Die zweite Schwester

  • Atrium
  • Erschienen: März 2023
  • 1
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André C. Schmechta
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2023

Nga-Yee Au und der geheimnisvolle Mr. N.

Als sich die 15-jährige Siu-Man in den Tod stürzt, begibt sich ihre ältere Schwester Nga-Yee auf Spurensuche. Sie ist sich sicher, dass es einen Zusammenhang mit einem sexuellen Übergriff vor einiger Zeit gibt und jemand für den Suizid ihrer Schwester verantwortlich sein muss. Nga-Yee konsultiert einen Privatdetektiv, der schnell an seine Grenzen stößt und sie an einen Experten für schwierige Fälle vermittelt. Dieser entpuppt sich als sperriger, ungehobelter Typ mit stattlichen Honorarforderungen…

Mehr als nur ein Hacker

Es ist ein ungewöhnliches Duo, das der in Hongkong lebende Schriftsteller Chan Ho-Kei in „Die zweite Schwester“ eine interessante Zweckgemeinschaft eingehen lässt und uns damit äußerst unterhaltsame und spannende Lesestunden serviert. Da ist auf der einen Seite Nga-Yee, die von starken Gefühlen und dem Wunsch nach Rache geleitete Schwester, die alles dransetzt, um Licht ins Dunkel zu bringen. Auf der anderen Seite der abgeklärte, schon unverschämt scheinende, dabei beinahe verwahrlost hausende Hacker-Typ, der sich einfach nur N. nennt. Von dessen technischen Fähigkeiten aber erhofft sich Nga-Yee Unterstützung und Aufklärung, auch wenn es ihre gesamten Ersparnisse Kosten soll.

Die Figur des geheimnisvollen N. sticht dann im Roman auch gesondert heraus. Die Methoden des eigensinnigen Hackers sind von klarer, präziser Vorgehensweise geprägt. Das muss auch Nga-Yee anerkennen, die eigentlich schon kurz nachdem sie den Auftrag erteilt hat, bezweifelt die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Mit detektivischem Spürsinn geht N. kleinsten Hinweisen nach, kombiniert geschickt und nutzt dafür aber keineswegs nur computertechnische, digitale Hilfsmittel, wie sich herausstellen soll. Dennoch sind gerade diese häufig besonders faszinierend.

Aber keine Sorge, Chan Ho-Kei lässt Laien hier nicht überfordert zurück. Denn Nga-Yee ist schließlich in Sachen Technik und Computern auch nicht gerade erfahren, was N. ihr auch stets vorhält. Aber er erläutert seiner Kundin nachvollziehbar seine Planung oder bereits unternommenen Schritte und erklärt so auch uns die besonderen Eigenheiten seiner raffinierten und ausgeklügelten Methoden.

Eine besondere Familiengeschichte und eine besondere Großstadt

Das ungleiche Gespann recherchiert im nahen und weiteren Umfeld der Schwester, und Nga-Yee muss sich schon bald fragen, wie gut sie Siu-Man eigentlich noch kannte. Stück für Stück setzen sich die Puzzleteile zusammen, der Kreis der Verdächtigen wird eingegrenzt. Immer tiefer geraten wir in eine tragische Familiengeschichte und ein besonderes Einzelschicksal. Dabei schimmern die sozialen Facetten der chinesischen Großstadt durch, in der das Leben immer schwieriger wird. Hongkong gerät dabei zu einem ebenso atmosphärischen und schillernden wie distanziert und abweisenden Schauplatz.

Die „Kunde-Dienstleister-Beziehung“ zwischen Nga-Yee und N. bleibt fragil, trotz manch vermeintlicher dezenter Annäherung. Aber es macht große Freude, die beiden bei ihren Ermittlungen und Planungen zu begleiten. Chan Ho-Kei spielt geschickt mit manchen Klischees, baut unerwartet Wendungen ein und lässt nicht nur Nga-Yee fragen: Wer verbirgt sich tatsächlich hinter N.?

Fazit

Chan Ho-Kei gelingt ein moderner Thriller mit zwei wunderbar gegensätzlichen Figuren, die eine durchweg packende Geschichte tragen und uns dabei in ein Hongkong der Gegensätze führen. Erstmals 2021 in Deutschland veröffentlich, ist „Die zweite Schwester“ nun als Taschenbuch erschienen.

Die zweite Schwester

Chan Ho-kei, Atrium

Die zweite Schwester

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