Berlin-Gangster

  • Rotbuch
  • Erschienen: März 2023
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Jörg Kijanski
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2023

Für Fans von True Crime lesenswert

Berlin in der Nachkriegszeit. Die Geschichte, basierend auf wahren Begebenheiten, aber mit einiger Fantasie weitererzählt, beginnt 1948. Der Krieg ist vorbei, seine Spuren sind allgegenwärtig. Die Stadt liegt in Schutt und Asche und ist in vier Sektoren aufgeteilt. Waren sich die Alliierten zunächst als die großen Sieger noch einig, so gibt es jetzt spürbare Spannungen zwischen den Westmächten und der Sowjetunion. Die Armut der Bevölkerung ist groß, der Schwarzmarkthandel in voller Blüte und die Polizei kann kaum Erfolge nachweisen. Verbrechen sind allgegenwärtig, während die Westberliner Polizei von den Alliierten kaum handlungsfähig ausgestattet wird. Ein umgekippter Spind dient als Schreibtisch, Papier ist so knapp rationiert, dass nicht für alle Vorfälle eine Akte angelegt werden kann. Goldene Zeiten für Gangster will man meinen, wird Berlin ein zweites Chicago?

Der kurze Traum vom Berliner Al Capone

Werner Gladow ist ein großer Filmfan und ein noch größerer von Al Capone. Eine Villa mit schicken Autos sind sein Traum und so möchte er vom großen Gangster aus Chicago lernen. Dafür schaut er sich Kinofilme wie „Public Enemy“ oder „Little Ceasar“ an. Bisher machte er nur kleine Geschäfte auf dem Schwarzmarkt, doch jetzt soll es endlich losgehen mit Reichtum und Berühmtheit. Gerade einmal siebzehn Jahre alt, beginnt er die Gladow-Bande zu gründen, die zunächst aus fünf Anführern besteht, darunter der stets meckernde und leicht aufbrausende Lexi sowie der besonnen-nachdenkliche Mücke, der eigentlich Reporter werden wollte. Man nutzt die undurchsichtige Gemengelage der Stadt aus, nimmt beispielsweise russischen Polizisten im Ostsektor ihre Pistolen ab und flüchtet in den Westen oder begeht Überfälle im Westen und lässt das geklaute Fluchtauto im Osten verschwinden. Da sich die politische Lage immer stärker zuspitzt, kommt es zu keinem Austausch an Informationen, geschweige denn zu einer Zusammenarbeit zwischen West- und Ostpolizei. So können die „Weißen Krawatten“, später gönnt man sich - frei nach Capone - schicke Anzüge und eben jene weißen Krawatten, problemlos ihre Raubzüge starten, die zunehmend gewalttätiger werden bis es einen ersten Mord gibt.

Interessante Stunde in Zeitgeschichte

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Werner, Mücke, Sylvia (einer jungen Frau, die mit einem amerikanischen Offizier befreundet ist und zunehmend an Mücke Gefallen findet) und Denske erzählt. Letzterer war fast drei Jahre in Kriegsgefangenschaft und hat erst kürzlich bei der Polizei angefangen. Zunächst nur mit Papierkram beschäftigt, interessiert er sich – als Einziger bei der Westberliner Kripo – zunehmend für die „Weißen Krawatten“ und glaubt ein Muster zu erkennen. Allerdings müsste man dringend an Information der Ostberliner Kollegen kommen, was lange Zeit nicht möglich ist.

Daniel Höra hat die wahre Geschichte des Werner Gladow (1931-1950), er wurde als einer der ersten Bürger der noch jungen DDR hingerichtet, aufgegriffen und durch zahlreiche künstlerische Freiheiten zu einer ansprechenden True-Crime-Geschichte verwoben. Das Innenleben der Bande wird ausführlich skizziert, in der es zunehmend zu Spannungen kommt, da die ganz großen Coups dann eben doch nicht erfolgen. Man bleibt beim Mittelmaß, träumt gleichwohl weiter von Capone und zunehmender öffentlicher Aufmerksamkeit, wobei schnell klar wird, dass Werner Gladow, seinem Alter entsprechend, eben nicht der kluge Kopf ist, für den er sich hält, sondern bloß ein Großmaul und Träumer. Dies schlägt in Frust und neue Gewalt um. Lesenswert ist „Berlin Gangster“ nicht zuletzt wegen seines zeithistorischen Bezugs. Die Situation nach Kriegsende, die politisch angespannte Lage, die der Bande erst ihre erwähnten Möglichkeiten eröffnet sowie Schwarzmarkt, Währungsreform und Luftbrücke, sind gut dargestellt.

Fazit

Wer sich für Zeitgeschichte, hier die Nachkriegsjahre, interessiert, findet in „Berlin Gangster“ eine informative und kurzweilige Lektüre, die vor allem für Fans von True-Crime empfehlenswert ist. Durch die ständig wechselnden Szenarien bleibt das Lesetempo ordentlich hoch und die Freiheiten, die sich Höra genommen hat – beispielsweise die Kinofilme, die Werner gesehen haben will, obwohl sie erst viele Jahre nach seinem Tod in Deutschland zu sehen waren – stören nicht wirklich.

Berlin-Gangster

Daniel Höra, Rotbuch

Berlin-Gangster

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