Ein ungemein wendungsreicher Kriminalroman.
Edinburgh, 20. Oktober: Die junge norwegische Studentin Amandeep wird vor der Haustür ihrer Studentenwohnung entführt. Einen Tag später wird sie schwer verletzt aus einem nahegelegenen Fluss gezogen. Ihr Onkel, der Osloer Kriminalkommissar Harinder Singh, reist kurzerhand nach Schottland, um herauszufinden, wer seine Nichte entführt hat. Auch das Motiv scheint vollkommen unklar. Schnell gerät der Ex-Freund in Verdacht, ihr etwas angetan zu haben. Harinder bittet seine Kollegin Rachel Hauge, in Oslo dem Ganzen nachzugehen. Bei ihren Ermittlungen stößt sie auf ein zwielichtiges Zwillingspärchen, das bereits mehrfach kriminell auffällig war. Beide sind Inhaber eines bekannten Nachtclubs, in dem auch Amandeep gearbeitet hatte, bevor sie vor zwei Monaten nach Schottland ging. Währenddessen versucht Harinder - zunächst sehr zum Unwillen der schottischen Kollegen - mehr über die Entführung herauszufinden. Unterstützung erhält er von der selbstbewussten DS Roisin Lawson und dem Ex-Cop James Riddle. Dabei bekommen sie es nicht nur mit einem stadtbekannten Kriminellen zu tun, sondern begeben sich auch in tödliche Gefahr.
Team-Oslo-Reihe
Der Norweger Sven Petter Næss, 1973 geboren, ist sicherlich einer der aktuell spannendsten skandinavischen Autoren, der in Deutschland aber noch weitestgehend unbekannt ist. Dies sollte sich mit seinem aktuellen Kriminalroman bald ändern, denn wer Næss nicht kennt, verpasst einen mehr als interessanten Autor. Seit 2019 schreibt er bereits in seiner Heimat erfolgreich Kriminalromane. Nach „Glut“, dem ersten Band seiner Reihe rund um den Osloer Kripoermittler Harinder Singh, erscheint nun im Aufbau Taschenbuchverlag die Fortsetzung „Furcht“, die 2020 vollkommen zurecht mit dem Rivertonpreis für den besten Krimi Norwegens ausgezeichnet wurde. Für Januar 2025 ist mit „Schuld“ bereits die Veröffentlichung des dritten Bandes geplant. In Norwegen erscheint aktuell der fünfte Band der Reihe.
Ein typischer Næss-Roman
Bereits mit seinem zweiten Kriminalroman lässt sich eine klare Handschrift von Sven Petter Næss erkennen. Trotz aller Dramatik beginnen seine Romane eher gemächlich und der Autor gibt seinen Figuren Zeit, sich zu entwickeln. Doch allmählich gewinnt die Handlung immer mehr Tempo, die Ereignisse überschlagen sich zunehmend, wunderbare Twits sorgen nicht nur für Spannung, sondern tragen dazu bei, dass der Roman zu einem wahren Pageturner wird. Der Plot ist unfassbar gut konstruiert und sorgt nicht nur einmal für eine überraschende Wendung. Man darf Sven Petter Næss nie trauen, denn bereits auf der nächsten Seite versetzt er den Leser wieder in Erstaunen. Dabei verbindet der Autor Elemente des skandinavischen und englischen Kriminalromans mit denen eines Thrillers. Das Bemerkenswerte ist, dass der Roman, obwohl er inhaltlich unglaublich dicht und temporeich geschrieben ist, dennoch stets seine Figuren in den Mittelpunkt rückt.
Ein starkes Ermittlerteam
Dabei ist die Hauptfigur, der Halbinder Harinter Singh, keineswegs ein draufgängerischer Ermittler. Zwar bewegt sich der im Allgemeinen eher zurückhaltende, sympathische Kommissar wie im aktuellen Roman auch gerne einmal an der Grenze des Erlaubten, allerdings geschieht dies zumeist, weil er sich aus moralischen Gründen dazu verpflichtet fühlt. Ihn zeichnet vor allem akribische Ermittlungsarbeit aus. Dabei verlässt er sich gerne auf seinen eigenen Fähigkeiten und ist eher ein klassischer Ermittlertyp. Seit dem ersten Band der Reihe steht ihm die 32-jährige Rachel Hauge von der Kripo Oslo an der Seite. Harinder erkennt schnell, dass seine Kollegin eine Kombination aus Intelligenz und Phantasie besitzt, die so wichtig für die Ermittlungsarbeit ist. Beide sind wohltuend „normale“ Figuren, die keinerlei Extravaganz benötigen. Das Besondere an der Handlung ist diesmal, dass beide getrennt voneinander - sogar in unterschiedlichen Ländern - in einem gemeinsamen Fall ermitteln. Beide lösen „ihren“ jeweiligen Fall eigenständig und gleichzeitig hebt sich der Autor für das Ende einen ganz besonderen Clou auf. Wie Sven Petter Næss nämlich zum Schluss die Handlungsfäden zusammenführt, ist ganz großes Kino. Nicht nur dies macht „Furcht“ zu einem Kriminalroman der Extraklasse.
Fazit
Nach dem mehr als vielversprechenden Auftakt der Team-Oslo-Reihe um das Ermittlerteam Harinder Singh und Rachel Hauge weiß auch der zweite Band mit einem temporeichen, ungemein clever konstruierten Plot zu begeistern. Dabei spielt der Autor durchaus mit gängigen Genregrenzen. Sven Petter Næss ist längst einer der aktuell vielversprechendsten skandinavischen Krimiautoren. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er auch hierzulande eine begeisterte Anhängerschaft finden wird. Ein Autor, den jeder Krimifan lesen sollte.
Sven Petter Naess, Aufbau
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