Das strömende Grab
- Blanvalet
- Erschienen: Oktober 2023
- 5
Spannend - aber viel zu lang.
Anfangs waren Sir Colin und Lady Sally nur verärgert, als ihr jüngster Sohn William plötzlich sein Studium hinschmiss und sich der Universal Humanitarian Church (UHC) anschloss. Dem Ärger aber folgte Bestürzung und letztendlich Verzweiflung, als sie feststellen mussten, dass eine Kommunikation mit ihrem Jüngsten nicht mehr möglich war. Ihre zuerst ungehaltenen und dann zunehmend flehenden Briefe wurden - wenn überhaupt - in einem kühlen, geschäftsmäßigen Ton beantwortet und immer wieder wurde der Segen einer mysteriösen, ertrunkenen Prophetin beschworen. Spätestens als William sein Treuhandkonto zugunsten der UHC leerräumte, mussten Sir Colin und Lady Sally feststellen, dass ihr Sohn offensichtlich fest in den Händen einer skrupellosen Sekte gefangen ist. Alle Versuche, diese Organisation juristisch zu belangen liefen ins Leere und auch die große Hoffnung, mit der Hilfe eines Sektenaussteigers die Wahrheit über die Gehirnwäsche und das Ausnutzen deren Mitglieder zu offenbaren, zerschlug sich, denn dieser kam unter mysteriösen Umständen ums Leben.
Als letzter Strohhalm tritt nun die Detektei "Strike und Ellacott" auf den Plan, die damit beauftragt wird, William aus den Fängen der UHC zu lösen. Das ist allerdings gar nicht so einfach, befindet sich das Zentrum der Sekte doch auf dem platten Land auf einem solide eingezäunten und von Kameras überwachten Gut. Cormoran Strike und seine Partnerin Robin Ellacott kommen nur zu einer Lösung: Robin muss als vermeintliche neue Jüngerin in die Glaubensgemeinschaft eintreten und versuchen, von innen heraus mit William Kontakt aufzunehmen. Beide unterschätzen dabei aber vollkommen, zu welchen Mitteln die UHC greift, wenn sie ihre Mitlieder zur Räson bringen - oder im schlimmsten Fall beseitigen will....
Wo viel Licht ist....
Natürlich weiß sicherlich mittlerweile jede/r Leser/*in, dass sich hinter dem Pseudonym des "Robert Galbraith" die weltberühmte Autorin Joanne L. Rowling verbirgt. Rowling ist ein Garant für spannend erzählte Romane und das belegen natürlich nicht nur ihre "Harry-Potter" Bände, sondern auch die mittlerweile sechs Vorgängerbände um den eigenwilligen Cormoran Strike und seine Partnerin Robin Ellacott. Ebenso steht sie aber mittlerweile für Romane, die in ihrer Dicke an die gute alte Bibel erinnern. Allein der jetzt vorliegende Band weist eine Seitenzahl von 1.291 Seiten auf und das allein mag schon so manchen abschrecken.
Auf so einer Menge von Seiten müssen sich natürlich Licht und Schatten ereignen. Auf der "Licht-Seite" - und damit meine ich die richtig fesselnden Abschnitte - sind die Schilderungen von Robins Leben in der religiösen Gemeinschaft zu nennen. Vieles erinnert hier an die Organisation und die Vorgänge um die "Colonia Dignidad" in Argentinien oder die der "Davidianer" in den USA - und als ob das nicht schon genug wäre, werden zusätzliche mysteriöse Erscheinungen der sekteneigenen Propheten mit übersinnlichen Auftritten ins Feld geführt. Robin stellt fest, dass die UHS offensichtlich wesentlich mehr auf dem Kerbholz hat, als ursprünglich gedacht, muss sich aber auch eingestehen, dass sie deren Methoden immer weniger entgegenzusetzen hat. Neben ihren Untersuchungen werden die Leser aber auch unvermittelt durch einen Schriftwechsel zwischen den ratlosen Eltern Colin und Sally und ihrem in die Sekte abgeglittenen Sohn in die Handlung hereingezogen. Sie erleben hier direkt zu Beginn die Ängste und Ratlosigkeit von Eltern, deren Kinder in dubiose Gemeinschaften rutschen.
Interessant fand ich auch wieder die Einblicke in Strikes und Ellacotts Privatleben - wenn man ihre persönlichen Affinitäten zueinander einmal ausblendet. Cormoran muss sich mit verschiedenen Problemen herumzuschlagen. Da sind zum einen immer noch die Auswirkungen aus seiner Trennung mit dem ehemaligen IT-Girl Charlotte, die sich im Rausch seiner immer noch gerne erinnert. Zum anderen treten familiäre Probleme auf, denn eines der engsten Familienmitglieder erkrankt an Alzheimer und so müssen Entscheidungen getroffen werden, die allen schwerfallen. Robin dagegen hat eine neue Beziehung gefunden, stellt aber fest, dass auch hier nicht alles Gold glänzt. Viele Leserinnen und Leser werden hier Probleme wiedererkennen, die auch ihr Leben berühren.
...da ist auch Schatten.
Auf der Schattenseite stößt dagegen wieder das Verhältnis zwischen Strike und Ellacott auf. Seit sechs unendlichen dicken Bänden tanzen die beiden mittlerweile umeinander herum. Mal hat der/die eine, mal die/der andere einen Partner und natürlich ist es nie das richtige und natürlich wirft sich der/die allein Verbliebene in die Arme irgendeiner Zufallsbekanntschaft. In diesem Band löst das auch noch einmal ordentliche Probleme aus und hier möchte der Leser nur sagen: "Recht so! Jetzt löffel‘ mal deine Suppe aus!" Zwei erwachsene Menschen, gefangen in einem immerwährenden Eiertanz - und auf 1.285 Seiten darf man sich diesen ansehen. Wer hier jetzt natürlich aufmerksam liest, stellt fest, dass sechs Seiten vom Gesamtwerk fehlen und darf sich jetzt fragen, ob sich zumindest ein Hoffnungsschimmer ergibt.
Unnötig verwirrend sind auch noch die zusätzlichen Fälle, die die Detektei bearbeitet. Sicher ist es im Arbeitsalltag von Detektiven immer so, dass nicht nur ein Fall auf der Tagesordnung steht. Aber die ausführlichen Erzählungen dieser Stränge, die nichts mit dem Hauptfall zu tun haben, neben einer Vielzahl von Personen, die hier auftreten und ihren teilweise nervigen Spitznamen, trägt sicher nicht zu einer straffen Handlung bei. Hier hätte ich mir manchmal gewünscht, dass ein strenger Lektor energisch den Rotstift angesetzt hätte. Möglicherweise möchte man hier aber eine Autorin vom Range einer Joanne Rowling nicht vergrätzen.
Fazit
Robert Galbraith alias Joanne Rowling bietet seiner oder ihrer Leserschaft spannende Unterhaltung in einem - leider - zu langen Buch mit zu vielen Handlungssträngen. Sicher geht es nicht nur mir so, dass das, was auf Seite 100 erzählt wird, manchmal auf Seite 1000 wieder in Vergessenheit geraten ist. Wie auch im letzten Band wäre einfach hier etwas weniger dann doch wieder "Mehr" gewesen.
Robert Galbraith, Blanvalet
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