Die Schatten von Cambridge
- Lübbe
- Erschienen: November 2022
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Wenig spannender History-Krimi
Durch Großvater und Vater war Jim Kelly schon früh geprägt. Beide waren im Polizeidienst und hatten Kriegserfahrung. Nachdem Kelly einige Zeit als Journalist tätig war, widmete er sich ganz dem Schreiben, wobei er auf eigene Erfahrungen und die seines Vaters und Großvaters zurückgreifen konnte. Die Serien rund um Philip-Dryden und später Peter Shaw und George Valentine entstanden, fanden großen Anklang und wurden teilweise ins Deutsche übersetzt. 2018 kam dann sein erster Buch aus der Eden-Brooke-Serie im englischen Original auf den Markt, das Ende 2021 auch auf Deutsch erschien. Im November 2022 folgte der zweite Band, der erst unter dem Titel „Der Junge im Fluss“ angekündigt war, dann aber in „Die Schatten von Cambridge“ umbenannt wurde.
Der Krieg hält Einzug in England
Im Winter 1940 werden abermals Kinder aus London nach Cambridge evakuiert. Doch nach der ersten Nacht in der Universitätsstadt fehlt der kleine irisch-katholische Junge Sean. Inspector Eden Brooke befürchtet das Schlimmste, denn in der Nacht versuchte er verzweifelt und aussichtslos ein Kind aus dem eisig kalten Cam zu bergen. Dann explodiert eine Bombe in einer Fabrik und ein Slogan des Irisch-Republikanischen Widerstands taucht auf. Brooke wird klar, dass die beiden Fälle zusammenhängen müssen, doch die Ermittlungen erweisen sich als sehr schwierig. Und die Zeit drängt, denn die Möglichkeit weiterer Anschläge besteht.
Ein zu ruhiger Plot bringt kaum Spannung
Kelly ist bekannt für seine unaufgeregte und ruhige Erzählweise. Auch in „Die Schatten von Cambridge“ gibt es kaum Dialoge, dafür umso mehr narrativ Erzähltes. Doch dieses Mal ist es nicht nur das, was kaum Spannung aufkommen lässt. Die Geschichte beginnt eindimensional und sehr ausführlich mit der verzweifelten Suche nach dem Kind im Fluss, doch spätestens als der Bombenanschlag geschieht wird sie in zu viele unterschiedliche Stränge gespalten. Die Vergangenheit des Jungen, seiner Familie, seiner Betreuer vor Ort wird genauso aufgegriffen, wie die Probleme in Irland. Dazu kommt die ständige Bedrohung durch den Krieg, die sich auch in Brookes eigene Familie schleicht und ihn immer wieder an seine eigenen Erlebnisse im 1. Weltkrieg denken lässt. Schlussendlich spielt auch noch seine Kindheit und seine Beziehung zu seinem Ausbilder bei der Polizei eine Rolle. Das alles erfordert Konzentration, könnte packend sein, ist aber alles andere als spannend. Brooke scheint sich manchmal etwas zu verzetteln oder in seiner eigenen ruhigen Erzählweise zu versinken. Dazu kommen die ständigen sehr detaillierten Weg- oder Ortsangaben, zu deren Verständnis ein beigefügter Stadtplan gut gewesen wäre, doch der fehlt leider. Der Schluss verbindet zwar die Stränge und löst alles auf, ist aber, wie die ganze Geschichte einfach zu unspektakulär.
Brooke ist ein wandelndes Fragezeichen
Vielleicht findet im ersten Teil der Serie eine Vorstellung des Protagonisten statt, die ihn für die Leserschaft zu einer Person mit Eigenschaften und einem definierten Charakter macht. Wer aber erst mit diesem zweiten Teil einsteigt, muss sich viel zwischen den Zeilen erlesen. Aufgrund einer Kriegsverletzung immer mit mehreren farbigen Brillen ausgestattet, stapft Brooke jede Nacht durch Cambridge. Er findet keinen Schlaf und scheint ihn auch nicht zu benötigen, denn die wenigen Momente auf einer Liege im Polizeiquartier genügen ihm. Nur Andeutungen lassen erahnen, was ihn umtreibt und wach hält. Die Beziehung zu seiner Frau ist scheinbar in jeder Weise befriedigend, was man aber ebenfalls nur aus Andeutungen erfahren kann. Jedoch zeichnet sich Brooke zumindest als individueller Charakter ab, während Frau und erwachsene Tochter sehr klischeehaft erscheinen. Beide sind aufopfernde Krankenschwestern, geben für ein harmonisches Familienleben alles und verlieren selbst in den schwierigsten Situationen nicht den Mut. Dadurch erscheinen die aderen an Nebenfiguren mit ihren Problemen wesentlich interessanter. Allerdings sollte gerade einem Autor mit diesem Hintergrund bekannt sein, dass weibliche Polizisten 1940 noch nicht im Dienst waren und schon gar nicht als hochrangige Vorgesetzte fungierten. Eine Figurenzeichnung mit differenzierteren Charakteren auf allen Ebenen hätte dem Krimi gut getan und vielleicht noch ein bisschen Spannung und Schwung gerettet. So aber reißen diese auch nichts mehr.
Wieder einmal punktet Cambridge
Die alte Universitätsstadt am Cam ist immer ein wunderbarer Ort für einen Krimi. Die Colleges mit ihren Greens und schmücken Gebäuden; die Lehrenden, Studenten und Hausmeister in ihren Roben und nicht zuletzt der Fluss selber bieten immer eine herrliche Kulisse. Kelly greift diese Atmosphäre auf und toppt sie noch durch die Umstände während des Krieges. Die Versorgungslage ist kritisch und die Bedrohung von Luftangriffen hängt in der Luft. Die Fenster müssen nachts verdunkelt sein, das Leben scheint sich in einer Art Lauerstellung zu befinden. Das Buch punktet eindeutig mit dieser angespannten Atmosphäre, die Kelly wirklich gut zu vermitteln weiß. Selbst die Unterschiedlichkeit der Stadtviertel und die Situation in der Kirche mit den evakuierten Kindern ist ihm anschaulich gelungen.
Fazit
Ein sehr ruhig erzählter Krimi, der zudem an zu vielen Handlungssträngen krankt. Auf Spannung hofft man hier fast vergebens. Lediglich die Atmosphäre in Cambridge zu Zeiten des Krieges kann die Geschichte retten, die dadurch lediglich für Fans der Stadt und Geschichts-Interessierte zu empfehlen ist.
Jim Kelly, Lübbe
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