Ein sprachgewaltiger Kriminalroman mit einem starken Sound!
Seit mittlerweile fünf Jahren arbeitet sie für den Lebensmittel- und Fleisch-Tycoon Wellinghofen, den Hauptmäzen der „Interni-Stiftung“. Sie nennt ihn einfach K2, er kennt den Namen seiner Mitarbeiterin für besondere Fälle erst gar nicht. Nun soll sie aber unter dem Decknamen Evelina „Eve“ Klein in seinem Auftrag nach Zürich. Dort befindet sich in einem Vorort die Geschäftsleitung der Stiftung, einer transnationalen NGO, die sich um bedürftige Jugendliche kümmert. Der letzte Jahresbericht weist zahlreiche Ungereimtheiten auf, mit der Bilanz scheint einiges nicht zu stimmen.
Die Spur führt zum Schweizer Geschäftsführer der Stiftung, Branko Tadić. Bevor die Sache ungewollte Dimensionen annimmt, soll Eve zunächst für Klarheit sorgen. Nebenbei darf sie auch noch Geld für Wellinghofen auf dem Kunstmarkt waschen, mit Hilfe der mehr als undurchsichtigen Mascha Harvensteen, die als Guru der Kunstwelt gilt. Doch als Eve in der Schweiz ankommt, ist Tadić bereits tot. Neben dem sichtlich überforderten Stiftungsvorstand Max Karnofsky bekommt es Eve zudem mit dessen eiskalten Ehefrau Helena zu tun, die nicht ohne Grund nur Hell genannt wird, deren beiden seltsamen Zwillinge Laura und Lara sowie mit dem rüpelhaften Nick Sanjay, einem Freund Karnofskys, zu tun. In der scheinbar ruhigen Welt in den Schweizer Bergen sind Big Business, Gier und organisiertes Verbrechen eng miteinander verzahnt. Wenn auch anders, als Eve sich das zunächst denkt.
Wissenschaftsredakteur und Thrillerautor
Sybille Ruge, geboren in der DDR, absolvierte die Schauspielschule „Hans Otto“, Leipzig, mit Diplom und die Meisterklasse für Schauspiel, Palast der Republik, Ost-Berlin, arbeitete dann als Kostümbildnerin für Bühne und TV und ab 1997 bis heute als Entwicklerin in der Textilindustrie. 2022 erschien im Suhrkamp Verlag ihr Debütroman „Davenport 160x90“, für den sie 2023 verschiedene Preise erhielt. Der Roman um die eigenwillige Sonja Slanski, Chefin einer Inkassofirma, überzeugte mit einer wilden Story und einem ganz eigenwilligen, aber herausragenden Sound. Auch in ihrem zweiten Roman „9mm Cut“ brennt Sybille Ruge wahrlich ein sprachliches Feuerwerk ab: mal zynisch, mal lakonisch, stets mit einem tiefenscharfen Blick auf die Gesellschaft und so manchen bitterbösen, aber auch komischen Einwurf.
Starke Stimme
Wer Sybille Ruge nicht liest, ist selber schuld. Ihm wird aber eine ganz besondere Autorin entgehen, die mit ihrem ganz eigenen Schreibstil und ihrer Wortakrobatik aus dem Einerlei der Kriminalromane deutlich herausragt. Es ist daher mehr als erfrischend, nach „Davenport 160x90“ erneut einen Roman zu lesen, der nicht nur eine ungemein selbstbewusste, taffe Protagonistin aufzubieten hat, sondern auch mit einer wilden Story, schrägen Typen und scharfsinnigen, witzigen Dialogen zu überzeugen weiß. Zugegeben: Die Story hat kleinere Durchhänger und kann das Spannungsniveau nicht immer konstant hochhalten. Dennoch kommt keine Langweile auf, dafür ist die Story einfach zu verrückt und Ruges Erzählstil zu temporeich.
Skurriler geht es kaum
Es mangelt vor allem nicht an schrägen Figuren. Eve wohnt während ihres Aufenthalts in Zürich bei Karnofsky, dem alkoholkranken Vorstandsmitglied der Stiftung, seiner psychopathischen Frau Helena, die ihre ganz eigenen Ziele verfolgt und nebenbei Eve als Au-pair-Mädchen missbraucht, und deren durchgeknallten Zwillingstöchtern, die Wellinghofens Mitarbeiterin ständig „Mama“ nennen. Nachdem mit Tadić der Geschäftsführer der Stiftung erschossen wurde, liegt kurz darauf auch der abgetrennte Kopf seines Stellvertreters Jaco Balushi in einer Plastiktüte vor der Tür des Jugendhilfswerks. Scheinbar haben beide die Einrichtung nicht nur für ihren Drogenhandel genutzt, sondern die Jugendlichen als billige Arbeitskräfte missbraucht. Darüber hinaus wurde eine Schule in Mali, in die Millionen zum guten Zweck gesteckt wurden, zur Geldwäsche genutzt. Wurden Tadić und Balushi zu gierig? Nur wer profitiert von ihrem Tod?
Fazit
Ein Krimi, der ebenso wortgewaltig wie spannend ist und der mit einem skurrilen Figurenensemble und einer starken Frauenfigur zu überzeugen weiß. Ein ebenso cleveres wie intelligentes Buch. Sybille Ruge bietet mit ihrem neuen Roman erneut exzellente Unterhaltung.
Sybille Ruge, Suhrkamp
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