Leichen sind schweres Gepäck
- Ullstein
- Erschienen: Januar 1977
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Toter Bauchredner im Reisekoffer
Die Arbeit an seinem aktuellen Roman findet für Ellery Queen, der sich auch einen Namen als Privatdetektiv gemacht hat, ein vorläufiges Ende, als eine neue Klientin in seinem Büro erscheint und dort sogleich von einem Unbekannten überfallen wird: Sheila Cobb wollte Queen bitten, ihren Vater ausfindig zu machen. Gordon Cobb, der sich seinen Lebensunterhalt als Bauchredner verdiente, war von einer China-Tournee in die USA heimgekehrt, wo er in New York City in den Ruhestand gehen wollte.
In Übersee ist Cobb auf eine seiner Tochter unbekannte Weise an den dafür erforderlichen Reichtum gekommen. Im noblen Hotel „Hollingsworth“ wollten Vater und Tochter nunmehr dauerhaft logieren, doch dort ist Cobb seit einigen Tagen nicht mehr gesehen worden. Zuvor hatten ihn seltsame und anonyme Botschaften erreicht, die sich als Droh- oder Erpressungsbriefe deuten lassen.
Queen betrachtet die Attacke auf Sheila als Herausforderung. Die Durchsuchung von Cobbs Hotelzimmer ist aufschlussreich, denn in einem großen Reisekoffer entdeckt der Detektiv die Leiche des Mieters. Cobb Senior wurde erdrosselt, und was er aus China mitgebracht hat, ist verschwunden.
Inspektor Richard Queen, Ellerys Vater, übernimmt den Fall, lässt sich aber wie üblich vom Sohn unterstützen. Verdächtig sind vor allem jene drei Männer und eine Frau, die mit Cobb an Bord der „Manchuria“ nach New York gereist sind und ‚zufällig‘ ebenfalls im „Hollingsworth“ wohnen: ‚Graf‘ Brett, ‚Miss‘ Olga Otero und der ‚Page‘ Jimmy Saunders. Auch Cobbs Agent weiß wohl mehr, als er zugibt. Darüber hinaus stößt Queen Junior auf eine Spur, die zu einem berüchtigten Falschspieler führt.
Die Alibis sind schütter, die Verdachtsmomente zahlreich. Ellery Queen lässt sich dennoch nicht in die Irre führen. Er ignoriert falsche Indizien und Lügen und enthüllt ein Verbrechen auf mehreren Ebenen, das sich um einen gewaltigen Schatz dreht …
Kriminalspiel mit mehrfach gezinkten Karten
Ungewöhnlich agil und kurzentschlossen geht Detektiv Ellery Queen ans deduktive Werk. Sonst beschränkt er sich genretypisch auf geheimnisvolle Andeutungen, mit denen er die Personen in seiner Umgebung (sowie die Leser) systematisch verwirrt und auf falsche Fährten lockt, um dann in einem großen Finale aufklärerisch umso strahlender dazustehen. Zwar erläutert Queen auch dieses Mal nicht ausführlich, was er gerade wieso tut, aber ihm bleibt auch kaum die Zeit dafür, denn ständig gilt es einer Spur zu folgen, was anscheinend nur möglich ist, wenn man sich in möglichst großer Eile von Punkt A nach Punkt B begibt.
Ansonsten fällt auf, dass die Leute, mit denen Queen es zu tun bekommt, durchweg alles andere als geistige Leuchten sind. Zwar ‚muss‘ der Detektiv stets klüger sein als die Personen in seinem Umfeld, aber zumindest der oder die Täter/in sollte ihm (scheinbar) gewachsen sein! In unserem Fall schaut man als Leser final verdutzt und fragt sich, aus welcher dünnen Luft diese Auflösung kondensiert wurde. Erraten konnte man sie nicht, was für einen Rätsel-Krimi des Jahrgangs 1941 eigentlich nicht geht: In dieser Ära gehörte es zum ‚fair play‘, dass die Autoren ihrem Publikum eine Chance gaben, mindestens zeitgleich mit dem Ermittler fündig zu werden.
„Leichen sind schweres Gepäck“ - der deutsche Titel fällt in jene Periode, in der viele deutsche Verlage die Aufmerksamkeit ihrer Leser = Käufer durch ‚lustige‘ oder anderweitig ‚originelle‘ Buchtitel locken wollten - präsentiert eine zügige, aber gleichzeitig abgehackt wirkende Handlung. Man fühlt sich an einen Film erinnert, der das Geschehene zeigt, weshalb ausführliche Reden oder Beschreibungen nicht nötig bzw. kontraproduktiv sind. Dies kommt nicht von ungefähr, denn wir haben es nicht mit einem ‚echten‘ Ellery-Queen-Roman zu tun.
„Franchise“ ist keine Erfindung der Neuzeit
Anfang der 1940er Jahre war Ellery Queen als Figur fest in der Kriminalliteratur und im Radio-Hörspiel verankert. Auch das Kino hatte ihn keineswegs übersehen, doch obwohl das Autorenduo Frederick Dannay und Manfred B. Lee sogar nach Hollywood zog und dort an Drehbüchern arbeitete, gipfelte jahrelange Mühe nur in zwei schnell vergessenen EQ-Filmen (1935 und 1937). Erst 1941 zeigte das Studio Columbia Interesse an einer Serie jener kostengünstigen B-Movies, die man im Kino vor dem ‚Hauptfilm‘ zeigte. Sie wurden in den ‚Rest-Kulissen‘ ‚großer‘ Filmproduktionen heruntergekurbelt; oft entstanden mehrere Streifen jährlich.
Die Ellery-Queen-Serie sollte zunächst acht Folgen umfassen. Obwohl der Sparstrumpf knapp bemessen war, arbeiteten vor und hinter der Kamera hochprofessionelle Leute. „Ellery Queen’s Penthouse Mystery“ wurde als zweiter Film dieser Serie 1941 von James P. Hogan (1890-1943) inszeniert. Er war ein typischer B-Movie-Regisseur, der mit beschränkten Budgets und in hohem Tempo durchschnittlich drei bis fünf Filme jährlich realisierte. Sie bildeten den ‚minderwertigeren‘ Teil der zeitgenössisch üblichen Doppelvorstellungen, können aber oft gerade deshalb noch heute unterhalten, weil sich Handlung und Darsteller auf das Wesentliche konzentrieren.
Die Hauptrolle ging wie im Auftaktfilm der Serie an den viel beschäftigten, aber weiterhin auf den Durchbruch wartenden Ralph Bellamy (1904-1991), der nach dem vierten Film durch William Gargan (1905-1979) ersetzt wurde. 1942 starb Produzent Larry Darmour, die treibende Kraft hinter der Serie. Aufgrund des ohnehin moderaten Publikumsinteresses setzte Columbia die insgesamt siebenteilige Reihe ab, nachdem Hogan auch die Teile 3 bis 7 inszeniert hatte.
Ein Seitentrieb der Buchserie
Die Ellery-Queen-Filme entstanden - den Gesetzen Hollywoods folgend - ohne direkte Mitwirkung der Schöpfer. Obwohl Dannay & Lee als Drehbuchautoren tätig waren - so arbeiteten sie 1941 (ungenannt) am Script des Films „Shadow of the Thin Man“ („Der Schatten des dünnen Mannes“) mit - wurde das Buch für „Ellery Queen’s Penthouse Mystery“ von Routinier Eric Taylor (1897-1952) verfasst. Er stützte sich dabei auf ein Radio-Hörspiel („The Three Scratches“) aus dem Jahre 1939.
Columbia interessierte sich nicht für einen Detektiv, der wie in den Romanen penibel recherchierte. Aus Ellery Queen wurde ein Klischee-Held - jung und energisch, der mit einem Witz auf den Lippen die jeweiligen Strolche aufmischte. Selbstverständlich konnte ein solches Mannsbild nicht ohne Frau an seiner Seite sein. Als „love interest“ wurde Queen Nikki Porter zugewiesen - als ‚Privatsekretärin‘, denn selbstverständlich musste sich diese Beziehung im zeitgenössisch engen Rahmen des Schicklichen bewegen. Die unterschätzte Margaret Lindsey (1910-1981) übernahm die Rolle in sämtlichen Filme der Reihe.
Diverse Folgen der „Columbia“-Serie wurden als „Romane zum Film“ zweitverwertet. Dannay & Lee gaben nur ihren lukrativen Namen dafür her; diese Bücher wurden von Routine-Autoren ‚geghostet‘, die schnell und kostengünstig arbeiteten. Wer dies für „Ellery Queen’s Penthouse Mystery“ übernahm, ist bis heute ungeklärt.
Fazit
Eher glatt als raffiniert läuft dieses Mörder-‚Rätsel‘ ab; kein Wunder, denn es handelt sich um einen „Roman zum Film“, den nicht die eigentlichen Autoren der Ellery-Queen-Serie verfasst haben; die klischeegeprägte Handlung und die flachen Figurenzeichnung verraten es: trotzdem durchaus unterhaltsam.
Ellery Queen, Ullstein
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