Mit 91.000 Dollar und einer schweren seelischen Last auf der Flucht.
Alice ist selbst gerade einmal 15 Jahre jung, als ihr vierjähriger Bruder ums Leben kommt. Dieses Ereignis soll ihre Zukunft für immer verändern, denn an eben jenem Tag sollte sie auf ihren Bruder aufpassen. Sechs Jahre später hat sie der Alkohol im Griff, das Leben ist aus der Spur geraten, doch ihre Probleme sollen noch einmal deutlich gravierender werden.
Oh, Alice!
Es dauert, bis beim Lesen auch nur ein kleiner Hoffnungsschimmer aufflackert. Alice ertränkt ihren seelischen Schmerz in Alkohol. Einfache Jobs in Bars müssen ihr trostloses Leben finanzieren. Eines Tages wacht sie ohne Erinnerungen an die vorherige Nacht neben ihrem toten Chef auf. In der Wohnung, eine Tasche mit 91.000 Dollar und jede Menge Drogen. Zu verführerisch für Alice, die sich mit dem Geld einen Neustart zurück ins normale Leben erträumt. Doch es kommt alles anders.
Samuel W. Gailey haucht seiner tragischen Hauptfigur auf den 300 Seiten jede Menge Leben ein. Aber es ist ein hartes Leben, aus dem Alice nicht mehr so einfach entfliehen kann. Für den Tod ihres Bruders fühlt sie sich verantwortlich und hat früh ihr Elternhaus verlassen. Eine schicksalhafte Entscheidung, aber nicht die einzige und letzte, die sie noch treffen soll. Und so möchte ich sie gerne ein ums andere Mal rütteln oder am liebsten aus dem Buch ziehen.
Schicksalhafte Begegnungen und skrupellose Jäger
Das wäre auch eigentlich dringend nötig, denn natürlich heften sich die ursprünglichen Besitzer von Geld und Drogen an ihre Fersen, wollen noch eine weitere Rechnung begleichen. Alice jedoch hat noch keine Ahnung, welch skrupellosen Verfolger ihr täglich näherkommen. Samuel W. Gailey inszeniert hier aber keine atemlose Jagd voller Action, auch wenn es durchaus mal derbe zur Sache geht, was dem Roman eine düstere Note verleiht. Es sind schicksalhafte Begegnungen und einige prekäre Situationen, die Alice zu meistern hat und die sie immer wieder über ihre Vergangenheit reflektieren lassen. Es entstehen dichte, emotionale und überaus dramatische Momente.
Samuel W. Gailey bleibt stets nah an seinen Figuren. Während die Jäger etwas zu klischeehaft geraten, aber auch eigentlich nur – im wahrsten Sinne - Treiber der Geschichte sind, so verleiht er dem zerbrechlichen Charakter von Alice Seite um Seite Tiefe. Berührend sind die zurückhaltenden Dialoge, in denen die Verschlossenheit von Alice langsam aufbricht. Auch wenn die Alkoholsucht von Alice immer präsent ist, Gailey inszeniert sie dabei zu keinem Zeitpunkt effekthaschend. Und wer gar vermutet, dass Alice sich hier von Flasche zu Flasche hangelt und regelmäßig volltrunken durch die Gegend wankt, irrt gewaltig. Trotz Verzweiflung und Angst fasst Alice schließlich einen Entschluss. Da sie aber stets in einem nicht gerade gehobenen Milieu mit lauter liebenswerten Menschen unterwegs ist, kreuzen auch manch üble Kerle und ebenso gescheiterte Figuren ihren Weg. Unweigerlich gerät sie auf ihrem Weg immer wieder in Gefahr.
Samuel W. Gailey erzählt die Geschichte schnörkellos und geradlinig, aber mit einigen Zeitsprüngen, die uns zurück in das Jahr 2005 führen. Wir erfahren, was sich damals im Haus zugetragen hat und warum die Ereignisse Alice derart verändert haben. „Die Schuld“ hat gerade in der Begegnung mit einer besonderen Person aus Alice Leben sehr warme Momente, die so interessante Kontraste zu dem sonst tristen Umfeld entstehen. Doch wir ahnen bereits früh, dass wir auch hier bangen müssen. In einem packenden Showdown kann Alice schließlich auf eine Stärke ihrer Jugend bauen.
Fazit
Samuel W. Gailey erzählt ein spannendes Drama und einen rauen Thriller, in dem die junge Alice nach einem schweren Schicksalsschlag ihre Lebensperspektive verloren hat. Mit jedem Schritt gerät sie in „Die Schuld“ tiefer in den Schlamassel. Wir leiden und fiebern mit Alice mit und drücken die Daumen, dass sich irgendwie alles noch zum Guten für sie wenden mag. Mit 91.000 Dollar und einer schweren seelischen Last begleiten wir sie auf ihrer Flucht ins endgültige Verderben oder eine mögliche neue Zukunft.
Samuel W. Gailey, Polar
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