Wenn die Masken fallen
- Kein & Aber
- Erschienen: Mai 2024
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Als würde man Josephine Tey selber über die Schulter schauen.
Es war sicherlich nicht der Plan von Inspektor Archie Penrose, am ersten Tag seines Urlaubs einer Beerdigung beizuwohnen. Die zwei Wochen auf dem Familienanwesen in Cornwall stellen eigentlich eine dringend benötigte Pause von seiner Londoner Arbeit bei Scotland Yard dar. Und auch seine enge Freundin Josephine Tey soll hier nach einer turbulenten Zeit endlich wieder durchatmen.
Die Krimiautorin freut sich sehr über die Einladung, zumal das Anwesen der Penroses nicht nur in unmittelbarer Nähe des berühmten Freilichttheaters von Minack liegt, sondern Josephine genau die Ruhe dieses Ortes sucht, um an ihrem neuen Kriminalroman zu schreiben.
Beide können nicht ahnen, dass der mysteriöse Tod des gerade beigesetzten Verstorbenen schon bald die ganze Aufmerksamkeit des Inspectors verlangt. Während der sommerlichen Festwoche wird dann auch noch ein junger Mann vermisst und während einer Theateraufführung - bei der Penrose als Statist mitwirkt - gibt es einen weiteren Toten zu beklagen. Während das ganze Dorf in heller Aufruhr ist, kommen immer mehr dunkle Geheimnisse als Licht, für die jemand bereit ist, zu töten.
Britische Bestsellerautorin
„Wenn die Masken fallen“ ist der zweite Band der erfolgreichen, elfbändigen Krimireihe der englischen Autorin Nicola Upson. Hauptfigur der Serie ist Josephine Tey, eine der bekanntesten Krimiautorinnen des Britischen „Golden Age“. Der Züricher Kein & Aber-Verlag veröffentlichte im letzten Jahr bereits die Upson-Romane „Experte in Sachen Mord“ (Band 1), „Mit dem Schnee kommt der Tod“ (Band 9) sowie „Dorf unter Verdacht“ (Band 10). Nur erscheint zeitgleich mit „Wenn die Masken fallen“ auch der neueste Band der Reihe, „Drehbuch des Todes“. Die bereits vor einigen Jahren in Großbritannien erschienen Bände 3 und 4 sind vom Verlag bereits für den Oktober angekündigt.
Zeitgeist eingefangen
Wer klassische englische Kriminalromane liebt, der wird den zweiten Band der Tey-Penrose-Reihe mit großer Begeisterung lesen. Auch wenn er - für dieses Genre typisch - eher gemächlich daher kommt und alles andere als ein rasanter Thriller ist, bietet „Wenn die Masken fallen“ alles, was es für feine englische Krimikost braucht: viel Lokalkolorit, typisch britisches Flair, eine zerrissene Dorfgemeinschaft, einen undurchsichtigen Pfarrer - und jede Menge Tee. Nicole Upson gelingt in allen Romanen der Reihe etwas ganz Besonderes. Sie sind keine billige Kopie klassischer Kriminalromane, sondern scheinen im positiven Sinne aus der Zeit gefallen. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man die Britin für eine Schriftstellerin des „Golden Age“ halten. Ein größeres Kompliment kann man ihr wohl kaum machen.
In einer unaufgeregten, aber überaus facettenreichen Art nimmt sie sich Zeit, nach und nach ein genaues, mitunter bewegendes Sittengemälde der 30er-Jahre im ländlichen England zu entwerfen. Im Mikrokosmos einer ländlichen Gemeinde, in der jeden den andern gut zu kennen glaubt, beginnt es mehr und mehr zu gären, alte Konflikte brechen wieder auf und die vermeintliche Dorfidylle entpuppt sich als Trugschluss. Gleichzeitig wirft Nicola Upson besonders in diesem Roman auch scheinbar aktuelle Fragen der sexuellen Orientierung, häuslicher Gewalt und (sexuellen) Missbrauchs auf, die man früher gar nicht stellen durfte. Dabei werden auch altbekannte Hierarchien in Frage gestellt. Wie auch in den folgenden Bänden der Reihe bewegt sich Upson mitunter am Rande zu einem Gesellschaftsroman. Ihr geht es darum, die Wünsche und Träume der Menschen einer längst vergangenen Zeit, aber auch deren Abgründe einzufangen. Dies gelingt ihr erneut auf beeindruckende Weise. Ein Roman, der zunehmend seine inhaltliche Wucht entfaltet.
Fazit
Nein, „Wenn die Masken Fallen“ ist kein rasanter Kriminalroman und man muss sich Zeit für ihn nehmen. Wer dies macht, wird mit einer äußerst lebendigen, „zeitnahen“ Erzählung belohnt, die mit einer feinen Figurendarstellung und einem bedrückenden Thema zu überzeugen weiß. Nicht zuletzt bietet der Roman einige Überraschungen und einen zwar nicht über 500 Seiten fesselnden, aber doch insgesamt spannenden Kriminalfall. Ein Muss für alle, die klassische britische Krimikost mögen.
Nicola Upson, Kein & Aber
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