Der letzte Zug nach Schottland
- Oktopus
- Erschienen: Juli 2023
- 6
Ein Toter, ein Gedicht, ein etwas niedergeschlagener Inspector aus London.
Alan Grant, Inspector bei Scotland Yard, ist mit dem Zug unterwegs nach Schottland. Sein ärztlich verordneter Genesungsurlaub führt ihn zu einer befreundeten Familie in die Highlands. Als Grant von einem Todesfall erfährt, ahnt er noch nicht, dass dieser ihn - obwohl gerade außer Dienst - vorerst nicht mehr loslassen wird.
Einmal Hebriden und zurück
Anfangen wird alles mit einem unvollständigen Gedicht. Das findet Grant im Zugabteil des Toten, offenbar von diesem handschriftlich auf einer Zeitung niedergeschrieben. Und eben diese Zeitung hat Grant unbewusst eingesteckt. Neugierig beginnt der Inspektor am Urlaubsziel angekommen schon bald mit eigenen Nachforschungen. Die führen ihn auch auf die abgelegenen Hebrideninseln.
Dies ist das erste Buch von Josephine Tey, das ich lese. Umso interessanter liest sich das Nachwort der schottischen Krimi-Autorin Val McDermid, welches das Wirken und die Bedeutung der Werke der 1952 verstorbenen Autorin Josephine Tey einordnet und zudem einzelne Aspekte des Romans vertieft.
„Der letzte Zug nach Schottland“ ist aber nicht der erste oder einzige Roman mit Inspector Alan Grant als Hauptfigur. Mit ihm entwirft Josephine Tey einen für die damalige Zeit eher ungewöhnlichen, verletzlichen und nachdenklichen Beamten. Um ihn dreht sich dann auch hier der Großteil der Geschichte. Dabei es fällt wahrlich nicht schwer, dem Charme dieses eigensinnigen Ermittlers zu erliegen. Anfangs deprimiert über seinen eigenen Zustand, immer wieder durch seine Klaustrophobie beeinträchtigt, weckt er anfangs fast schon ein wenig Mitleid. Doch das soll sich im Laufe seines Aufenthalts ändern.
Dann auch ein richtiger Krimi
Bis zur Mitte des Buches geht es mehr als geruhsam zu. Auch wenn wir Grant auf die Hebriden und wieder zurück in die Highlands begleiten, von klassischer Ermittlungsarbeit kann noch nicht wirklich die Rede sein. Josephine Tey sind zunächst ihre facettenreichen und eigentümlichen Figuren wichtig, allen voran Grant. Mit jeder Seite verleiht sie seinen Charakterzügen Konturen und lässt zaghaft Veränderung Einzug in seinen Gemütszustand halten. Grant sinniert über Land und Leute, wir begleiten ihn zum Angeln, bei Speis und Trank, treffen auf skurrile Typen, wohnen dem Alltag der Gastfamilie bei. Beinahe vergesse ich, dass ich einen Kriminalroman lese. Aber Tey kann einfach wunderbar erzählen. Man merkt dem Roman seine Zeit an – was ich als wohltuend empfinde. Die Sprache ist klar, fokussiert und dennoch so bildhaft. Beinahe schon elegant schmückt die Autorin Szenen und Details aus, entführt uns so in eine heimelige schottische Idylle. Immer wieder durchzieht feiner Humor die Geschichte, werden die Selbstgespräche von Grant mit Ironie gewürzt. In - auch mal bissigen - Dialogen halten politische und gesellschaftliche Ansichten Einzug.
Ein unerwartetes Aufeinandertreffen bringt dann aber endlich Schwung in die Handlung. Grant blüht förmlich auf und sein detektivischer Spürsinn kommt zum Tragen. In einem amüsanten Zusammenspiel zweier sympathischer Figuren kommt langsam Licht ins Dunkel um den seltsamen Toten im Zugabteil und dessen ominösem Gedicht. Jetzt ist auch endlich Krimizeit, dabei bleibt Grant nicht mehr viel Zeit, bis sich sein Urlaub dem Ende nähert. Leider aber gerät die Auflösung dann doch überraschend unspektakulär und einfallslos. Dennoch verlasse ich am Ende zufrieden London und Scotland Yard, wo Grant schließlich wieder seine Arbeit aufnehmen wird. Dabei hatte er doch am Anfang seiner Reise tatsächlich darüber nachgedacht, diese an den Haken zu hängen.
Fazit
Es ist eine Freude mit „Der letzte Zug nach Schottland“ gewissermaßen auf nostalgischen Spuren der Kriminalliteratur zu wandeln. Der Einfluss von Josephine Tey bis in die heutige Zeit ist nachvollziehbar. In der schönen Neuauflage des Oktopus-Verlages eine gute Gelegenheit, die britische Autorin nun neu oder wieder zu entdecken.
Josephine Tey, Oktopus
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