Der Weg ist kein Ziel
Hannah findet sich plötzlich in einem Albtraum wieder. Allerdings ist der nach dem Wachwerden erst richtig losgegangen. Sie wacht nämlich in einem billigen Hotelzimmer auf, hat keine Ahnung wie sie dahin gekommen ist, weiß nicht, wo sie überhaupt ist, ist an ein fremdes Bett gefesselt und der Mann, der sich als ihr Entführer und ihr Gefängniswärter in einer Person vorstellt, ist ein entflohener Häftling.
Fast – so sollte man meinen – könnte es nicht schlimmer kommen. Hannah stellt aber zudem fest, dass sie offensichtlich eine schwere Stichverletzung erlitten hat und sich nicht mehr erinnern kann, wie das passiert ist. Aber katastrophal wird es dann, als ihr Entführer ihr ein Video vorspielt, in dem eine Frau gesteht, gerade ihre Stieftochter und ihren Mann ermordet zu haben. Ein ähnliches Schicksal sollte auch ihrem Sohn drohen, doch konnte der den ersten Angriff abwehren und – möglicherweise schwer verletzt – in die Nacht fliehen. Natürlich könnte Hannah sich fragen, warum ihr so etwas gezeigt wird und was sie mit dieser Aufnahme zu tun hat. Aber diese Frage ist nicht nötig, denn: Hannah erkennt sich selbst im Video wieder. Sie selbst gesteht ihren Mann und ihre Stieftochter ermordet zu haben und nur der 12jährige Paul konnte entkommen. Aber das kann doch nicht möglich sein….
Ich kann es in deinem Gesicht lesen….
Sebastian Fitzek hat in seinem neuen Roman ein interessantes Thema aufgegriffen, nämlich das der „Mimikresonanz“. Danach kann vieles aus der Mimik eines Menschen gelesen werden – was sicherlich grundsätzlich nicht ganz neu ist. Aber Mimikresonanz geht so weit zu sagen, dass das berühmte „Pokerface“ grundsätzlich gar nicht möglich ist, kann sich doch ein Mensch in Bruchteilen von Sekunden über seine Mimik verraten, ohne dass ihm das überhaupt bewusst ist. Fitzeks neue Heldin, Hannah Herbst, hat dieses Feld zu ihrem Beruf gemacht und unterstützt die Polizei. Sie kann zum Beispiel erkennen, ob ein Beschuldigter in seiner Vernehmung die Wahrheit sagt oder ob seine Mimik ihn schon selbst als Lügner entlarvt. Der Leser lernt Hannah aber nicht in der Rolle der – wenn man so will – Gesetzeshüterin kennen, sondern hier ist sie die Beschuldigte und lange Zeit fragte ich mich deswegen, wie die beiden Rollen – nämlich die der Tatverdächtigen und der Sachverständigen – zusammenkommen sollen.
Tatsächlich gelingt Fitzek natürlich diese Auflösung, so viel kann ja vorweg gesagt werden. Aber bis dahin ist es ein langer, verworrener Weg. Fitzeks Romane ähnelten schon oft dem berühmten Alptraum, in dem man dringend einen wichtigen Termin einhalten muss, aber ständig etwas vergisst, etwas verliert oder durch höhere Gewalt von der Reise abgehalten wird und damit keinen Meter vom Fleck kommt. An dieses Szenario fühlte ich mich oft bei Hannahs Suche nach der Wahrheit erinnert. Sie macht sich auf den Weg, aber alles was sie findet vergrößert das Chaos und reitet sie noch immer weiter in den Schlamassel hinein. Eine Lösung ist lange Zeit nicht in Sicht. Mir war das über eine lange Strecke auch ehrlich gesagt relativ egal, denn bereits im ersten Kapitel verscherzte Hannah ganz gewaltig meine Sympathien. Das geschah, indem sie ihren Sohn – den kleinen Paul, der immer so niedlich gluckst, wenn man ihn am Bauchnabel kitzelt und was auch offensichtlich so wichtig ist, dass es mehrfach erwähnt werden muss – auf Kosten eines anderen Kindes aus einer Gefahrenlage befreite. Mit so einer Heldin hatte ich von Anfang an meine Schwierigkeiten. Dazu kam dann auch noch, dass die Eingangsszene behauptet, dass ein 5jähriger im Angesicht einer tödlichen Gefahr besonnen und umsichtig reagieren kann und sich daran erinnert, was die Mami ihm unlängst beigebracht hat. Vielleicht unterschätze ich ja unsere 5jährigen, aber ehrlich gesagt fiel es mir schwer, diese Konstruktion zu glauben.
Eine irre Jagd ist kein Garant für Spannung
Fitzek spult danach sein gewohntes temporeiches Programm ab. Leider ist es auch die gewohnte Hektik und Jagd durch die Republik mit kurzen Kapiteln, die in der Regel mit einer Überraschung oder einem Cliffhänger enden. Der Autor wird damit zum Opfer seiner früheren Werke – viele Bücher verwandten genau dieses Muster und damit hat der Leser nicht das Gefühl, dass hier viel Neues erzählt. Scheinbar war in diesem Fall auch der sonst so kreative Droemer-Verlag der Meinung, dass so Altbekanntes nicht mit einem Verpackungs-Gimmick ausgezeichnet werden muss. Im Gegensatz zu den Werken der Vorjahre, die kunst- und phantasievoll verpackt waren, ist der neue Roman nur mit einer Spiegelfolie versehen, die dem Leser vermutlich noch einmal eindrucksvoll den aufgeprägten Satz „Fürchte dich nicht! Außer vor dir selbst…“ vor Augen führen soll. Mit dem schwarz eingefärbten Schnitt sieht das immerhin halbwegs elegant aus, aber so richtig spannend ist diese Aufmachung nicht.
Mit mäßiger Spannung verfolgte ich dann auch Hannahs Hetzjagd und Suche nach der Wahrheit. Immerhin – letztendlich spielte auch die Geschichte mit der „Mimikresonanz“ eine wichtige Rolle und der Mordfall – und auch das Rätsel über vorangegangene Kindermorde – wurde sauber aufgeklärt.
Beeindruckend fand ich hier, dass die Lösung eigentlich ganz genau geschildert wurde, hätte man nur genau gelesen. Mein Kritikpunkt ist dennoch der, dass Fitzek sich hier nur auf diese eine einzelne Idee bezog und diese natürlich erst spät verraten konnte, sonst wäre sein neues Werk ein dünnes Bändchen geworden. Dennoch konnte ich mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass einige Schleifen eingebaut wurden, um die Lösung noch etwas herauszuzögern. Fitzek kann aber punktgenau und witzig schreiben – das belegt allein sein launiges Nachwort, was mich für einige Längen im Buch entschädigte. Hübsch war übrigens auch das kleine „Easteregg“ mit dem ein Querverweis zu Professor Tsokos und der Berliner Rechtsmedizin geschaffen wurde.
Fazit
Fitzeks „Mimik“ war bei allem Temporeichtum für meinen Geschmack doch streckenweise zu ausdruckslos, manchmal hatte ich auch das Gefühl, dass eine Vielzahl von Verbrechen ohnehin als Garant für Hochspannung betrachtet wird. Misslungen ist die „Mimik“ damit nicht, aber Fitzek kann es besser!
Sebastian Fitzek, Droemer
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