Die Toten von Friesland

Schiermonnikoog, 25. Juli: Hauptinspektorin Iska van Loon von der niederländischen Polizei macht gerade mit ihren Kindern Sommerurlaub, als sie einen Anruf von ihrem Chef erhält. Der örtliche Fahrradhändler Ruben Veenstra wurde auf der Insel ermordet: eine Einschusswunde in der Mitte der Stirn, das Hemd aufgeknöpft, das T-Shirt hochgeschoben und der Oberkörper blutverschmiert. Unter dem Blut zeichnen sich Strukturen ab. Jemand hat dem Opfer eine rätselhafte Botschaft in die Haut geritzt. Wenige Tage später wird der junge Oberkommissar Marten Jaspari ebenfalls an einen Tatort gerufen: Im ostfriesischen Aurich wurde eine Leiche auf gleiche Weise getötet. Auch hier findet man eine mysteriöse Botschaft. Zwei Tage später taucht auf der Nordseeinsel Sylt das dritte Opfer auf. Drei Leichen in unterschiedlichen friesischen Regionen, aber dennoch ist ein Mordmotiv nicht erkennbar. Haben es die Ermittler tatsächlich mit einem Serientäter zu tun? Marten Jaspari, der zum ersten Mal eine Mordkommission leitet, stößt bei den Ermittlungen in Deutschland schnell an seine Grenzen. Erst die Zusammenarbeit mit der niederländischen Kollegin Iska van Loon führt zu einem alten Geheimnis und zu einem ungeheuerlichen Verdacht. Als eine weitere Leiche auftaucht, rennt ihnen die Zeit davon - und der Fall spitzt sich dramatisch zu.

Zweite Reihe eines jungen Autors

Autor Fynn Jacob dürfte Krimifreunden lässt ein Begriff sein - allerdings unter seinem bürgerlichen Namen Christian Kuhn. Der gebürtige Kölner veröffentlichte im Heyne Verlag 2020 mit „Nordseedämmerung“ den ersten Band seiner Krimireihe um den BKA-Hauptkommissar Tobias Velten. Ein Jahr später erschien mit „Nordseedunkel“ die Fortsetzung. Bereits 2017 wurde seine Kurzgeschichte „Ich komme auf Sie zu“ für den Deutschen Kurzkrimi-Preis nominiert. „Die Toten von Friesland“ ist nun der Auftakt einer neuen Krimireihe des 41-jährigen Kuhn, die an unterschiedlichen Orten der deutsch-niederländischen Nordseeküste spielt.

Christian Kuhn hat Wirtschaftsinformatik studiert und arbeitet (noch) beruflich als IT-Spezialist. Fynn Jacob ist übrigens der Name der Hauptfigur aus Kuhns erstem unveröffentlichten Werk.

Neue Wege

Autor Christian Kuhn bleibt in seiner neuen Reihe dem alten Setting weitestgehend treu. Während die Fälle um BKA-Hauptkommissar Tobias Velten auf Juist und Norderney spielten, ermittelt das neue deutsch-niederländische Duo van Loon und Marten ebenfalls in den friesischen Küstengebieten. Gleichzeitig gibt er seinem Ermittlerteam damit etwas mehr Bewegungsfreiheit und löst sich somit vom doch engeren Handlungsspielraum einer Insel. Aber auch hinsichtlich der Figurengestaltung geht der Autor mitunter neue Wege. Vor allem bekommen seine Protagonisten mehr Tiefe und Konturen, was der Handlung gut tut. Besonders das Privatleben der Ermittler erhält mehr Raum im aktuellen Roman. Während dies zu Beginn der Handlung aber ausgezeichnet gelingt, verliert das familiäre Umfeld - sobald der Mörderjagd Fahrt aufnimmt - aber zunehmend an Bedeutung. Dabei bietet besonders Jasparis Beziehung zu Katharina, die er seit der Jugendzeit kennt und mit der er seit fünf Jahren zusammen lebt, genügend Substanz. Denn nicht nur Marten startet beruflich durch, sondern auch seine Freundin, die bei der Vermarktung eines Villen-Parks in London assistieren soll. Insgesamt wirkt die Darstellung des Privatlebens im ersten Band noch etwas zu gewollt.

Geschichte Frieslands

Der Roman ist thematisch sehr umfangreich und gut recherchiert. Insbesondere die Geschichte Frieslands und die Eigenarten der Bewohner rücken zunehmend ins Zentrum des Romans. Allerdings führt der große Bereich West-, Ost- und Nordfrieslands dazu, dass es gleich mehrere Tote gibt und die Ermittler ganz schön herumkommen. Da die Morde aber stets nach dem gleichen Muster ablaufen, wirkt die Handlung phasenweise etwas monoton. Dagegen wird das durchaus schwierige Verhältnis von Marten und van Loon bestens umgesetzt. Die beiden grundverschiedenen Ermittlertypen reiben sich aneinander und geben dem Leser immer wieder unterschiedliche Perspektiven auf den Fall. Eine wirklich gelungene Idee. Allerdings ist auch das andauernde Gerangel dann doch etwas ermüdend.

Mysteriöses Friesland

Das Motiv des Mörders ist letztendlich in der Geschichte Frieslands zu suchen. Verständlicher Weise tappen die Ermittler daher längere Zeit im Dunkeln. Die Jagd nach dem Täter wird auch aufgrund der Dynamik der beiden Kommissare spannend erzählt. Die Vorgehensweise des Mörders lässt den Leser aber etwas verwundert zurück, wenn man bedenkt, welchen riesigen Aufwand dieser für seine Taten betreiben muss. Hier überwiegt vielleicht der Wunsch des Autors, die Mordserie auf den gesamten friesischen Bereich ausdehnen zu wollen. Auch wird der Täterkreis aufgrund der besonderen Inszenierung der Morde und ihrer Symbolik schnell eingeschränkt. Daher fehlt am Ende etwas der Überraschungsmoment.

Fazit

Wer Küstenkrimis mag, der wird mit Freude die neue Reihe von Christian Kuhn lesen. Auch wenn sich das deutsch-niederländische Team noch etwas einspielen muss, ist der Roman spannend erzählt und bietet darüber hinaus einiges Wissenswertes über Friesland. Insgesamt hat sich Autor Christian Kuhn im Vergleich zu seiner ersten Reihe weiterentwickelt und man darf durchaus gespannt sein, wie es mit dem friesischen Ermittlerteam weitergeht.