Die Sehenden und die Toten
- Goldmann
- Erschienen: Mai 2024
- 15
Spannenden Auftakt einer neuen Krimi-Serie.
Claudia Wuttke hat bereits unter diversen Namen Bücher geschrieben. Für ihre Wendland-Krimi-Serie suchte sie nach einem „etwas härter klingende Pseudonym“ und kam schnell auf Sia Piontek. Wuttke lebt, wie ihre Protagonistin, mit ihrer Tochter im Wendland und Hamburg, war ehemals Programmleiterin eines großen Verlages und arbeitet, nach einem drohenden Burn Out, heute als freie Lektorin, Schreibcoach und eben auch als Autorin. Doch gerade bei dieser Kombination liegt die Messlatte ziemlich hoch, was auch Claudia Wuttke weiß: „Die falschen Fährten oder auch Sub-Plots klug zu konstruieren und sie dann unvermutet und doch nicht plump aufzulösen“ sah sie als Aufgabe. Doch das ist ihr leider nicht ganz gelungen.
Wer tötete Justus?
Seit zwei Jahren lebt die ehemalige Mordermittlerin Carla Seidel mit ihrer 17-jährigen Tochter Lana im Wendland. In diesem Landstrich bearbeitet sie eher Verkehrsdelikte oder Ruhestörungen, doch jetzt gibt es einen Mord. Justus, 19 Jahre und Sohn eines einflussreichen Unternehmers aus der „wendländischen High Society“, wird tot aufgefunden – seine Augen ausgestochen und durch Spiegelscherben ersetzt. Für Carla werden die Ermittlungen auch zu einem Schritt zurück in die Hamburger Zeit als Kommissarin, die erfolgreich aber auch traumatisierend war. Wie auch für Lana, die hochsensibel ist und sich nun aus ihrem Schneckenhaus wagt, um ihrer Mutter bei der Suche nach dem Mörder zu helfen.
Im Wendland ist so einiges los
Es ist wirklich erfrischend, dass einmal ein Landstrich als Schauplatz gewählt wurde, den die meisten kaum kennen dürften, ihn höchstens mit dem Atomendlager und Castor-Transporten verbinden, der aber durch pittoreske Ortschaften und eine wunderbare Natur mit ganz eigener Atmosphäre hat. Wuttke alias Piontek weiß diese zu transportieren und schafft dadurch einen Hintergrund, der überzeugt. Weniger überzeugend ist jedoch leider der Plot. Zwar schafft sie auch hier eine geglückte Balance zwischen Privatem und Beruflichem, doch wirkt das Geschehen mit einigen Themen überfrachtet. Neben den, unter Jugendlichen scheinbar weit verbreiteten, Challenges kommt Cyber-Kriminalität, eine gehörige Portion Sex, Familienprobleme, die Suche nach Identität und Vieles mehr hinzu. Zwar gelingt es der Autorin ganz gut, das Ganze unter einen Hut zu bringen, sie hält sogar eine durchgehende Spannungskurve, doch überzeugend ist der Plot dennoch nicht durchgehend. Bei näherer Betrachtung tun sich neben den vielen angeschnittenen Themen auch einige Logikfehler auf, die bei einer Lektorin und Schreibmentorin eigentlich nicht vorkommen dürften.
Eine traumatisierte Ermittlerin und ihre sensible Tochter
Für Sia Piontek scheint das Thema „Human Design“ sehr wichtig zu sein. So lässt sie Lana zur „Typ-Reflektorin“ werden, die hochsensibel ist und von ihren Mitmenschen wesentlich mehr wahrnimmt als andere. Ein sehr interessanter Ansatz, den die Autorin aber leider viel zu wenig erklärt. So verharrt die Figur in einer Außenseiterrolle, die sie eher als etwas merkwürdig und sehr introvertiert erscheinen lässt. Mit ihrer Mutter verbindet Lana die Vergangenheit in Hamburg, die für beide traumatisch gewesen zu sein scheint. Doch auch das erfährt die Leserschaft nur zwischen den Zeilen und durch Carlas übermäßigen Alkoholkonsum. Dadurch wird der Charakter der Protagonistin zwar vielschichtig, aber auch etwas undurchsichtig. Warum hat eine scheinbar doch sehr durchsetzungsfähige Frau das mit sich machen lassen und was ist eigentlich tatsächlich vorgefallen? Doch hier macht der Cliffhanger am Ende des Buches Hoffnung auf Aufklärung.
Vielschichtig erweist sich auch die Figur des Opfers. Justus scheint mehr zu sein als der vergeistigte Klavierspieler ohne wirkliche Freunde. Immer tiefer dringt man in seinen Charakter ein, der regelrecht Angst machen kann und gleichzeitig wohl auch die Suche nach Halt in einer immer mehr digitalisierten Welt verkörpern soll. In diesem Sinne ist seine Figur jedoch auch pauschal geraten, genauso wie die Kollegen der Ermittlerin, die von übergriffig bis dumm-dusselig die ganze Bandbreite abdecken.
Wie geht es weiter?
Obwohl bei genauerer Betrachtung einige Kritikpunkte angebracht sind, hat die Autorin einen gelungenen Auftakt geschafft. Leicht zu lesen und mit nur ganz kleinen Durchhängern durchgehend spannend, fragt man sich, wie es mit Lana und Carla weiter geht. Beide machen eine Entwicklung durch, die noch nicht abgeschlossen ist und beim nächsten Mord im ansonsten ruhigen Wendland garantiert fortschreitet. Beiden hält man die Daumen, daß sie wieder festen Boden unter den Füßen bekommen – und damit hat Sia Piontek doch genau das erreicht, was Ziel eines guten Krimis ist – der Wunsch der Leserschaft auf eine Fortsetzung. Diese ist übrigens schon in Arbeit!
Fazit
Beginn einer neuen Krimi-Serie, der trotz kleiner Kritikpunkte überzeugen kann. Sia Piontek macht mit „Die Sehenden und die Toten“ Lust auf mehr von Carla Seidel und ihrer Tochter - und der Cliffhanger zum Schluss erst recht. Fans von z.B. Romy Fölck und Anette Hinrichs könnten hier weiteres begeisterndes Lesefutter finden.
Sia Piontek, Goldmann
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