Ausgelöscht

  • Insel
  • Erschienen: November 2023
  • 2
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Thomas Gisbertz
72°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2023

Wenn uns die Erinnerungen täuschen - Ein Spiel um Wahrheit und Lüge.

Ein Jahr ist es her, dass die Erinnerungsforscherin Lea Goldberg Berlin den Rücken kehren musste und zurück in ihre Heimat Wien zog. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Carl Simon sorgten sie damals durch eine falsche Beurteilung dafür, dass der 15-jährige Mordverdächtige Jakob Becker freigelassen wurde. Einen Tag später sprengte sich dieser mit Simons Tochter Elli in die Luft. Während Simon sich aus der Öffentlichkeit zurückzog, leidet Lea seitdem unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sie lange verdrängt hat. Nun kann sie aber seit einem Monat ihre Tätigkeit als Leiterin der psychologischen Opfer-Betreuung nicht mehr ausüben.

Doch dann erhält Lea den Anruf eines ehemaligen Kollegen bei der Wiener Polizei: Eine vermisste junge Frau ist nach drei Wochen wieder aufgetaucht. Sie selber glaubt aber, nur zwei Nächte fort gewesen zu sein. Dies ist jedoch nicht das einzige Rätsel, denn das Opfer behauptet, dass es mit Elli gesprochen hat - Dr. Simons verstorbener Tochter. Aber damit nicht genug: Kurz darauf wird in Berlin eine weitere junge Frau aufgegriffen, die dieselben Erinnerungen an eine Entführung hat. Die renommierte Psychiaterin Barbara Kirsch unterstützt die Ermittlungen in Berlin. Zusammen versuchen die beiden Psychologinnen, die versteckten Erinnerungen der Frauen zu entwirren. Doch als die beiden Opfer in Berlin zusammen befragt werden sollen, kommt es zu einer Katastrophe.

Österreichisches Multitalent

Autorin Theresa Prammer, 1974 geboren in Wien, weiß, wie man Geschichten inszeniert und Leben in Figuren bringt. Sie arbeitet nach verschiedenen Engagements als Schauspielerin mittlerweile als Regisseurin und schreibt Krimis und Familienromane. Für ihren Kriminalromanen „Wiener Totenlieder“ (2015) erhielt sie den Leo-Perutz-Preis. Erst vor einigen Wochen veröffentlichte der österreichische Haymon Verlag ihren Kriminalroman „Schattenriss“, der zweite Teil ihrer Reihe rund um Detektiv Edgar Brehm und die Schauspielschülerin Toni Lorenz. Nun erscheint im Insel Verlag bei Suhrkamp ein ausgesprochen düsterer Thriller, der sicherlich Prammers Bekanntheit in Deutschland steigern dürfte. Traut man dem Ende des Romans, ist „Ausgelöscht“ nicht der letzte Fall um die Erinnerungsforscherin Lea Goldberg.

Die Idee zum Roman kam Prammer bei einem Vortrag über falsche Erinnerungen, den die amerikanische Psychologin Elizabeth Loftus hielt. In ihren Arbeiten beschäftigt sich Loftus mit dem menschlichen Gedächtnis und insbesondere der Glaubwürdigkeit von Augenzeugenberichten. Die Amerikanerin wies nicht nur nach, dass Erinnerungen manipuliert werden können. Auch die Manifestation gänzlich neuer ist möglich.

Wie Erinnerungen gefälscht werden

Erinnerungen stellt man eigentlich nie in Frage, sie formen unsere Persönlichkeit und prägen auch (un)bewusst unser Handeln. Es gibt aber auch Scheinerinnerungen, Dinge, die so nie stattgefunden haben. Oftmals ergeben sie sich aus Überschneidungen von eigenen und fremden Erinnerungen. Auch traumatische Ereignisse können dazu führen. Was aber, wenn jemand es versteht, dies zu seinem Vorteil zu nutzen? Dies ist der sehr interessante Ansatz in Theresa Prammers neuem Roman. Im Mittelpunkt steht die Erinnerungsforscherin Lea Goldberg, die aufgrund eines dramatischen Ereignisses bereits als Kind zum ersten Mal auf Dr. Carl Simon stößt. Später wird er während des Studiums Leas Professor und Mentor. Bis vor einem Jahr und den tragischen Ereignissen um Simons Tochter haben sie gemeinsam am Memoria-Projekt gearbeitet.

Gute Idee, schwächere Figurenentwicklung

Der Roman spielt auf zwei Erzählebenen: Neben der Jagd nach dem unheimlichen Entführer wird auch die Geschichte einer Frau - beginnend mit dem Selbstmord ihres Bruders - erzählt. Früh ahnt man, dass dies in enger Verbindung zum aktuellen Fall steht und man erkennt leider auch zahlreiche, zu offensichtliche Parallelen. Damit weiß man zwar nicht, wie der Roman endet, aber es gibt doch einige Hinweise. Dennoch zieht der Roman besonders aus dem psychologischen Spiel zwischen Schein und Sein seine Stärke und düstere Spannung. Leider sind aber gleich mehrere Protagonisten einem trügerischen Gedächtnis aufgesessen. Das ist doch etwas zu viel des Guten, da die gute Ausgangsidee zu sehr ausgereizt wird. Dies gilt auch für den Cliffhanger am Ende des Romans, der zwar Neugierde auf den zu erwartenden zweiten Band weckt, gleichzeitig aber auch zu klischeehaft erscheint. Zuletzt wirken die meisten Figuren in ihrem Auftreten doch recht kühl und distanziert. Irgendwie wird man nicht richtig warm mit ihnen.

Fazit

Ein düsterer Thriller, der in seinem Aufbau und seiner Erzählweise an amerikanische Psychothriller erinnert. Während die Figuren durchaus noch etwas nahbarer sein dürften, weiß der Plot und vor allem die Umsetzung der interessanten Grundidee insgesamt zu überzeugen. Trotz einiger kleinerer Schwächen darf man auf den Folgeband gespannt sein.

Ausgelöscht

Theresa Prammer, Insel

Ausgelöscht

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