Was nicht vergessen wurde
- Ronin
- Erschienen: Januar 2024
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Viel Familiendrama, wenig Thriller.
Vielschreiberin Lisa Jewell zählt in Großbritannien zu den gern gelesenen Bestsellerautoren. Mit „Was damals geschah“ erschien 2023 der erste Teil ihrer Dilogie „The Family“ in Deutschland. Jetzt folgte der zweite Teil, der mir als Hörbuch vorliegt. Eingelesen wird es von der Schauspielerin und Sängerin Sandrine Mittelstädt, die durch ihre einfühlsame und professionell modulierte Stimme den Figuren Körper und dem Geschehen Atmosphäre verleiht.
London 2019
Im Schlick der Themse wird ein Müllsack mit Knochen gefunden. Der Fund führt Detective Samuel Owusu zu einem Haus in Chelsea, in dem vor Jahren ein verlassenes Baby und drei Leichen gefunden wurden. Zeitgleich muss sich eine Familie großen Herausforderungen stellen, die mit genau diesem Vorfall zusammenhängen. Die Vergangenheit überschattet die Gegenwart und droht das auch der Zukunft an.
Kein Thriller und nur wenig Spannung
Eigentlich ist es nicht notwendig den ersten Teil der Dilogie zu kennen, jedoch würde es das Verständnis für die Figuren erleichtern. Immer wieder werden kleine Hinweise auf das Geschehen vor 30 Jahren gegeben, dennoch muss viel erahnt werden. Wer Henry, Finn und Lucy wirklich sind, ist mit Vorkenntnissen schlicht einfacher zu begreifen. Und auf die Lamb-Familie baut nunmal die ganze Geschichte auf. Das gefundene Skelett bleibt sehr lange im Hintergrund und wird erst spät in den immerhin über 11 Stunden Hörzeit wieder aktuell. So gestaltet sich alles auch mehr wie eine dramatische Familiengeschichte als ein packender Thriller. Spannung stellt sich dabei kaum ein, da helfen verschiedene Perspektiven, Wendungen und eine weitere Zeitebene auch nicht weiter. Gerade diese ist eigentlich völlig unnötig, nimmt aber sehr viel Raum ein.
Traumatisierte Figuren in lapidarer Geschichte
Auch wenn man erst jetzt in die Geschichte der Familie Lamb einsteigt, wird schnell klar, dass alle Mitglieder traumatisiert sind. Die Vorkommnisse im Haus in Chelsea vor 30 Jahren halten sie bis heute gefangen. Jeder reagiert auf andere Weise auf die nun anstehenden Herausforderungen. Erst nach und nach wird deutlich, was damals wirklich geschah und die Lösung der aktuellen Probleme stellt gleichzeitig eine Verarbeitung der damaligen dar. Die Figuren sind der Autorin dabei gut gelungen, wobei Henry die am besten dargestellte ist. Leider wird der dramatische Blick auf die Charaktere durch doch allzu rosa gemalte aktuelle Lebensumstände ins Banale gesteuert. Geld ist auf einmal im Überfluss vorhanden und überhaupt scheint sich alles zwischen teuren Häusern und glänzenden Motorrädern – die unzähligen Uber-Fahrten nicht zu vergessen – abzuspielen. Und der Schluss setzt dem ganzen dann die harmonisch glänzende Krone auf und bestätigt die Ahnung, die man von Anfang an hatte - eine Geschichte mit viel Potential wurde hier zu trivial abgehandelt.
Fazit
Wer auf einen packenden Thriller hofft, dürfte wohl enttäuscht werden. Für alle Fans von „Was damals geschah“ ist die Fortsetzung natürlich ein Muss, alle anderen könnten die Geschichte der Familie Lamb vielleicht ein wenig zu trivial erzählt finden und lieber auf andere Thriller zurückgreifen, in denen tatsächlich die spannende Aufklärung eines Falles im Vordergrund steht und nicht die Aufarbeitung von persönlichen Traumata.
Lisa Jewell, Ronin
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