Der Ausflug
- Penguin
- Erschienen: Februar 2024
- 11
Sag' nicht "Ja", wenn du "Nein" sagen willst.
Henrik und Anna sind schon lange zusammen und ja, es ist, wie es ist: Ein bisschen ist der Lack ab. Anna meint, dass Henrik sich gehen lässt, Henrik fragt sich, ob das mit Anna noch das Wahre ist. Sicher geht es vielen Paaren so. Immerhin ist ihre gemeinsame Freundin Milena offensichtlich frisch verliebt und dazu noch in eine gutaussehende, großgewachsene Sportskanone namens Jacob. Den will sie natürlich dann auch direkt auf ihre alljährlich wiederkehrende, mehrtätige Wanderung mitnehmen.
Eigentlich sehen Henrik und Anna das mit ein bisschen gemischten Gefühlen. Aber weil sie sich ja auch darüber freuen, dass Milena endlich einen Partner gefunden hat - und weil sie sich auch einfach nicht so recht trauen "Nein" zu sagen und nicht die Spielverderber sein wollen - macht sich nun ein Quartett zu dem geplanten Ausflug auf. Milenas Jacob ergreift hier alsbald das Kommando: Nicht nur, dass er plötzlich ganz anderer Meinung ist, wo denn die Reise überhaupt hingehen soll, gibt er doch plötzlich die Tagesziele vor und scheint darüber hinaus auch noch der Meinung zu sein, dass er das unerwiderte Gebet jeder Frau ist. Henrik und Anna trauen sich lange Zeit nicht "Nein" zu sagen - und als sie es endlich doch tun, da ist es schon zu spät.
Wie weit kann ich dem anderen trauen?
Vor mehreren Jahren fragte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" einmal, warum wir eigentlich so oft unserem ersten Bauchgefühl misstrauen und uns aus reiner Höflichkeit auf Sachen einlassen die wir - wären wir ehrlich - nicht wollen. Da ist der junge Mann der unbedingt die Einkäufe zu unserem Wagen im dunklen Parkhaus bringen will, der Kollege, der darauf besteht uns nach Hause zu fahren, das Einsteigen in den Fahrstuhl wo schon jemand drinsteht, der uns sehr, sehr suspekt erscheint. Das Magazin führte hier verschieden Fälle auf, die unmittelbar in die Katastrophe führten. Einfach deswegen, weil die späteren Opfer zu höflich waren um Hilfe abzulehnen oder nicht irgendwo einzusteigen.
Unter dieser Prämisse ist es dann schon zum buchstäblichen Haareraufen, was Anna und Henrik hier in ihrem einwöchigen Urlaub erleben und hinnehmen. Beide gehören zu den Paaren, die so ein wenig in die Jahre gekommen sind. Einst waren sie eines der glanzvollsten Paare der Uni in Uppsala: er der jüngste Dozent aller Zeiten - sie eine der glamourösesten Studentinnen - und natürlich musste ihre Romanze geheim bleiben und natürlich klappte das nicht so ganz. Diese schönen Zeiten sind aber längst vorbei und irgendwie wissen beide, dass sie entweder heiraten oder sich trennen müssen - alles ist besser als dieses Nebenhergedümpel.
Ausgerechnet in dieses Szenario platzt jetzt der Wunsch der gemeinsamen Freundin Milena ihre neue Flamme Jacob mit auf die Wanderung zu nehmen. Ein "altes" Paar hätte sicherlich schon kein großes Bedürfnis, sich das Geturtel frisch Verliebter anzusehen, noch schlimmer wird die Sache aber, wenn man in Schwedens Wildnis plötzlich aufeinander angewiesen ist. Kommt jetzt auch noch der Verdacht dazu, dass man in dieser Einsamkeit mit einem möglichen Verbrecher unterwegs ist, so ist die Katastrophe fast schon greifbar. Anna erzählt das aus der Warte der Ich-Erzählerin, abgelöst werden ihre Aussagen durch Auszüge aus Polizei-Protokollen und damit weiß der/die Leserin schon, dass der Ausflug auf gar keinen Fall mit einem harmonischen Abendessen endet.
Misstrauen vor lebensfeindlicher Kulisse
Ulf Kvensler spannt einen atmosphärisch dichten und beeindruckenden Spannungsbogen. Eindrücklich zeigt er, was passieren kann, wenn ein neuer Magnet in eine alte Gruppe stößt, die seit Jahren aufeinander abgestimmt ihren ruhigen Weg nimmt und jetzt plötzlich neu aufgemischt wird. Angesiedelt wird der Krimi in die grandiose Landschaft des Nationalparks Sarek und der wanderbegeisterte Autor zeigt hier sehr deutlich, wie schnell sich ein fantastischer Urlaub in eine ebensolche Katastrophe umwandeln kann, wenn elementare Fragen der Ausrüstung nicht oder falsch berechnet wurden. Zunächst stolpern seine Helden durch Alpträume von Misstrauen und Streit, alsbald aber auch durch die von Schnee und Eis - und im Angesicht einer drohenden Katastrophe fällt schnell der Firnis der normalen Gesellschaft ab.
Kvenslers Geschichte ist dennoch nicht so klar, wie man es auf weiten Strecken erwartet. In den letzten Kapiteln und als der/die Leser/*in sich schon ein klares Urteil gebildet hat, kommt plötzlich eine neue Wendung mit ins Spiel. Natürlich stört das den Ablauf, den wir uns schon alle klar und detailliert gedacht hatten, andererseits ist das der Teil, der den Roman von anderen Büchern unterscheidet: Es gibt nicht nur die Guten und die Bösen. es gibt die Guten, die zu wenig tun, die aus Feigheit schweigen und die Katastrophen zulassen. Treffen sie dann auf jemanden, der möglicherweise zu den Bösen gehört, kann sich das Feuer von selbst entzünden.
Fazit
Ulf Kvensler präsentiert mit seinem Debut einen spannenden und dichten Roman, der ihn in Schweden auf Anhieb an die Spitze der Bestsellerliste katapultierte. Was soll ich sagen - zu Recht!
Ulf Kvensler, Penguin
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