Skorpion

  • Blanvalet
  • Erschienen: August 2023
  • 10
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Thomas Gisbertz
72°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2023

Komplexer, aber etwas überladener Thriller

Sommer 2002: Schon seit einer Stunde warten der Schweizer Bundesermittler und Mafia-Experte David Keller sowie sein Kollege Andrea Monti von der italienischen Antimafia-Behörde in der „Chiesa La Martorana“ zu Palermo auf einen wichtigen Informanten. Keller staunt nicht schlecht, als sich unerwartet ein Franziskanermönch als Spitzel zu erkennen gibt und den beiden Ermittlern wichtige Hinweise zur Mafia und deren Handlangern überreicht.

Kurz darauf wird der Padre vor der Kirche erschossen. Wenige Wochen später stellen Zollfahnder im Antwerpener Containerhafen drei Tonnen Kokain auf einem Schiff aus Venezuela sicher. Zwei Fälle, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Doch im Kontext der beiden Ereignisse fällt ein Name: Walter Baumann, Finanzberater und Ex-Banker, der sich auf Geldwäsche spezialisiert hat und in Diensten südamerikanischer Drogendealer steht. David Keller vom Kommissariat zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in Bern wird mit dem Fall beauftragt. Doch die Ermittlungen gestalten sich anfänglich äußert schleppend, unter anderem, weil Akten manipuliert wurden. Schnell wird aber klar, dass Keller es mit einer internationalen Verschwörung zu tun hat, die gefährlicher ist, als der Ermittler zu träumen gewagt hat - und seine Gegner sind ihm ganz nahe.

Auftakt einer neuen Reihe

Interessanter noch als der Thriller an sich ist das Autorenduo Matt Basanisi und Gerd Schneider. Der eine ist ein Ex-Mafiaermittler, der andere ein Filmemacher. Der 57-jährige Matthias „Matt“ Basanisi wuchs als Kind einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters am Bodensee in der Schweiz auf. Basanisi ist ausgebildeter Polizist und Kriminologe. Im Anschluss an einen Militäreinsatz für die Schweizer Armee im Kosovokrieg zur Jahrtausendwende trat Basanisi der Abteilung Organisierte Kriminalität der Schweizer Bundeskriminalpolizei bei, 2005 dann dem internen Ermittlungsdienst der Vereinten Nationen. Matt Basanisi ist heute als Berater für Sendeunternehmen im Bereich der digitalen Piraterie tätig.

Gerd Schneider kam 1974 als jüngstes Kind eines Polizisten und einer Küsterin zur Welt. Er studierte Katholische Theologie in Bonn und Wien und bereitete sich auf das Priesteramt vor. Nach dem Diplom begann er ein Regiestudium an der Filmakademie Baden-Württemberg. Sein Spielfilmdebüt „Verfehlung“ über den Umgang der katholischen Kirche mit sexuellem Missbrauch feierte 2015 seine Kinopremiere und gewann zahlreiche nationale und internationale Preise.

Aus einem Treffen in Rom hat sich längst eine Freundschaft zwischen beiden entwickelt. Nun erscheint mit „Skorpion“ der erste Band einer mehrteiligen Romanreihe über den Bundesermittler David Keller.

Nahe an der Realität

Die beiden Autoren haben sich für ihren ersten Roman einiges vorgenommen. Im Mittelpunkt steht nicht nur ein Schweizer Geldwäscher, der als „Finanzexperte“ sowohl für die sizilianische Mafia und die südamerikanischen Narcos tätig ist, sondern auch in vielfältiger Hinsicht komplexe politische, wirtschaftliche und staatliche Beziehungen. Dabei geht es sowohl um die Finanzplätze Schweiz und Lichtenstein als auch um die Rolle der Vereinigten Staaten, die aus politischen Gründen und „übergeordneten Interessen“ immer wieder Grenzen - hier in Bezug auf die Drogenpolitik - überschreiten, um ihre Ziele zu erreichen.

Der Roman ist sichtbar inspiriert von wahren Begebenheiten. Immer wieder nehmen Basanisi und Schneider Bezug auf bekannte Persönlichkeiten oder Ereignisse wie die Rolle Silvio Berlusconis, seiner Beziehung zur italienische Mafia und den Banca-Rasini-Skandal, den Anführer des mexikanischen Sinaloa-Kartells Joaquín „El Chapo“ Guzmán Loera, den bekannten Abhörskandal  der BND und der CIA („Operation Rubicon“) oder auch die Ergreifung des meistgesuchten Verbrechers Italiens Matteo Messina Denaro („U siccu“), den „Boss der Bosse“ der Cosa Nostra. Genügend Inhalt für mehrere Romane, den die Autoren auf nur 381 Seiten verarbeiten. So interessant die Themen sind, fehlt im Roman die notwendige Zeit und Tiefe, diese angemessen darzustellen. Vieles wird nur angerissen und dürfte so manche Leser nicht nur verwirren, sondern auch vielleicht überfordern.

Viel Input statt starker Figuren

Im Zentrum des Romans stehen damit leider zu sehr die politischen, wirtschaftlichen und kriminellen Beziehungen und Geflechte. Die eigentlichen Charaktere bleiben hingegen blass. Dies mag daran liegen, dass sie austauschbar erscheinen und wie Marionetten wirken, die im Spiel der Mächtigen reagieren statt agieren. Bei dem enormen Tempo, das der Thriller anschlägt, bleibt eine gute Figurenentwicklung weitestgehend auf der Strecke.

Wer komplexere Politthriller mag, der wird sicherlich an diesem Roman Gefallen finden. Es ist mehr als interessant, dass dank Matt Basanisi jede Menge Insiderwissen in die Handlung einfließt. Allerdings ist der Roman immer noch ein Thriller und kein Sachbuch, obwohl die Themenbesprechung im Anhang des Romans diesen Eindruck verstärkt. Dies alles macht sich in einer oftmals fragmenthaften, aneinandergereihten Erzählweise bemerkbar, die ein aufmerksames Lesen verlangt, wenn man nicht die Übersicht verlieren will. Dies gilt auch für die zahlreichen Zeitsprünge. Hier scheint selbst der Verlag den Überblick verloren zu haben, wenn er auf dem rückseitigen Buchdeckel den Selbstmord von Walter Baumanns langjährigen Piloten ins Jahr 2002 verortet statt - wie richtig - ins Jahr 1996. Ein Fehler, den die Autoren auf ihrer Website übrigens übernehmen.

Fazit

Der Roman ist derart nah an der Realität, dass man sich fragen muss, was am Thriller noch Fiktion ist. David Keller wirkt zu sehr als Alter Ego von Matt Basanisi und die Handlung scheint nur aus dramaturgischen Gründen von der Realität abzuweichen. Genau hieran dürften sich die Geister scheiden: Ist „Skorpion“ noch ein packender Thriller oder eher ein spannendes „Sachbuch“?

Skorpion

Gerd Schneider, Matt Basanisi, Blanvalet

Skorpion

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