Du kennst sie
- Suhrkamp
- Erschienen: Juni 2024
- 3
Transformation zum Männerkiller.
Sophie Braam ist Barkeeperin im Blue Bell, einer Lokalität im beschaulichen Bellair. Schon seit längerer Zeit ist sie nicht gut auf Männer zu sprechen. Anzügliche Bemerkungen, ständige Übergriffe und Respektlosigkeiten der männlichen Klientel setzen ihr zu. Mark Dixon bringt das Fass schließlich zum Überlaufen, als er eines Nachts ungefragt den Rest eines kostbaren Rotweins leer trinkt. Ein kurzes Vergnügen, das der von sich eingenommene Typ mit seinem Leben bezahlen soll. Und Sophie hat endlich ein Ventil für ihren angestauten Hass gefunden.
Zwei Frauen, auf gegensätzlichen Seiten des Gesetzes…
Muss es denn gleich brutaler Mord sein, denke ich kurz, bei allem Verständnis für die emotionale Verfassung von Sophie. Aber sie hat eine Entscheidung getroffen, die ihr Leben in neue Bahnen lenken, das Leben weiterer Männer dafür beenden wird.
„Du kennst sie“ ist ein unerwartet derbes Debüt der in Schottland lebenden US-Amerikanerin Meagan Jennett. Die hat tatsächlich als Barkeeperin gearbeitet und - wie der Danksagung zu entnehmen - kennt sie im engen persönlichen Umfeld auch Opfer von männlicher Gewalt. Mit Sophie schafft sie nun eine schon bald radikal agierende Hauptfigur, die sich gegen Männer stellt. Dabei müssen diese nicht einmal richtig gewalttätig werden.
Dient das erste Viertel des Buches vorrangig dazu die angestauten Emotionen von Sophie endlich zum Entladen zu bringen, so entfaltet sich im weiteren Verlauf die Veränderung einer jungen Frau zur Serienmörderin, in die Meagan Jennett eine ausdruckstarke metaphorische Ebene einzieht. In den ausführlichen Gedanken der Hauptfigur nehmen wir an den psychologischen Wirkungsmechanismen teil, blicken hinter die Fassade der attraktiven Frau, die ihren Gästen allabendlich Drinks zubereitet.
… verbunden in ihrer Einstellung zu Männern
Gegen Sophie wirkt Polizistin Nora Winter beinahe blass. Sie ist die zweite weibliche Hauptfigur und Ermittlerin in den zunehmenden Mordfällen. Schon bald macht sie Bekanntschaft mit Sophie. Dass auch Nora nicht glücklich ist mit ihren männlichen Kollegen, schweißt die beiden schnell zusammen - sie werden Freundinnen.
Richtige Polizeiarbeit bleibt hier Nebensache. Während Sophie sich auf die Suche nach dem nächsten Opfer begibt, versucht Nora ein wenig mehr Glück in ihrer Ehe zu finden. Auch wenn das Schicksal der beiden Frauen bereits verbunden ist, gelingt es Meagan Jennett nicht, diese Figurenkonstellation wirkungsvoll auszubalancieren und in ein dichtes und packendes Wechselspiel zwischen Recht und Unrecht zu überführen. Es bleibt ein weitestgehend unspektakuläres Nebeneinander, die wenigen Verbindungspunkte wirken gelegentlich konstruiert. Richtig spannende Thrilller-Passagen sind selten, zu sehr fokussiert Jennett auf die Gefühls- und Gedankenwelten ihrer Figuren. Dabei gelingen ihr durchaus großartig inszenierte Momente. Etwa wenn Sophie detailliert beschriebt, wie sie Obst für den Tag in der Bar mit dem Messer vorbereitet, nur um im letzten Absatz dann kurz einen Mord eben mit einem Messer zuzugeben.
Mit zunehmender Seitenzahl kann Jennett Sophie und Nora nur noch wenige zusätzliche Konturen verleihen, es gibt kaum neue Akzente in der Dramaturgie. Lediglich die Morde werden mit zunehmender Überzeugung, Präzision und Raffinesse ausgeführt. Schließlich gibt es die bereits erwartete Wendung, die mit mehr Tempo auf das Finale zusteuert.
Fazit
„Du kennst sie“ ist - um im Barkeeper-Jargon zu bleiben - zwar ein durchaus gehaltvoller Thriller-Cocktail, mit allerdings nicht immer ganz ausgewogenen Zutaten, dem für meinen Geschmack ein wenig mehr Schärfe fehlt. Dennoch ist die sprachlich gelungene Transformation einer Barkeeperin zum skrupellosen Männerkiller zu keinem Zeitpunkt langweilig.
Meagan Jennett, Suhrkamp
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