Notizen zu einer Hinrichtung
- Blumenbar
- Erschienen: Februar 2024
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Das Image des Serienkillers dekonstruiert.
Der Serienkiller ist ein kulturelles Phänomen, der Superstar unter den Kriminellen. Danya Kukafka hat sich darüber geärgert, dass Männern, die Frauen töten, so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Mit „Notizen zu einer Hinrichtung“ ist ihr das Kunststück gelungen, ein Buch über einen typischen Serienmörder zu schreiben und den Mythos des charismatischen Mörders zu entzaubern.
„Was fühlen Sie? fragte sie. Völlig sinnlos, diese Frage. Gefühle haben keinen Gegenwert. Also hast du die Achseln gezuckt und die Wahrheit gesagt: Keine Ahnung. Nichts“
Anselm Packer ist eine der Hauptfiguren in „Notizen zu einer Hinrichtung“: Er ist ein Psychopath ohne echte Gefühle. Er hält sich für hochintelligent und allen überlegen. Er beurteilt andere Menschen nach ihrem Nutzen für ihn und spielt ihnen Gefühle vor, um sie zu manipulieren. Er hat einen traumatischen Start ins Leben gehabt. Er sieht durchschnittlich aus, hat aber eine besondere Wirkung auf Frauen. Er führt ein unauffälliges Leben, aber hat mehrere Frauen getötet - der Prototyp eines Serienkillers. Zu Beginn des Buches hat er noch 12 Stunden bis zu seiner Hinrichtung zu leben.
Der Countdown zieht sich durch das Buch, seine Gedanken erzählt Kukafka in 2. Person. Eine ungewöhnliche Erzählperspektive, die verhindert, dass sich der Leser allzu sehr mit seiner Figur identifiziert.
Viel mehr als nur Opfer: Die Frauen bestimmen die Handlung
Während Anselm Packers Lebenszeit abläuft, wird seine Biografie aus der subjektiven Perspektive dreier Frauen in der 3. Person erzählt. Da ist seine ihm unbekannte Mutter Lavender, mit der Anselms Geschichte noch vor seiner Geburt beginnt. Da ist Saffy, die ihm als Kind im Heim begegnet und ihn später als Polizistin nach vielen Jahren als Serienmörder überführen kann, und da ist Hazel, die Zwillingsschwester seiner toten Ehefrau Jenny. Alle drei sind indirekt auch zu seinen Opfern geworden, denn Anselm Packer hat auch ihr Leben durch seine Morde unwiederbringlich verändert.
Notizen zu einer Hinrichtung wirft viele Fragen auf
„Notizen zu einer Hinrichtung“ ist spannend, obwohl es kein klassischer Krimi ist. Die Spannung entwickelt sich aber sehr langsam, die Morde werden nur am Rand erwähnt, detaillierte Schilderungen der Taten gibt es nicht. Im Mittelpunkt stehen nicht der Mörder und seine Morde, sondern vielmehr die Folgen, welche die Anwesenheit bzw. Abwesenheit Anselms im Leben der Frauen auslöst. Während die Frauen leiden, mit dunklen Impulsen kämpfen oder zweifeln, aber zur Selbstreflexion fähig sind, ist Anselm Packer nur mit sich selbst beschäftigt, mit Fluchtplänen, mit seiner selbstverfassten Theorie über Gut und Böse, die sein Handeln rechtfertigen und entschuldigen soll und mit Selbstmitleid - aber nie mit reuigen Gedanken an seine Opfer.
Danya Kukafka bringt allen ihren Figuren Empathie entgegen, selbst Anselm Packer wird davon nicht ausgenommen. Es gibt immer wieder Momente, in denen er einem fast leidtut, zum Beispiel, wenn er erkennt, dass er sterben wird und um eine zweite Chance bettelt, weil er glaubt, dass er diesmal ein „Guter“ werden kann. Aber trotzdem lässt die Autorin die Leser nie vergessen, dass Anselm Packer sich immer wieder für das Böse entschieden hat, dass er seinen Opfern auch keine zweite Chance gegeben und sie hingerichtet hat.
Das letzte Wort behalten die Frauen
Das Buch endet nicht mit Packers Tod. Danya Kukafka überlässt dem Serienkiller damit nicht das letzte Wort. „Notizen zu einer Hinrichtung“ gibt zum Abschluss jeder getöteten Frau eine Szene, in der ihre mögliche Zukunft erzählt wird – wenn sie nicht von Packer umgebracht worden wären. Damit gibt die Autorin den Frauen ihre Würde wieder, denn sie werden nicht einzig über ihren Mörder als Opfer definiert.
Fazit
„Notizen zu einer Hinrichtung“ ist ein ungewöhnliches, herausragendes und aufwühlendes Buch, das noch lange nachwirkt. Danya Kukafka hat ein Buch geschrieben, das nicht nur unterhält, sondern zum Nachdenken anregt, indem es viele Fragen aufwirft, zum Sinn der Todesstrafe, darum, ob das Böse inhärent oder erworben ist, warum Serienkillern so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, warum Gewalt von Männern gegen Frauen „normal“ ist …
Danya Kukafka, Blumenbar
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