Achtsam morden durch bewusste Ernährung
- Heyne
- Erschienen: Januar 2024
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Der Krimianteil kommt zu kurz.
Rechtsanwalt Björn Diemel hat es lange Zeit gekonnt verdrängt: Der sportliche Teil seines Lebens besteht mittlerweile darin, vom dritten Stock in den ersten seines Hauses zu stapfen und dank einer besonderen Diät aus Haribo Colorado, Chicken Mc Nuggets und Double-Salted- Caramel-Eisbechern ist der oberste Knopf seiner mittlerweile recht spack sitzenden Jeans ein dauerhaftes Ärgernis. Immerhin - das lässt sich recht leicht dadurch abstellen, dass besagter Knopf einfach offenbleibt. Aber es lässt sich kaum verleugnen, dass Diemel nicht mehr so gut zu Fuß unterwegs ist und das rächt sich bitterlich, als er eines Tages einen Entführungsversuch an seiner Tochter Emily beobachtet. Der kurze Verfolgungssprint der Täter bringt ihn an den Rand eines Herzinfarkts und das drohende Verbrechen kann er nur durch einen glücklichen Zufall verhindern. Was also tun? Diemel beschließt, auf die bewährte Hilfe seines Therapeuten Joschka Breitner zu vertrauen. Aber eine gewisse Skepsis bleibt. Vielleicht lässt sich so das Problem des Hosenknopfs lösen, aber was ist mit den anderen Sorgen, die ihn umtreiben? An dieser Stelle sollte einmal erwähnt werden, dass Diemel zwar vordergründig einen bürgerlichen Beruf ausübt, aber seine täglichen Kalorien tatsächlich mit Tätigkeiten finanziert, die im Strafgesetzbuch recht ausführlich beschrieben werden…
Ernährungscoaching mit ein bisschen Krimi?
Nach dem ersten Auftreten des Lifestyle-Opfers Björn Diemel führte ihn sein Schöpfer Karsten Dusse bereits über viele Probleme, denen sich die Therapeuten der heutigen Zeit widmen. Da ging es um die Achtsamkeit mit sich selbst, die Bedürfnisse des Inneren Kindes, die Erfahrungen auf einer Pilgerreise und zuletzt um das Leben in der Bhagwan -Bewegung. In diesem Roman muss sich der allzeit asketisch und schlank auftretende Therapeut Joschka Breitner neuen Problemen seines Patienten widmen, bedarf dieser doch wichtiger Ratschläge zu seiner Ernährung. Selbstverständlich ist sich Breitner nicht darüber bewusst, dass seine Tipps und Anregungen dazu dienen, ein gut organisiertes und breit aufgestelltes Gangster-Syndikat am Leben zu halten, an deren Spitze der vermeintlich unbescholtene Rechtsanwalt steht.
Björn Diemel zeigt sich dann auch im ersten Teil des Buches von seiner allerbesten Seite. Nach wie vor steht er vielen modernen Entwicklungen - vorsichtig formuliert - nicht allzu aufgeschlossen gegenüber. Dennoch hat er aus vielen Therapiesitzungen verinnerlicht, dass ein liebevoller und achtsamer Umgang zum Beispiel mit dem modernen Schulsystem mit dessen diversen "Spiel-, Projekt und Theatertagen" in vielen Situationen zielführender ist, als ein ungehaltenes Gespräch mit einem/r Vertreter/*in des Lehrkörpers zu führen. In diesem Teil erleben wir Diemel in Bestform - vordergründig achtsam zieht er hintergründig sarkastisch kräftig vom Leder und lange Zeit dachte ich schon, dass dieser Band endlich wieder an den sarkastischen Witz der ersten Bände anknüpfen könnte. Bereits aber mit der dürftigen Entführungsgeschichte, bei der den meisten Leser*innen vermutlich klar sein dürfte, was hier eigentlich passiert war, bekam meine Vorfreude den ersten Dämpfer.
Schöner Wohnen in deinem Körper
In den letzten Teilen des Buches überwiegen dann auch Ernährungstipps, die große Kunde von den guten und bösen Fetten und Ausführungen, welche industriell hergestellten Nahrungsstoffe welche körperlichen Reaktionen nach sich ziehen. In der Summe ist das noch einmal schlecht dargestellt und nach der Lektüre mag so manche/r Leser*in sogar für die eigene Ernährung positive Aspekte und Tipps mitnehmen. Aber - wer eine Ernährungsfibel mit Anleitung zur Darmreinigung wünscht, der hätte sich vermutlich dieselbe dann auch gekauft und nicht einen Roman, der mehrheitlich dann doch - und quasi durchs Hinterpförtchen - die besagte Ernährungsfibel mit Anleitung zur Darmreinigung und der Handhabung von Glaubersalz abliefert. Es ist auch sicher nicht so, dass in den Vorgängerbänden keine therapeutischen Ansätze vorgestellt wurden - aber wer wollte, der konnte die recht bequem überblättern und stieß nicht auf diese Menge und den fast schon missionarischen Eifer.
Mit zunehmender Länge der Ausführungen zu Lebensmitteln, Proteinen, Zucker und Fetten hat man manchmal den Eindruck, dass der Autor schon fast den Ausgangskrimi vergessen hat. Dessen knappe Abwicklung, die dann zuletzt recht lieblos angebunden wird, wirkt damit tatsächlich wie eine "Ach- Herrje- das-muss-ich-ja-auch-noch-bearbeiten"-Lösung. Natürlich konnten sich die meisten Leser sicherlich diesen Ausgang schon lange denken und ehrlich gesagt, war ich zum ersten Mal mit den Methoden des Anwalts nicht allzu glücklich, sondern verspürte zumindest in einem Fall Mitleid.
Fazit
Björn Diemel - da isser wieder, wenn auch ein wenig phantasielos und ein wenig moppelig geworden. Beides lässt sich ändern und es besteht immer noch die Hoffnung, dass er sich doch irgendwann wieder zur alten Form aufschwingt - und das nicht nur im Hinblick auf Ernährung und ein gutes Bauchgefühl.
Karsten Dusse, Heyne
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