Frau mit Messer

  • Ullstein
  • Erschienen: Oktober 2022
  • 3
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Thomas Gisbertz
82°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2022

Wenn man nicht zum alten Eisen zählen möchte

Eigentlich ist die 65-jährige Hornclaw eine Vorzeigerentnerin: vorbildlich, kultiviert, ehrenwert. Sie führt ein unauffälliges, zurückgezogenes Leben. Nur ihr hochbetagter Hund Deadweight leistet ihr Gesellschaft. Sie weiß, was von Menschen ihres Alters erwartet wird: in den Ruhestand gehen und in Frieden sterben. Doch Hornclaw ist keine normale Frau, sie ist Auftragskillerin. Seit 40 Jahren tötet sie eiskalt im Auftrag einer Agentur für „Schädlingsbekämpfung“. Doch das Leben hat Spuren hinterlassen. Hornclaw spürt durchaus, dass auch sie langsamer und älter wird, ja sogar in gewisser Weise milde. Doch darauf haben ihre Verfolger nur gewartet. Die alternde Auftragskillerin muss sich noch einmal einem Feind stellen - und der kommt aus den eigenen Reihen.

Mehrdeutigkeit als Stilelement

Die südkoreanische Autorin Gu Byeong-mo wurde 1976 geboren. Sie studierte Koreanische Literatur und Sprache an der Kyung-Hee-Universität in Seoul. Ihr erster Roman „Wizard Bakery“ wurde zu einem Bestseller in Südkorea und 2009 mit dem Changbi-Preis ausgezeichnet. 2015 erhielt die Autorin für ihre erste Sammlung literarischer Erzählungen den „Today's Writer Award“.

2013 veröffentlichte Gu Byeong-mo den Roman „Pagwa“, der nun neun Jahre später unter dem Titel „Frau mit Messer“ auf Deutsch erscheint. Der Titel - eine Anlehnung an die amerikanische Übersetzung des Romans (The old woman with the knife) - greift Hornclaws Lieblingsmordinstrument auf, ist aber leider nicht wie der Originaltitel mehrdeutig. „Pagwa“ ist ein chinesisches Homonym, das „gequetschte Frucht“ und „Höhepunkt der Jugend“ oder „Blume des Lebens“ bedeutet. Wer den Roman liest, wird verstehen, warum dieser Titel deutlich besser zum Roman passt.

Auch bei den Namen der Protagonisten legt Gu Byeong-mo Wert auf Mehrdeutigkeit. Für alle ihre Romane benutzt sie ein Hanja-Wörterbuch (chinesisch-koreanisch), um ihre Charaktere zu benennen, da eine einzelne Aussprache eines Wortes gleich mehrere Bedeutungen in der Übersetzung haben kann. Dies trifft diesmal nicht nur auf die Auftragskillerin Hornclaw, sondern auch weitere Figuren wie Worryfixer oder Bullfight zu.

Alternde Profikillerin

Wer in Hornclaws Geschäft Anpassungsfähigkeit, Urteilsvermögen und körperliche Verfassung nicht mehr in perfekter Harmonie vereint, wird für die Agentur zu einem Problem. Das weiß auch Hornclaw. Vorläufig wird sie jedenfalls noch aus Respekt die „Patin“ genannt. Aber sie weiß, dass alle nur auf einen Fehler von ihr warten, um sie für immer loszuwerden. Sie scheint ein Auslaufmodell zu sein, dem man nur noch als eine Art Gnadenbrot einfache Jobs gibt, um deutlich zu machen, dass es Zeit wird, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen. Dabei waren Hornclaws Ziele einst Doppelspione, Verräter von Unternehmensgeheimnissen und untreue Eheleute, die sie mit eiskalter Effizienz tötete.

Doch jetzt gerät sie plötzlich aus dem Tritt. Eine Verletzung, die sie sich bei einem nachlässig durchgeführten Mord zuzieht, führt sie zu Doktor Kang. Eigentlich wird sie in der Klinik stets vom „Vertrauensarzt“ der Agentur, Dr. Choi, untersucht, der in dieser Nacht aber keinen Dienst hat. Kang weiß, dass Hornclaw keine normale Patientin ist, aber auch er hat sein Geheimnis. Die Killerin freundet sich zunehmend mit der Familie des Arztes an, die auf einem traditionellen Markt in der Nähe arbeitet. Dabei darf sich Hornclaw Gefühle gar nicht erlauben, weil es unprofessionell ist und weil ausgerechnet diese Familie in Verbindung mit einem Auftrag steht. Plötzlich sieht es so aus, als ob diese eine letzte Aufgabe Hornclaw zum Verhängnis werden könnte.

Profimörder und Frauenbilder

Auftragskiller scheinen ein beliebtes Sujet asiatischer Thriller zu sein. Oder es sind vielleicht die Romane, die den europäischen Markt am meisten interessieren. Ob Kim Young-has fantastischer Roman „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ oder Kotaro Isakas „Bullet Train“: Auftragskiller scheinen gerade en vogue zu sein.

Dabei ist Roman der Südkoreanerin Gu Byeong-mo das genaue Gegenteil des Thrillers „Die Plotters“ ihres Landmanns Kim Un-su. Die Hauptfigur in diesem Roman, der Profikiller Raeseng, ist ein junger Mann, der klug, zynisch und stark ist. Gu Byeong-mo schlägt mit ihrem Roman einen ganz anderen Weg ein. Senioren gelten (nicht nur) in der koreanischen Gesellschaft oft als schwach und belastend, als Menschen, die schnell beiseite geschoben werden sollten. Besonders ältere Frauen werden häufig missachtet. Hornclaw ist daher eine besondere (Anti-)Heldin; eine reife Frau, die niemand mehr für wichtig oder nützlich hält und die keiner bemerkt, die sich aber immer noch gegen Jüngere durchzusetzen versteht, insbesondere gegen den aufstrebenden Killer Bullfight, der sie herablassend immer als „Omi“ bezeichnet. Während Hornclaw ihre abnehmenden körperlichen Fähigkeiten und ihr wachsendes Einfühlungsvermögen als Schwächen ansieht, wächst sie aber zeitgleich als Person.

Wie sich der Roman gegen festgefahrene, ja abwertende Rollenbilder und Stereotypen wert, erkennt man auch in der Figur von Worryfixer, einer nicht-binären Person, die große Ohrringe trägt und Schmuck mag. Daher ist es - anders als im Original - nötig, die Benennung dieser Figur zu gendern.

Fazit

Ein wichtiger Roman, der stereotype Rollenbilder und die Diskriminierung älterer Frauen anprangert. „Frau mit Messer“ ist kein klassischer Kriminalroman, sondern eine weitaus tiefer gehende, scharfsinnige Analyse gesellschaftlicher Missstände. Mit feinem Humor, einer starken Frauenfigur und einer lautstarken Anklage gegen eine missachtende, patriarchalische Welt gelingt Gu Byeong-mo ein sprachgewaltiger und mitreißender Roman.

Frau mit Messer

Beyong-mo Gu, Ullstein

Frau mit Messer

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