zurück; dieses Mal war er in Indien. In Dehli hat ihn ein eher zwielichtiger Geschäftspartner namens Woltscheff um einen Gefallen gebeten: Clifton soll für ihn zwölf Flaschen edlen Tokajer-Wein nach London mitnehmen.

Während der Heimreise nach London freundet sich Clifton mit dem US-amerikanischen Millionär Lloyd D. Waterman und dessen Tochter Florence an. Dieser will den Wein unbedingt kaufen, und da er einen außerordentlichen hohen Preis zahlt, gibt Clifton nach. Er geht davon aus, Woltscheff damit einen Gefallen zu tun. Doch als ihn dieser in London aufsucht, ist er entsetzt.

Der verblüffte Clifton kommt ihm auf die Schliche: In Indien wurde einem mächtigen Radscha sein riesiger Smaragd geraubt. Offenbar ist Woltscheff darin verwickelt, und er hat Clifton den Edelstein, der in einer der Weinflaschen steckt, nach England bringen lassen.

Dort hat Waterman den Wein inzwischen verkauft. Nicht alle Käufer sind bekannt. Clifton geht richtig davon aus, dass Woltscheff und eventuelle Kumpane sich auf die Jagd nach den Flaschen machen. Wieso sich nicht einklinken? Clifton spekuliert auf eine hohe Belohnung für die Wiederbeschaffung des Juwels. Ihm zur Seite stehen Waterman und Florence, die sich in den stattlichen Briten verliebt hat. Ein Wettlauf zwischen den beiden Parteien beginnt. Clifton nimmt es sportlich, aber bald wird es hässlich - und tödlich, denn als sich weitere Konkurrenten in diesen Wettlauf einmischen …

Historie mit dunklen Stellen

Menschen wie Mirko Schädel sind die (oft stillen) Retter einer Literaturgeschichte, die abseits der Werke etablierter und ‚relevanter‘ Verfasser in Dunkelheit liegt. Dies gilt erst recht, wenn diese Genres angehören, die der populären oder trivialen Literatur zugerechnet werden. Solche Titel entstanden (und entstehen) primär mit dem Motiv zu unterhalten (und Geld zu verdienen), weshalb sich ihre Autoren an dem orientieren, was dem Publikum gefallen könnte.

Dies trug dazu bei, dass unzählige Titel erschienen und verschwunden sind, sobald sie vergriffen waren. Hin und wieder blieben zufällig einige Exemplare erhalten. Meist geschah dies an Orten, wo sie dem Zahn der Zeit und vor allem dem zerstörerischen Eifer entfesselter Tugendbolde entgingen, die sich seit jeher gegen alles wenden, das Spaß ohne pädagogische oder moralische Werte verbreitet.

Mirko Schädel hat es sich zur Aufgabe gemacht, solche Werke zu suchen, zu finden und dem Vergessen zu entreißen. Im norddeutschen Städtchen Jever hat er sogar das „Krimimuseum“ gegründet (http://krimimuseum.de). Es zeigt viele tausend Objekte einer Krimi-Historie, die eigentlich längst zum Unterbau einer Genregeschichte gehören müssten. Die Vielfalt der Exponate belegt, dass ausgerechnet die Vergangenheit eines der populärsten und auflagenstärksten Genres der Unterhaltungsliteratur weiße Flecken erstaunlicher Größe aufweist!

Deckel auf für eine Kiste voller Krimi-Wunder

Seit 2023 geht Mirko Schädel noch einen Schritt weiter. Jenseits des genannten Museums und einer Website (https://todspannung.de), auf der er gemeinsam mit Robert N. Bloch, einem weiteren Fachmann für „phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts“ (Zitat), über interessante Fundstücke, vergessene Buchtitel u. a. Aspekte einer versunkenen Krimi-Szene informiert, veröffentlicht er ausgewählte Titel in einer Auflage von jeweils 100 Exemplaren. Dies geschieht nicht manchmal und in großen Abständen. Tatsächlich sind binnen kurzer Zeit bereits mehrere Dutzend Titel erschienen, und die Ankündigungsliste verheißt eine wahre Flut weiterer Krimi-Schätze!

Mit „Der Smaragd von Jabalpur“ begann der Reigen. Der Roman ist exemplarisch für die Reihe: Er wurde mit viel Glück gefunden, doch seine Veröffentlichungsgeschichte ist unklar. 1907 erschien das Buch in Hamm. Schon damals blieb der Autor unbenannt bzw. unbekannt. „Frei nach dem Englischen übersetzt von K. von Raesfeld“, konnte man dem Titelblatt lesen. Eine Originalvorlage wurde nach Auskunft des Neu-Herausgebers Schädel bisher nicht gefunden. Hier stellt die lange nicht ungewöhnliche Anonymität selbst umfangreicher Texte eine zusätzliche Schwierigkeit dar. Der Autor schrieb und wurde entlohnt, das Werk veröffentlicht. Damit hatte es seinen Zweck als ‚Produkt‘ erfüllt und verschwand.

Ungeachtet der diffusen Herkunft kann „Der Smaragd von Jabalpur“ auch im 21. Jahrhundert unterhalten. Der erhaltene Text wurde durchgesehen und erhielt einen lesbaren Schriftfont. Dagegen blieb der Inhalt unangetastet, was jedoch kein Problem darstellt, da die Welt um 1900 keine echten Verständnisprobleme aufwirft; tatsächlich ist man immer wieder überrascht von einer Moderne, die zwar analog, aber keineswegs ‚langsam‘ funktioniert; so kann es die zeitgenössische Post durchaus mit der digitalen Kommunikation aufnehmen, die Zeitungen erscheinen mehrmals täglich, und nach der Eisenbahn lässt sich die Uhr stellen!

Jagd und Wettstreit: Krimi und Abenteuer

Dass sich diese Geschichte so gut halten konnte, liegt an einem Plot, der seine Wirkung nie verliert, wenn man ihn nur spannend umsetzt. Ein Schatz ging verloren; er ist versteckt in einem banalen Gegenstand, der in mehreren Exemplaren existiert, die weit verstreut wurden. Ein Held begibt sich auf die Suche. Dabei ist er im Wettstreit mit Konkurrenten, die ebenfalls von dem Schatz wissen. Wer wird das Versteck zuerst finden? Irgendwann wird besagte Konkurrenz aufmerksam, versucht den Helden zu foppen und auszuschalten. Letztlich trifft man aufeinander, was für ein spektakuläres Finale sorgt.

Dieser Plot ist ein guter, alter Bekannter. Er trägt sogar einen ‚richtigen‘ Literatur-Klassiker - den satirischen Roman „Zwölf Stühle“ des sowjetischen Autorenduos Ilja Ilf und Jewgeni Petrow (1928), der mehrfach (u. a. 1970 von Mel Brooks) verfilmt wurde. Sie waren also keineswegs die ersten, die sich seiner bedienten. (Schon 1904 war es Arthur Conan Doyle, den ihn für seine Sherlock-Holmes-Story „The Six Napoleons“/„Die sechs Napoleons“ variierte.)

Auch die Figurenzeichnung hat sich bewährt. Ungeachtet der Tatsache, dass sich die britische Gesellschaft in den mehr als 100 vergangenen Jahren radikal verändert hat, blieb das England der Jahre vor und nach 1900 als Kulisse für historisierende Abenteuer präsent. Held und Schurke, eine schöne Frau (die sich nicht wie eigentlich erwartet ins Geschehen einmischt oder gerettet werden muss) und allerlei krude Gestalten geben den Ereignissen buchstäblich Gesichter. Aus heutiger Sicht mag es manchmal gemächlich vorangehen, und mancher Einfall ‚zündet‘ nicht mehr wie einst, doch es geht stringent voran. „Der Smaragd von Jabalpur“ mag kein Klassiker seines Genres sein, was ohnehin nicht erforderlich ist: Für den Lesespaß sorgt solides, zeitloses Unterhaltungshandwerk.

Fazit

Die Herkunft dieses Kriminalromans mag obskur sein, doch sein Unterhaltungswert ist nach mehr als einem Jahrhundert ungebrochen: die Neu-Herausgabe ist ein seltener Glücksfall und enthüllt den Zipfel einer Krimi-Historie, die noch in weiten Teilen im Schatten liegt.

Der Smaragd von Jabalpur

Karl von Raesfeld, Breer & Thiemann

Der Smaragd von Jabalpur

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