Wisting und die Tote am Wegesrand

  • Piper
  • Erschienen: Juli 2023
  • 5
Wisting und die Tote am Wegesrand
Wisting und die Tote am Wegesrand
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Thomas Gisbertz
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2023

Wisting ist einfach einzigartig!

Der Winter hat Anfang Dezember die Gegend rund um Larvik fest in seiner Hand. Während die Straßen immer mehr zuschneien, erhält der Polizeibeamte William Wisting eine ungewöhnliche E-Mail. Michelle Norris meldet sich aus Australien beim norwegischen Ermittler, da sie seit etwa zehn Tagen nichts mehr von einer Bekannten gehört hat, mit der sie ansonsten täglich über das Internet kommunizierte. Das Ungewöhnliche ist aber, dass sie weder den Namen noch den genauen Wohnort der vermissten Norwegerin kennt. Beide beteiligten sich auf einer sogenannten Crowdsolving-Plattform als Hobby-Ermittlerinnen an der Suche nach dem Mörder der australischen Rucksacktouristin Ruby - einer Freundin von Michelle. Auf deren gemeinsamen Europareise wurde die 25-jährige Ruby in einer kleinen Küstenstadt im Nordosten Spaniens vor mehr als einem halben Jahr von einem Unbekannten ermordet. Die Internet-Plattform dient seitdem als private Sammelstelle für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen sollen. Die nun vermisste unbekannte Norwegerin, die unter dem Usernamen „Astria“ angemeldet war, behauptete kurz vor ihrem Verschwinden, dass sie vor der Lösung des Falls stünde. Wisting glaubt zunächst nicht, dass „Astria“ etwas zugestoßen sein könnte. Dennoch lässt er sich auf diese unkonventionelle Art der Ermittlung ein - und findet tatsächlich eine Leiche. Der Kommissar setzt nun alles daran, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird.

Norwegischer Erfolgsgarant

An Autor Jørn Lier Horst gibt es weiterhin kein Vorbeikommen, wenn man über erstklassige skandinavische Kriminalromane spricht. Neben seiner erfolgreichen Blix-Ramm-Reihe, an der er zusammen mit seinem Kollegen Thomas Enger schreibt, erscheint nun der mittlerweile 16. Band der William-Wisting-Reihe, deren Romane aber noch nicht alle ins Deutsche übersetzt wurden und die gleich bei drei verschiedenen Verlagen erschienen. Nachdem der Münchener Piper Verlag in den letzten Jahren die „Cold-Case-Fälle“ (Band 1, 12-15) um den akribischen Kommissar veröffentlichte, geht es ab Teil 16 nun um „Wistings schwierigste Fälle“. Dass der 53-jährige Jørn Lier Horst früher selber lange Zeit als Kommissar für die norwegische Polizei gearbeitet hat und seine Erfahrung in die Figur des William Wisting einfließen lässt, tut der Serie nicht nur sehr gut, sondern macht sie in ihrer Ausarbeitung zu etwas Besonderen.

Einfach ein guter Ermittler

Wie schon bei den anderen Fällen wird auch hier deutlich, dass die Hauptfigur ein sorgfältig, äußerst gründlich arbeitender Polizeibeamter ist, bei dem man coole Sprüche, wilde Verfolgungsjagden und handfeste Auseinandersetzungen vergeblich sucht. Das würde auch gar nicht zum ruhigen, ausgeglichenen Charakter Wistings passen. Auch wenn mancher Leser ein hohes Tempo vermissen wird, ist die Akribie und die genaue Polizeiarbeit des Ermittlers das, was die Reihe so unverwechselbar macht. Man hat stets das Gefühl, Wisting bei seiner Arbeit zu begleiten. Der Roman zieht seine Spannung vor allem aus der Tatsache, dass der Leser stets auf dem Wissensstand des Ermittlers ist und somit wunderbar miträtseln kann, wer der Täter ist. Dadurch entsteht eine große Nähe zum Geschehen und zur Hauptfigur. Man muss als Leser aber ebenso beharrlich sein wie der Ermittler. Wisting stellt erneut unter Beweis, dass er durch und durch Polizist ist und keine Ruhe findet, bis der Täter überführt wird. Der Roman ist trotz aller kleinschrittigen Ermittlungsarbeit flüssig und kurzweilig geschrieben.

Wisting und das World Wide Web

Einen neuen Fall um den introvertierten Ermittler William Wisting zu lesen, ist wie einen alten Freund treffen: Vieles ist bekannt, man erfährt kaum etwas Neues, aber man genießt die gemeinsame Zeit. Dieses Gefühl der Vertrautheit trägt sich durch den gesamten Roman. Ungewöhnlich ist aber diesmal, dass es gleich mehrere Parallelhandlungen gibt. Dies hängt mit ungewöhnlichen Tätersuche durch die Crownsolving-Plattform zusammen. Mehrere Hobbyermittler diskutieren den Fall der getöteten Touristin Ruby und tragen Hinweise zur Tat zusammen. Eine neue, ungewöhnliche Form der Tätersuche, die dazu führt, dass die User der Plattform oftmals mehr Informationen haben als die spanische und norwegische Polizei. Gleichzeitig ermöglicht die unterschiedliche Sicht der User dem Leser, den Fall aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Auch Wisting selber und seine Tochter Line ziehen hieraus ihre Informationen.

Fazit

Wisting ist einfach ein exzellenter Ermittler, dem Autor Jørn Lier Horst einen ganz eigenen, unverwechselbaren Charakter verleiht. Der akribische Ermittler ist längst in einem Atemzug mit Mankells Wallander oder Sjöwall/Walhöös Kommissar Beck zu nennen. Jørn Lier Horsts Reihe führt einem eindrucksvoll vor Augen, was den skandinavischen Krimi einst ausmachte: eine greifbare Atmosphäre, einen beharrlichen, unerschrockenen Ermittler und einen kritischen Blick auf die Gesellschaft.

Wisting und die Tote am Wegesrand

Jørn Lier Horst, Piper

Wisting und die Tote am Wegesrand

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