Das Gästezimmer
- Blanvalet
- Erschienen: August 2023
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Von einem Serienmörder und einem besonderen Opfer.
Mit „Das Gästezimmer“ erfüllt sich Clémence Michallon den lang ersehnten Traum, als französische Muttersprachlerin einen Roman auf Englisch zu veröffentlichen. Für Rachel - die Hauptfigur in ihrem Debüt - wird dieser Traum allerdings zum Alptraum. Denn die junge Frau gerät in die Fänge eines Serienmörders und durchlebt über Jahre ein physisches wie psychisches Martyrium.
Zunächst in einem Schuppen eingesperrt und vor der Welt verborgen, ist sie nach einem Umzug in ein Haus ihrem Peiniger dort ausgeliefert. Der Serienmörder Aidan lebt nach dem Tod seiner Frau zusammen mit seiner jugendlichen Tochter. Die Gemeinschaft im Ort ahnt nichts von dem Doppelleben des hilfsbereiten Mannes. Doch dieser Mikrokosmos wird langsam brüchig, als Aidan eine Barkeeperin kennenlernt. Nur ein weiteres Opfer? Eine echte neue Beziehung? Was bedeutet das für Rachel?
Ungewöhnliche Perspektive
Clémence Michallon wählt für ihren Psychothriller eine weniger geläufige Ich-Erzählerperspektive in „Du-Form“. Durch viele auch kurze Sätze gerät das gelegentlich etwas anstrengend. Doch unterstreicht das unverbrauchte Stilmittel mögliche psychologische Wirkungsmechanismen eines jahrelangen Missbrauchs und einer damit einhergehenden Persönlichkeitsstörung.
Rachel ist der Mittelpunkt des Thrillers, ihre Figur fällt durchaus facettenreich aus. Nach jahrelanger Gefangenschaft hat sie Überlebensstrategien entwickelt, die räumlichen Veränderungen werden auch bei ihr zu neuen Gelegenheiten führen, ermöglichen es ihr auch, zu sich selbst zurückzufinden. Denn Aidan muss den Alltag fortan gemeinsam mit ihr und seiner Tochter gestalten. Immer wieder gibt es Momente, bei denen ich Rachel schütteln möchte, verpasste Gelegenheiten, nicht nachvollziehbares Verhalten, das auch immer wieder arg die Glaubwürdigkeit strapaziert. Aber Michallon fängt diese vermeintlichen Ungereimtheiten geschickt ein. Sie entwirft ein recht klares, präzises Psychogramm ihrer Hauptfigur, die einen Ausweg aus einer schicksalhaften Konstellation sucht. Wir zweifeln, verzweifeln, versuchen Verhaltensmuster zu ergründen oder zu verstehen.
Manipulation einer ganzen Gemeinschaft
Die weiteren Figuren, Aidan eingeschlossen, scheinen auf den ersten Blick äußerst schablonenhaft und Klischees bedienend. Der attraktive Aidan, der als Witwer mit Tochter in der Pubertät viel Mitleid und Zuwendung im Ort erfährt, oder die ihm etwas sehr leicht verfallende Barkeeperin Emily. Hier müssen wir manch etwas dick aufgetragene Liebelei ertragen. Doch Manipulation ist ein zentraler Aspekt des Romans. Ein derart typisches Umfeld eignet sich entsprechend hervorragend, um mit einfachen Mitteln ihre Wirkung aufzuzeigen. Wer hier beim Lesen ein Auge zudrückt, kann sich jedenfalls deutlich einfacher auf Rachels Seite schlagen und ihr fest die Daumen drücken, dass es ihr gelingt den Fängen ihres Peinigers zu entkommen.
Clémence Michallon weiß durchaus, wie Spannung erzeugt wird. Sie hält einige packende Szenen parat, die an die Seiten fesseln. Manch konstruierte Handlungsfäden werden durch raffinierte Wendungen wieder geschickt in die Geschichte eingeflochten. Gut gelungen sind auch Zeitsprünge, die Rachels Figur mehr Substanz verleihen und Charakterzüge in ihrer Persönlichkeit verankern.
Fazit
Clémence Michallon gelingt mir ihrem Debüt „Das Gästezimmer“ ein kurzweiliger Psychothriller, der sich äußerst flott liest, aber nicht ganz ohne Schwächen in Figurenzeichnung und Dramaturgie auskommt.
Clémence Michallon, Blanvalet
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