Der süßeste Tod
- Polar
- Erschienen: August 2023
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Ein düsteres Familien- und Beziehungsdrama und ein ungemein packender Psychothriller.
Samantha Mayfair - kurz Sam - hat schon früh entdeckt, dass sie einer besonderen, eher dunkleren Seite der Sexualität nachspürt. Im Alter von sechzehn wird ihr das zum Verhängnis und soll ihr Leben für immer verändern. Fünfzehn Jahre später holt sie die Vergangenheit ein. Ihr damaliger Peiniger wird ermordet aufgefunden und ihr Stiefbruder Eric des Mordes beschuldigt. Sam muss sich erneut ihren Dämonen stellen. Lange gehütete Geheimnisse und schreckliche Wahrheiten drohen ans Tageslicht zu kommen.
Der Rausch der Schmerzen
Es ist selten, dass mich in einem Kriminalroman alle Figuren mitreißen - was keineswegs bedeutet, dass mir hier alle sympathisch sind. Doch Heather Levy gestaltet ein vielschichtiges Geflecht aus glaubwürdigen und lebensnahen Charakteren, die in einem düsteren Wechselspiel aus Nähe und Distanz, Kälte und Wärme, Gewalt und Liebe miteinander verbunden sind.
Sexuelle Identität ist ein zentrales Thema des Romans, der Aspekte des BDSM aufgreift. So nehmen entsprechende Handlungen bewusst Raum ein und lassen uns Sams Begehren schon als Teenager verstehen. Dabei lotet Heather Levy sehr nuanciert die Grenzen zwischen schmerz- und lustvollem Sex aus. Die US-amerikanische Autorin hat auch eine Sachbuch-Reihe über menschliche Sexualität verfasst. Ganz und gar nicht sachlich aber ist die Sexualität, die sie ihre Figuren erleben lässt. Heather Levy vermeidet oberflächliche, Effekt heischende Szenen und gestaltet unglaublich intensive, intime Momente, die uns mitfühlen und leiden lassen, die Fragen aufwerfen und immer wieder schockieren. Denn es geht schonungslos zu und es stockt der Atem, wenn Schutzmauern brutal eingerissen werden.
Immer tiefer geraten wir in einen Strudel aus Macht und Missbrauch, Begierde und Verlangen. Es ist ein stetes Hoffen und Bangen, dass sich die Dinge irgendwie zum Guten wenden mögen. Nur zu deutlich rüttelt Levy an den Grundfesten von Familienharmonie, die hier - wenn überhaupt - nur gelegentlich zart durchblitzt. Sams innere Zerrissenheit berührt, irritiert und manchmal möchte man sie schütteln, fühlt die Hilflosigkeit, wie auch Sams Stiefbruder, der versucht seiner Liebe zu Sam ausreichend Kraft zu verleihen. Doch auch der mal liebevolle, mal unberechenbare Junge und Mann ist selbst Opfer traumatischer Erlebnisse und gefangen in einer schicksalhaften Familienkonstellation.
Der Wahrheit auf der Spur
Nun, viele Jahre später, sind Sam und Eric in die Ermittlungen um den Mord verwickelt. Aber ist ihr Stiefbruder tatsächlich der Täter? Was hat sich damals tatsächlich zugetragen? Levy gestaltet den Roman auf zwei Zeitebenen, welche die Jahre 1994 und 2009 umfassen. Die polizeilichen Ermittlungen werfen alle zurück in eine dramatische Vergangenheit in der Kleinstadt Blanchard im US-Bundesstaat Oklahoma. Immer nur Bruchstücke der vermeintlichen Wahrheit treten zu Tage. Dank nur kurzer Kapitel und geschickter Verknüpfung geraten diese unglaublich kompakt und wendungsreich, schaffen eine dichte Atmosphäre und knisternde Spannung, die uns auch dank wunderbar stimmiger Übersetzung von Kathrin Bielfeldt bis zum Schluss nicht loslässt.
Fazit
„Walking through needles“ ist der Originaltitel des Debüts von Heather Levy und es gilt beinahe sprichwörtlich auch für uns Leserinnen und Leser, wenn wir den erschütternden Leidensweg von Sam und Eric als Jugendliche und Erwachsene durchleben. Gleichsam grausam, wie faszinierend entfaltet Heather Levay ein düsteres Familien- und Beziehungsdrama und einen ungemein packenden Psychothriller. Ein großartiges Debüt und ein Highlight des fortgeschrittenen Krimi-Jahres.
Heather Levy, Polar
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