Während der Kranke schlief
- Goldmann
- Erschienen: Januar 1936
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- Garden City, N.Y.: Doubleday, 1930, Titel: 'While the Patient slept', Seiten: 313, Originalsprache
- Bern; Leipzig; Wien: Goldmann, 1936, Seiten: 222, Übersetzt: Friedrich Freiherr von Bothmer
- München: Goldmann, 1952, Seiten: 201
- München: Goldmann, 1957, Seiten: 181
- München: Goldmann, 1997, Seiten: 220
Geister & Geier auf Schatzsuche in Erbonkels Villa
In seiner uralten, halb verfallenen Villa liegt der alte Jonas Federie nach einem Schlaganfall im Koma. Groß ist die Aufregung unter seinen Nachkommen, die sämtlich von seinem Vermögen leben. Wer wird es erben, sollte der alte Mann sterben? Wo ist das Geld eigentlich? Federie misstraute seit jeher den Banken; es wird gemunkelt, er bewahre es irgendwo in bar auf.
Die Geier sammeln sich. Da sind Jonas' Sohn Adolph und Schwiegertochter Isobel, Neffe Eustache und Enkeltochter March, aber auch der junge Deke Lonergan sowie der alte Elihu Dimuck, Freunde der Familie, sowie die ältliche Mittie Frisling, über deren Verbindung zu den Federies niemand Konkretes weiß. Im Hintergrund schleichen Grondal, der galgenvogelgesichtige Butler, und Kema, die durchtriebene Köchin, umher.
Neu in der Runde ist Sarah Keate, eine Krankenschwester, die den alten Jonas pflegen soll, bis dieser womöglich das Bewusstsein wiedererlangt. Im zugigen, dunklen, unfreundlichen, von Winterstürmen umtosten Federie-Herrensitz fühlt sie sich denkbar unbehaglich. Seltsames geht hier vor. Sichtbare und unsichtbare Bewohner streifen nachts durch das Haus. Ein kleiner grüner Jadeelefant verschwindet und taucht immer wieder auf. Violinmusik erklingt in der Dunkelheit, Schritte sind dort zu hören, wo niemand sich aufhält.
Alles fauler Zauber, redet Sarah sich ein. Doch eines finsteren Nachts muss sie ihren Irrtum erkennen: Adolph Federie stürzt mit einer Kugel im Leib die Turmtreppe hinab. Zu seinen Füßen: der Elefant, der kurz darauf schon wieder vermisst wird. Einer der Anwesenden muss der Mörder sein. Ermittler Lance O'Leary, der im Auftrag der Polizei den Fall übernimmt, steht vor der schwierigen Situation, dass von den Anwesenden ausnahmslos niemand ein Alibi vorweisen kann. Sarah Keate wird O'Learys Auge und Ohr im Federie-Haus. Der Job ist freilich gefährlich. Die unerklärlichen Vorfälle nehmen an Zahl, Intensität und Gefährlichkeit zu. Nur knapp entgeht die neugierige Krankenschwester einem Mordanschlag. Ein anderer Hausbewohner hat nicht soviel Glück: Der Mörder bleibt aktiv, und noch immer weist keine Spur in seine - oder ihre - Richtung...
Draußen heult der Sturm, innen sind alle verdächtig
Der erfahrene Krimifreund gleich welchen Geschlechts weiß nach der Lektüre dieses Handlungsabrisses umgehend, wohin der Hase läuft: "Whodunit?" oder "Wer hat's getan?" - den reichen Erbonkel, den herrischen Großvater, die fiese Haustyrannin umgebracht? Der Kreis der Verdächtigen ist klein, der Schauplatz des bösen Geschehens überschaubar und vor allem hermetisch abgeschlossen. Von außen kann niemand hinein außer dem Detektiv, von innen niemand flüchten. Der Fall wird unerbittlich in der eingeführten Kulisse gelöst. Die Fakten liegen offen, sind dem Leser zugänglich. Alle Anwesenden sind verdächtig, faule Tricks wie Geheimgänge, exotische Gifte oder auf Mord trainierte Fledermäuse sind verpönt (Letztere gibt's übrigens wirklich: in "Bats Fly at Dusk", dt. "Furien im Finstern", 1942 von Erle Stanley Gardner geschrieben).
Viel geschieht nicht außer dem einen oder anderen Mord. Meist wird geredet, ermittelt, abgestritten. Zahlreiche falsche Spuren führen auch durchs alte Federie-Anwesen. Letztlich muss die Verfasserin ein bisschen mogeln, um alle roten Fäden zum finalen Knoten zu schürzen. Viele spannende Einfälle hätten sonst nachträglich nicht "erklärt" werden können.
"Während der Kranke schlief" gehört zu jener "Whodunit?"-Spielart, die ihre Nähe zur "gotischen" Phantastik nicht leugnen können. Das Federie-Haus ist ein Spukschloss, riesig, verwinkelt, verfallen, düster. Seit Jahrzehnten hat sich hier nichts geändert, es gibt weder Elektrizität noch fließendes Wasser. Staub und Schatten, in denen allerlei Unerfreuliches nistet und lauert, bestimmen drücken innen auf die Stimmung, und draußen stürmt, regnet und nebelt es selbstverständlich unaufhörlich. Gruselig wirken auch Sarah Keates Suchexpeditionen durch das Haus. Im Schein einer flackernden Lampe - die stets im entscheidenden Moment ihren Geist aufgibt - durchstreift sie verlassene Zimmerfluchten und riesige Dachböden voller Schutt und Spinnen. Überall hängen staubige Vorhänge herab, hinter denen man sich vorzüglich verbergen kann, was die Anwesenden weidlich ausnutzen.
Denn letztlich stellen sich die Rätsel von Haus Federie als sehr diesseitig heraus. Vollprofi Mignon G. Eberhart mischt zwei Unterhaltungsgenres, die in den späten 1920er und 30er Jahren außerordentlich beliebt waren. (Zu den einschlägigen Kinoerfolgen dieser Jahre gehören "The Cat and the Canary, 1927, und "The Old Dark House", 1932, mit Boris Karloff, Charles Laughton, Ernest Thesinger und Raymond Massey; diese Filme spiegeln perfekt wider, was Eberhart in Worte fasst.) Aus heutiger Sicht mag das Ergebnis ein wenig altmodisch erscheinen, aber es ist genau diese aus der Mode gekommene Unterhaltung, die das Prädikat "nostalgisch" trägt. Die Lektüre von "Während der Kranke schlief" bereitet auch heute noch Vergnügen, aber es ist ein "anderes" Vergnügen als 1930: Was damals den Zeitgenossen selbstverständlich war, wirkt auf die Leser von Heute fremd oder befremdlich - und attraktiv! Die absolute Ferne der Federie-Rätsel von den Problemen der globalisierten Gegenwart erhöht den Spaß an einer Geschichte, die zum angenehm unbeschwerten Selbstzweck geworden ist.
Eine neugierige Amateurdetektivin im Tracht & Häubchen
Eine Krankenschwester als private Ermittlerin angeblich wider Willen - eine kluge Wahl, denn Sarah Keate gehört damit einem Personenkreis an, für den die Anwesenheit in fremden Häusern alltäglich ist. Keate pflegt Menschen, die es sich leisten können. Sie steht deshalb über den "normalen" Hausdienern und kann sich auch unter den Reichen & Schönen bewegen. Auch wenn sie von diesen manchmal nicht zur Kenntnis genommen wird: Sarah Keate sieht und hört alles. Zwar fällt sie hier und da in Ohnmacht, aber das ist ein Zugeständnis, das Mignon G. Eberhart dem zeitgenössischen Frauenbild schuldete. Sie muss und kann halt nicht aus ihrer Haut. Eine Frau mit Köpfchen, die berufstätig ist und überaus selbstbewusst - das konnte den Lesern um 1930 nur vorsichtig nahe gebracht werden.
Deshalb ermittelt Sarah Keate auch nicht allein. Lance O'Leary und damit ein Mann greift schon früh ins Geschehen ein und sagt ihr was zu tun oder zu unterlassen ist. Allerdings fällt auf, dass O'Leary zu keinem Zeitpunkt von Sarah verlangt, sie solle mit der Herumschnüffelei aufhören. Stattdessen setzt er sie sogar als Ermittlungshelferin ein und tut gut daran. O'Leary hört zu, wenn Sarah Keate ihm Vorschläge macht oder Theorien entwickelt. Hier und da schimmert deutlich durch, dass er sie und ihren Rat schätzt. Sogar ein wenig persönliches Interesse meint man ihm anzumerken, aber das geht denn doch ein wenig weit: Sarah Keate ist eine bodenständige Jungfer, die auf ihr Alter und ihre große Nase hinweist und Erfüllung in ihrer Tätigkeit als Schwester findet. Aber die heimliche Lust am Detektivspiel muss doch stark ausgeprägt sein. Zwar betont Keate zum Schluss, sie habe aufgrund ihrer schrecklichen Erlebnisse im Federie-Haus keine ambulanten Schwesterndienste mehr übernommen. Tatsächlich hat sie in den folgenden Jahren noch manchen Mord mit aufgeklärt...
Wer ist eigentlich dieser Lance O'Leary? Im Gegensatz zu Sarah Keate bleibt er eine diffuse Figur. Reich ist er und offenbar gar nicht auf einen Lohn angewiesen. Arbeitet er hauptberuflich für die Polizei oder ist er einer dieser "Gentleman-Detektive", die zu Beratungszwecken heranzuziehen für die Behörden vor dem II. Weltkrieg anscheinend keine rechtlichen Probleme aufwarf?
Die Federies und ihre Gäste bilden die übliche Menagerie höchst verdächtiger Typen. Dreck am Stecken haben sie alle, ihr schlechtes Gewissen steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Genretypisch schält sich aus dem lumpigen Haufen eine schöne Frau in Not heraus, die es zu retten und zu verheiraten gilt. Eberhart ist diesem Klischee indes nicht so verfallen wie viele Schriftsteller-Kollegen und -Kolleginnen: March Federie ist beileibe keine sympathische Figur, sondern reiht sich auf ihre Weise in die üble Sippe ein (Ein Verlobter wird ihr freilich doch zugeteilt).
Überhaupt stellen die Frauen die interessanteren Handlungsträger dar. Zwar kommt es mehrfach zu Anfällen "weiblicher Hysterie", die das schöne Geschlecht bekanntlich in der Krise überfallen, aber diese Ausfälle gründen sich eher auf tief empfundene Erbitterung und mühsam kontrollierten Groll, die sich so ein Ventil verschaffen, und gelten nicht als "Reset"-Funktion des leicht zu überlastenden weiblichen Hirns. Die männlichen Figuren wirken demgegenüber viel klischeehafter: der taugenichtsige Sohn, der blasierte Enkel, der vertrocknete Geschäftsmann, der hohlköpfige Galan, der schleichfüßige Butler. In diesen Rollen gehören sie freilich zum typischen Inventar des "Whodunit?", so dass man geneigt ist ihre Eindimensionalität nicht nur zu verzeihen, sondern sie sogar erwartet.
Der Film zum Buch
"While the Patient Slept" wurde bereits 1935 verfilmt. In Hollywood entstand unter der Regie des Routiniers Jay Enright (1896-1965) und nach einem Drehbuch von Robert N. Lee (1890-1964) ein typisches B-Movie: knapp über eine Stunde lang, billig produziert und mit Schauspielern der zweiten Garde besetzt, gedacht als "Vorfilm" für die zeitgenössischen Kino-Doppelvorstellungen, aber durchaus professionell gemacht und auch heute noch unterhaltsam. Schwester Sarah Keate wurde von Aline MacMahon (1899-1991) gemimt, die in den 1930er und 40er Jahren ihre Filmnische als Darstellerin von Müttern und Matronen gefunden hatte. Den Lance O'Leary gab Fließband-Schauspieler Guy Kibbee (1882-1956), der in den nur siebzehn Jahren seiner Kinolaufbahn in 113 Filmen spielte.
Mignon G. Eberhart, Goldmann
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