Düsterer, ungemein packender Serienstart.
An einem kalten, grauen Wintertag tappst die über 80-jährige Irene Nowak mit ihrem Einkaufstrolley am frühen Morgen auf dem Weg vom Bäcker nach Hause über die Gehwege der Hochhaussiedlung. „Sie sollten sich bei dem Wetter etwas Wärmeres anziehen“, rät ihr eine junge Nachbarin. Kalt ist es Frau Nowak tatsächlich. Doch den sprichwörtlichen Tod kann sie sich nicht mehr holen - denn sie ist zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon längst nicht mehr am Leben.
Zu diesem Ergebnis wird einen Tag später zumindest Gerichtsmediziner Björn Thomsen kommen, nachdem man die Leiche der alten Frau in ihrer Wohnung gefunden hat. Doch wie ist dies alles möglich? Die neu gegründete Einheit „Gruppe 4“ rund um das Ermittlerduo Jakob Krogh und Mila Weiss steht vor einem Rätsel. Wenig später wird der junge Student Ben ebenfalls tot in seiner Wohnung gefunden, obwohl auch er noch nach seinem Tod in der Uni gesehen wurde. Doch damit nicht genug: An beiden Tatorten werden Krähen gefunden. Ausgehungert, panisch und äußerst aggressiv haben sich diese über die Opfer hergemacht. Der einzige Hinweis ist eine seltsame Botschaft, die man in beiden Wohnungen findet: „Schaut nach oben!“ Während ihnen der Staatsanwalt im Nacken sitzt, jagt die neue Ermittlereinheit den Mörder. Doch der könnte jeder sein: der Nachbar, der Kollege, der eigene Freund. Jemand, der die Leere in sich mit Leben füllen muss.
Autor der Normandie-Reihe
Benjamin Cors ist politischer Fernsehjournalist und hat viele Jahre für die „ARD-Tagesschau“, die „ARD-Tagesthemen“ und den „Weltspiegel“ berichtet. Heute arbeitet er für den „SWR“. Der Deutsch-Franzose Cors ist in der deutschen Krimilandschaft längst kein Unbekannter mehr. Als Autor erlangte er Bekanntheit mit seiner Krimireihe um den charismatischen, aber eigenwilligen Personenschützer Nicolas Guerlain, der seine Fälle in der Normandie löst.
Nun erscheint ebenfalls bei dtv mit „Krähentage“ der Start einer Thrillerreihe, bei der nicht nur ein außergewöhnliches Ermittlerteam Serienverbrechern das Handwerk legen soll, sondern die deutlich düsterer und unheimlicher als die Krimi-Reihe daherkommt. Aber auch das kann Cors meisterhaft.
„Gruppe 4“
Der neue Thriller von Benjamin Cors überzeugt mit einer dunklen, an Nordic-Noir erinnernden Atmosphäre. Im Mittelpunkt steht dabei die ungewöhnliche Ermittlereinheit zur Bekämpfung schwerwiegender und heimtückischer Verbrechen in Verbindung mit Serientätern. Geleitet wird die „Gruppe 4“ von Jakob Krogh, der nach einem Jahr Auszeit wieder in den Dienst zurückkehrt. An der Seite des 42-Jährigen steht mit Mila Weiss eine weitere erfahrene, äußerst gradlinige und selbstbewusste Ermittlerin, die zuletzt als Verbindungsbeamtin in Wien tätig war. Die 37-jährige Ermittlerin hat eine Aufklärungsquote, die sich sehen lassen kann. Aber sie kommt nicht ohne Grund nach Deutschland zurück, trägt sie doch ein dunkles Geheimnis mit sich.
Zum Team gehört des Weiteren die für Cyber-Kriminalität zuständige Lucy Chang. Die nur 1,55 m große, quirlige und äußerst unkonventionelle Ermittlerin ist nicht nur schlagfertig, sondern liebt laute Musik und ihr Motorrad. Letzteres hat sie gemeinsam mit Tuure Salo, von allen nur „Der Finne“ genannt. Tuure, gegen den wegen körperlicher Gewalt Tatverdächtigen gegenüber ermittelt wird, ist für die Arbeit vor Ort zuständig. Während Frauke Ibsen den Bereich Organisation und Recherche übernimmt, schätzt Krogh seinen alten Kollegen Ludger Palm wegen seiner Erfahrung und Ruhe. Unterstützung erhält das Team später noch vom pensionierten Fallanalysten Max Bender.
Ein Niemand als Täter
Aber nicht nur das Team ist ungewöhnlich, sondern auch der Täter. Auch wenn sein Motiv lange im Dunklen bleibt, erfährt man bereits früh seinen Namen: Elias Brunner. Er ist ein Außenseiter, ein Niemand, ein Mensch, vergessen am Rande des Lebens, den andere nicht wirklich sehen und dem man keine Aufmerksamkeit schenkt. Nun will Elias wahrgenommen werden und teilnehmen am Leben seiner Mitmenschen, aber ganz anders, als man es sich vorstellen mag. Zu lange war er von alldem ausgeschlossen. Doch das soll sich nun ändern. Elias wird Gast im Leben und der Welt der anderen. Doch niemand weiß, wie lange er wirklich bleiben wird.
Großartiger Schreibstil
Benjamin Cors gelingt es nicht nur, von Beginn an eine düstere, bedrückende Atmosphäre zu schaffen, er ist ein Meister des Wortes. Bereits die ersten Seiten zeugen von einem sprachgewaltigen Autor, der eindrucksvolle Bilder im Kopf entstehen lässt. Ganz allmählich steigert er das Grauen, lässt Täter und Ermittler sich unwissend begegnen, während Elias seine Taten immer weiter perfektioniert. Die Parallelgeschichte funktioniert ausgezeichnet, weil der Täter der „Gruppe 4“ immer einen Schritt voraus zu sein scheint und weil Cors als erfahrener Autor bis zum Schluss immer noch eine überraschende Wendung parat hat. Allein die Aufdeckung eines familiären Geheimnisses am Ende ist dann doch etwas zu viel des Guten, mindert die Lesefreude aber nicht.
Fazit
Benjamin Cors legt einen fulminanten Start als Thrillerautor hin. Ein düsterer, ungemein packender Roman, der schnell zum Pageturner wird. Ein schauriges, kurzweiliges Lesevergnügen und ein Ermittlerteam, das aufgrund seiner außergewöhnlichen Typen zu begeistern weiß. Man darf bereits jetzt auf den nächsten Fall der „Gruppe 4“ gespannt sein.
Benjamin Cors, dtv
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