Das Dorf der acht Gräber
- Blumenbar
- Erschienen: Juni 2024
- 5
Klassischer Whodunit in japanischem Gewand.
Die 20er und 30er Jahre gelten als das goldene Zeitalter der Detektivgeschichten. Die berühmtesten Vertreter wie Dorothy L. Sayers, Agatha Christie, John Dickson Carr u.a. stammen aus Großbritannien und den USA. Sie handeln von Verbrechen, die Rätsel aufgeben und von einem exzentrischen Ermittler mit ausgezeichneter Kombinationsgabe gelöst werden. Die Morde ereignen sich zum Beispiel in geschlossenen Räumen, spielen sich in alten Landhäusern ab und natürlich gibt es jede Menge Verdächtige.
Ein großer Fan und Kenner dieses Genres war der japanische Schriftsteller Seishi Yokomizo. Er schätzte besonders die Werke von John Dickson Carr. Nach dem 2. Weltkrieg spezialisierte er sich auf die japanische Version dieser Art von Detektivgeschichten, Honkaku genannt. Die westlichen Vorbilder werden vermischt mit japanischen Elementen. Die Geschichten enthalten eine Prise Mystery, es gibt Flüche, Prophezeiungen, Geheimgänge oder etwa verrückte Mönche.
Seishi Yokomizo erfindet den an Columbo erinnernden, schlampig gekleideten, aber genialen Detektiv Kosuke Kindaichi. Die Reihe umfasst sage und schreibe 77 Bände. Yokomizos Krimis erscheinen ab circa 1946 erstmals in Magazinen und werden in den 70ern als Bücher publiziert. Als er 1981 stirbt, ist er im Westen noch völlig unbekannt. Erst 2019 erscheint die erste englischsprachige Übersetzung seines Werks. In Deutschland hat sich der Aufbau Verlag daran gemacht, Yokomizos Werk in deutscher Sprache zu publizieren, übersetzt von der Japanologin Ursula Gräfe, die unter anderem auch die Bücher von Haruki Murakami übersetzt.
„Das Dorf der acht Gräber“ ist der dritte deutsche Band in der Kindaichi-Reihe. Er spielt, wie die beiden anderen, kurz nach Ende des 2. Weltkriegs, also etwa 1946 (veröffentlicht 1949). In diesem Band spielt Detektiv Kindaichi allerdings nur eine Nebenrolle. Erzähler und Hauptperson ist Tatsuyo Terada, dessen Aufzeichnungen der Detektiv den Leser*innen weitergibt.
Japan nach dem zweiten Weltkrieg: Zwischen Moderne und Tradition
Schon der Buchtitel „Das Dorf der acht Gräber“ schafft eine düstere Grundstimmung. Der Prolog verstärkt sie weiter, er erzählt eine blutige Geschichte von Verrat und Wahnsinn. Typisch für Yokomizos Bücher: Die gewalttätigen Handlungen werden nicht detailliert geschildert. Stattdessen gibt es jede Menge unheilverkündender Andeutungen: Der gutherzige, aber auch etwas naive Erzähler Terada erfährt, dass er der Sohn eines wahnsinnigen Amokläufers ist. Als er, ein fortschrittlicher Stadtmensch, ins Dorf seines Vaters reist, wird er mit einer Welt konfrontiert, die auf Traditionen und Aberglauben basiert. Über dem Dorf liegt ein Fluch.
Kaum kommt Terada ins Dorf, beginnt eine Mordserie: Acht Tote sind laut Prophezeiung vorhergesagt und natürlich ist Terada als Fremder und durch seine Familiengeschichte der Hauptverdächtige. Während man sich heutzutage nicht mehr auf den Erzähler als zuverlässig verlassen kann, ist dieses Stilmittel zur Entstehungszeit von „Das Dorf der acht Gräber“ noch unüblich. Durch Teradas Augen tappt der Leser ahnungslos durch die Geschehnisse, alle sind irgendwie verdächtig und immer schwingt der Zweifel mit, ob nicht Übersinnliches mit im Spiel ist.
Ein japanischer Whodunit: Klassisch und doch etwas anders
Die Spannung wird in „Das Dorf der acht Gräber“ sehr altmodisch erzeugt mit Elementen des Gothic Horror, die in die japanische Folklore transponiert werden: tote Samurais, eine mysteriöse Todesliste, ein Geheimgang, eine Schatzkarte, eine verrückte Nonne, unheimliche Zwillinge … Trotz der hohen Todesrate wird die Gewalt recht moderat geschildert, ein leichter Gruselfaktor war den zeitgenössischen Leser*innen von Yokomizos Krimis ausreichend genug, um mitzufiebern.
In einer dramatischen Verfolgungsszene erfährt der Erzähler, wer der Täter der Mordserie ist. Die klassische Szene, in welcher der Detektiv vor versammelter Mannschaft den Tathergang und die Motive des Täters schildert, schließt die Erkenntnislücken des Erzählers und hält für Leser und Erzähler noch eine Überraschung parat.
Dann folgt noch ein kurzer Epilog. Yokomizo führt in den letzten Kapiteln seines Krimis Vergangenheit und Gegenwart geschickt zusammen und beantwortet alle offenen Fragen. Der ungewöhnlich ausgedehnte Abschluss von „Das Dorf der acht Gräber“ mag auch daran liegen, dass der Autor seine Krimis zuerst in Fortsetzungsform in Zeitschriften veröffentlicht hat und sie erst später in Buchform erschienen.
Ein Personenregister zu Anfang des Buches sowie ein Glossar japanischer Begriffe am Ende bieten dem Leser gute Hilfen, um sich in der fremden Kultur und den verschlungenen (Familien)Verhältnissen im Dorf zurechtzufinden. Das Cover im Retrolook ergänzt den Inhalt kongenial.
Fazit
Zu seiner Entstehungszeit up to date, wirkt „Das Dorf der acht Gräber“ heute herrlich altmodisch: kaum Blut, kein Sex, viele Rätsel, eine Prise Übersinnliches und Exotik. Für Liebhaber klassischer Detektivromane und für Japanfans eine empfehlenswerte (Neu-) Entdeckung.
Seishi Yokomizo, Blumenbar
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