Die Einladung
- Droemer
- Erschienen: Oktober 2023
- 25
Spannung ohne Sinn und Verstand
Marla Lindberg hat sich eigentlich nie sonderlich gut mit ihren alten Klassenkameraden verstanden. Mit dem hässlichen Namen "Mad Marla" bedacht, wegen einer Familientragödie isoliert und aus den coolen Schulcliquen ausgeschlossen, hielt sie es immer für besser, einen guten Abstand zu den anderen einzuhalten. Marla hatte aber auch weiß Gott andere Probleme zu lösen. Da waren die Erinnerungen an den schrecklichen Mordanschlag, der in einer alten Klinik auf sie verübt wurde, an einen Angreifer, der nie ermittelt werden konnte und an die Therapeuten, die ihr immer vermitteln wollten, dass sich der Horror ihrer Erinnerungen tatsächlich nur in ihrem Kopf abspielt. Lange Zeit fühlte sie sich wie ein Blatt im Winde. Aber jetzt soll ein neues Kapitel aufgeschlagen werden. Als sie die Einladung zu einem Klassentreffen in der romantischen "Nebelhütte" in den Alpen erhält, entschließt sie sich, sich ihren Erinnerungen zu stellen. Was kann an einem Klassentreffen denn schon schlimm sein? Natürlich könnte sich herausstellen, dass die hoch gelegene Hütte plötzlich in einem Schneesturm eingeschlossen ist, es könnte auch passieren, dass eigentlich keiner etwas von einem Klassentreffen weiß oder auch, dass sich plötzlich mysteriöse Vorkommnisse häufen. Das alles könnte passieren - ließe sich aber bestimmt lösen. Aber wie geht man damit um, wenn man sich plötzlich mit dem schlimmsten Alptraum der Vergangenheit konfrontiert sieht und das Sterben beginnt?
"Meine Intention ist es in erster Linie zu unterhalten" (Sebastian Fitzek)
Betrachtet man Sebastian Fitzeks neustes Werk unter dieser Vorgabe, so muss man bescheinigen, dass er diese Vorgabe zu 100 Prozent erfüllt. In den 84 extrem kurzen Kapiteln, die regelmäßig mit einem Cliffhanger enden, jagt der Autor seine Leser durch verschiedene Szenarien, die allein wegen ihrer Anlage spannend sein müssen. Da ist ein Horrorerlebnis in einer alten Klinik, das die Heldin Marla an Körper und Seele verletzt, da ist das gruselige Szenario in einer verschneiten Hütte, aus der niemand entkommen kann, da sind Gegenstände, die auftauchen und genauso schnell wieder verschwinden, Verwandte, die sich um den Verstand gesoffen haben oder ihn krankheitsbedingt einbüßen und vieles, vieles, was jedem nicht nur wohlige Schauer über den Rücken jagt. Der Leser erlebt Konstellationen der "Lost Places", die manchmal so verlassen wurden, dass im Prinzip noch das Mittagessen auf dem Tisch steht - aber die Menschen sind verschwunden. Dann müssen Rätsel gelöst werden, die an mörderische Escape-Rooms erinnern – und an das Szenario eines verschneiten Hotels mit einem Verrückten, der hier sein Unwesen treibt, erinnern sich nicht nur die gut belesenen Stephen-King-Fans. Es ist von allem vieles - und einfach viel zu viel.
Manchmal dachte ich beim Lesen, dass sich der Thriller insbesondere an die Leserinnen und Leser richtet, die das Buch in einem Zug "durchfetzen". Der Spannungsbogen reißt nicht ab, wird immer weiter aufgebaut und dank der kurzen Kapitel liest man immer noch ein bisschen weiter und ein noch bisschen mehr und hat das Gefühl nicht aufhören zu können. Vermutlich gehen aber die meisten von uns einer bezahlten Tätigkeit nach oder haben auch ein paar nebensächliche Dinge mit Familien oder Freunden zu regeln. Doch mit dem Lesezeichen im Buch und dem ersten Zuklappen gehen die Probleme los. Löst sich nämlich der Leser aus der ewigen Spannungskurve und schaltet seinen eigenen Verstand dazu ein, dann fallen die vielen Dinge auf, die so nicht logisch sind oder nicht sein können und vieles passt irgendwie nicht so recht zusammen.
Wie lautet der Name der Senatorinnen-Tochter in "Das Schweigen der Lämmer"?
Was mich an diesem Buch insbesondere störte, ist die fehlende Geradlinigkeit. Dabei wird mit dem besonderen Thema der "Gesichtsblindheit" ein interessantes Thema angesprochen. Die Heldin Marla selbst, die darunter leidet, erklärt das als "Fehlfunktion in ihrem Gehirn" und dass sie natürlich Gesichter sehen - aber bei späteren Begegnungen nicht wieder erkennen könne. Eine solche Gesichtsamnesie könnte ein weites, fesselndes Feld eröffnen. Aber es wird zu wenig daraus gemacht. Die tolle Idee geht zwischen einem Wust von anderen Gruseleffekten unter. Mich irritierte auch, dass vieles von Fitzeks sonstiger lockerer - manchmal respektlos witziger - Schreibe nicht viel zu finden ist. Verschiedene Passagen empfand ich als regelrecht schwülstig. Sebastian Fitzek - so wie ich ihn eigentlich immer am liebsten habe - unverkrampft und eloquent, tritt eigentlich nur auf den letzten acht Seiten in Erscheinung - nämlich da, wo er seine Danksagung verfasst. Hier werden dann auch sogar noch einmal interessante Punkte angesprochen. So zum Beispiel der, dass wir uns an die Täter der Romane erinnern, aber nicht an deren Opfer. Fitzek beschreibt das als "Täter-Heroisierung" und wer einmal darüber nachdenkt, der ist ein wenig über sich selbst geschockt.
Lobend erwähnen möchte ich aber trotz aller Kritik die Aufmachung des Buches. Der DROEMER-Verlag hat das Buch einem haushaltsüblichen Briefkasten nachempfunden und hier hat man sehr detailverliebt gearbeitet. So fehlt nicht einmal die Schließvorrichtung und auf der Rückseite sind sogar die Aufhängevorrichtungen aufgetragen. Ob man das Buch jetzt mag oder nicht, diese Lösung ist einfach originell und zeigt, wie schön ein Buch präsentiert werden kann.
Fazit
Sebastian Fitzek kann zweifellos unterhalten und belegt das mit seinem neuen Roman. Dennoch bleibt die Frage, ob die Unterhaltung um des reinen Unterhaltens willen einen intelligenten Thriller ausmacht, der tatsächlich mehr kann als - ja - nur zu unterhalten.
Sebastian Fitzek, Droemer
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