Schneesturm
- Fischer
- Erschienen: Dezember 2023
- 10
Wenn die alten Freundschaften rissig werden.
Die alten Freunde hatte es in viele Winde verstreut. Einst waren sie alle auf der kleinen irischen Insel Inishmore groß geworden und hatten davon geträumt, immer zusammenzubleiben. Aber jetzt leben Ferdy und Sorcha schon lange in London und Seamus hat den großen Sprung nach Hollywood geschafft. Viel Zeit sich zu sehen, blieb da nicht. Aber jetzt wollen sie sich endlich alle wieder treffen - natürlich in Daithis Kneipe. Er ist mit Maura und Cara auf der Insel geblieben und auch hier haben sich die Wege unterschiedlich entwickelt. Maura arbeitet als Lehrerin an der örtlichen Schule, Cara ist dagegen zur Polizei gegangen und wird von vielen "Ureinwohnern" misstrauisch beäugt.
Aber an diesem Abend wollen sie einmal alles, was sie trennte, vergessen. Dumm nur, dass Cara dann noch einen Dienst auf dem Festland aufgebrummt bekam und deswegen bei der großen Sause nicht dabei sein kann. Aber wenn ein paar Tage Gemeinsamkeit geplant sind, lässt sich das ja nachholen. Doch dann schlägt das Wetter um und dank eines heftigen Schneesturms sind plötzlich alle Verbindungen zum Festland gekappt. Dennoch - mit einer gut gelaunten Runde und einer ausreichenden Menge an Alkohol lässt sich das alles gut aussitzen. Das war zumindest die Grundidee - bis die fröhliche Gruppe plötzlich feststellt, dass eine von ihnen nicht mehr dabei ist und es kommt noch schlimmer: Ein Mensch aus ihrem Freundeskreis scheint für deren Verschwinden auch noch verantwortlich zu sein...
Ein Hauch Inselromantik abseits vom Tourismus
Ich vermute, dass wir das alle kennen: Alle haben der großen Wiedersehensparty, dem Klassentreffen entgegengefiebert und natürlich gedacht, die alten Zeiten nahtlos wieder auferstehen lassen zu können. Vermutlich waren wir alle anschließend ein wenig desillusioniert: Freunde haben sich weiterentwickelt und vielleicht ganz anders, als wir früher mal gedacht haben. Der Klassenrebell macht jetzt in Politik und befürwortet die neue Autobahn, wer auszog, um die Welt mit seiner Kunst zu verändern, hat dann doch die Firma vom Papa übernommen, ist verheiratet, hat drei Kinder und seit dem letzten Treffen locker zwanzig Kilo mehr auf den Rippen. Vieles, was zu Beginn des Erwachsenwerden toll und vielversprechend aussah, hat seine Versprechen nicht eingehalten.
So ergeht es auch den alten Freunden, die sich auf Inishmore treffen. Dabei ist selbst der Anlass ihres Wiedersehens kein schöner: Cillian, Caras Mann, verstarb vor zehn Jahren bei einem Bootsunfall und abgesehen von der feucht-fröhlichen Party wollen die Freunde seiner gedenken. Triona Walsh erzählt ehrlich und manchmal schmerzlich, wie sich plötzlich Gräben auftun. Wie alte Freundinnen plötzlich zu hysterischen, boshaften Zicken mutieren, ehemals eigensinnige Freunde nur noch egoistisch und arrogant auftreten und wie sogar die letzte Grenze überschritten wird: Wie ein Mensch aus der Gruppe kalt und skrupellos zuschlägt, um eine/n andere/n zum Schweigen zu bringen. Eingebettet ist die ganze Handlung in die vom Schneesturm geschüttelte Insel und das ist so lebensnah und unromantisch geschildert, dass es einen beim Lesen zu frösteln vermag.
Ein Krimi, der zur irischen Landschaft passt
Triona Walsh baut ihren Krimi langsam und ruhig auf. Ihre Protagonistin Cara, früh verwitwet und jetzt im Polizeidienst, ist diejenige, die in diesem "Closed-Island-Szenario" die Ermittlungen vorwärtstreibt. Wie sie offen zugibt, hat sie nicht die Ausbildung erhalten, um eine Mordermittlung durchzuführen und so ist vieles an ihren Untersuchungen vorsichtig und tastend. Manchmal mag das die Handlung ein wenig ausbremsen, gelegentlich hätte ich mir gewünscht, dass gerade gegenüber ihren Freunden eher ein deutlicheres Wort gesprochen worden wäre. Andererseits - wer sagt schon seiner alten Clique auf den Kopf zu, dass einige von ihnen es mit der Wahrheit oder der Einhaltung der Gesetze nicht allzu genau nehmen?
Die Hauptakteurin dieses spannenden Romans ist jedoch in vielen Punkten die irische Landschaft, deren manchmal eigenwillige Menschen und nicht zuletzt das Wetter, das vieles - und sicher für die meisten von uns ungewohnt - nach seinen eigenen Regeln gestaltet. Eingebettet in deren Vorgaben baut Walsh ihren Roman auf und nimmt uns vielleicht allen ein wenig die Illusion, wie schön es sein könnte, mit dem Freundeskreis auf einer einsamen Insel - aber mit genügend Alkohol - einen Schneesturm abzuwarten.
Fazit
Triona Walsh interpretiert die alte Idee der sieben "kleinen" Europäer/*innen auf der einsamen Insel neu und erzählt einen spannenden, manchmal etwas behäbig fließenden Roman. Eingebunden in eine störrische, irische Landschaft werden viele Irland-Liebhaber "Ihr Irland" liebevoll wiedererkennen - vielleicht aber auch die eine oder andere Illusion verlieren.
Tríona Walsh, Fischer
Deine Meinung zu »Schneesturm«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!